Unter Polizisten nimmt man Nehammer bis heute den Auftritt im Ö3-Format Frühstück bei mir übel, wo er jüngst sinngemäß erklärte, die Verantwortung für den im März entgleisten Geburtstagsumtrunk (Personenschützer hatten betrunken mit dem Cobra-Auto mehrere Pkw touchiert) liege nicht bei seiner Frau, also der Einladenden, sondern nur bei den Beamten – als Anti-Terror-Spezialisten müssten sie wissen, was sie tun.
Die erwähnten Episoden zeigen, was im Umfeld des ÖVP-Chefs gar nicht geleugnet wird: Karl Nehammer trägt sein Herz auf der Zunge. „Und Bemerkungen zu Alkohol oder Psychopharmaka sind definitiv nicht auf Ratschläge von Beratern zurückzuführen“, sagt ein Vertrauter. Apropos: der frühere Chef der BILD-Zeitung, Kai Diekmann, hat längst kein „Mandat“ mehr. Er sei einmalig und auf eigene Kosten bei Nehammers Besuch in Kiew dabei gewesen, heißt es.
Rein theoretisch könnte die freimütige Rhetorik dem ÖVP-Chef sogar zum Vorteil gereichen. Immerhin lautete einer der schwersten Vorwürfe, die man Vorgänger Sebastian Kurz Zeit seiner Kanzlerschaft gemacht hat, dass er über-kontrolliert sei, Stichwort: „Message Control“.
Beobachter bezweifeln freilich, dass der Bundeskanzler mit unbedarften Aussagen wie dem Alkohol-Sager politisch Terrain gewinnt.
„Karl Nehammer ist mittlerweile ein Wiederholungstäter, und es stellt sich nicht die Frage, ob ihm das nutzt, sondern: Wie sehr schadet es ihm?“, sagt Politikwissenschafter Peter Filzmaier.
Natürlich herrsche an den Stammtischen ein anderer Ton als unter Meinungsführern. Und dem ÖVP-Chef sei es sogar angeraten, sich vom „geschliffenen Image“ des Vorgängers abzugrenzen.
Bei all dem habe Nehammer aber zwei Herausforderungen zu stemmen. Das eine ist die richtige Dosis bei der Rhetorik. „Es gibt einen Mittelweg zwischen ‚Ich bin eine völlige Kunstfigur‘ und ‚Ich scherze über Psychopharmaka, Viren und Alkohol‘“, sagt Filzmaier.
Die zweite Sache ist die Gesamt-Gemengelage. „In der gegenwärtigen Krise passen flapsige Äußerungen einfach nicht zu der selbst verordneten Rolle des besonnenen Krisenmanagers. Da ist die Schere einfach zu groß.“
Auf lange Sicht muss sich Karl Nehammer ohnehin um etwas anderes kümmern.
Denn die einzige Frage, die sich für ihn stellt, ist, ob er die ÖVP auf einem – wenn auch niedrigen Niveau – stabilisieren kann. „Derzeit“, sagt Filzmaier, „ist das nicht absehbar. Der Trend nach unten hat sich noch nicht abgeschwächt.“
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