"Wahlwiederholung war schon immer ein Schmarrn"

Alfred J. Noll am Podium
Die Wahlwiederholung sollte mit allen sechs Kandidaten durchgeführt werden, findet Verfassungsjurist Alfred Noll.

Einmal mehr kritisiert der Anwalt und Verfassungsjurist den Verfassungsgerichtshof und sein Erkenntnis zur Aufhebung der Stichwahl zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer. Die nunmehr verschobene Wahlwiederholung sei spätestens mit der Aktualisierung des Wählerverzeichnisses keine Wiederholung mehr, sondern längst eine Neuwahl. Weshalb die mit allen sechs Kandidaten durchgeführt werden müsste - ein Argument, das auch Irmgard Griss bringt.

KURIER: Finden Sie die Verschiebung der Wahl rechtlich in Ordnung?

Alfred Noll: Die Verschiebung ist vor dem Hintergrund dieser Klebstoff-Geschichte pragmatisch richtig. Überhaupt keine Frage.

Jetzt wurde auch das Wählerverzeichnis geändert, es kommen also rund 50.000 neue Wähler hinzu, die bis kurz vor der Wahl im Dezember 16 Jahre alt werden. Sie haben kritisiert, dass das der Verfassungsgerichtshof bei der ersten Wiederholung nicht gefordert hat. Aber ist das damit nicht eine neue Wahl statt einer Wahlwiederholung?

Bei dieser Frage muss man einen Schritt zurückgehen. Eine sogenannte Wahlwiederholung hatte bis dato überhaupt keine gesetzliche Grundlage. Jede Wahlwiederholung nach einer Aufhebung findet im gesetzesfreien Raum statt. Das war auch der Grund, warum der VfGH auf der letzten Seite seines Erkenntnisses gesagt hat, der neue Wahltermin – wann immer er ist – ist von der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates festzulegen. Das heißt die Rede von der Wahlwiederholung war immer schon ein Schmarrn.

Das heißt, es ging immer schon um eine Neuwahl?

Ja. Die ist aber vorerst eingeschränkt auf die beiden für die engere Wahl verbleibenden Kandidaten Hofer und Van der Bellen. Durch Aktualisierung des Wählerverzeichnisses ist jetzt auch evident und klar, dass es Neuwahlen gibt, weil sich das Wahl-Volk zwischen dem ersten Wahlgang am 24. April und der so genannten Wahlwiederholung am 4. Dezember um circa hunderttausend Wähler ändern wird. Das ist also eine Neuwahl.

Aber nur mit zwei anstatt der ursprünglichen sechs Kandidaten.

Genau, und jetzt lässt sich natürlich die Frage stellen: Wie kommen die gut 50.000 Jugendlichen, die jetzt neu wählen dürfen, dazu, nur mehr zwischen zweien auswählen zu dürfen? Und das führt mit einer Vielzahl von anderen Argumenten dazu, dass eigentlich die besseren Gründe dafür gesprochen hätten, gleich die Bundespräsidentschaftswahl 2016 insgesamt aufzuheben.

Das hätte das Parlament tun können?

Nein, das hätte der VfGH – wenn er etwas umsichtiger gewesen wäre – von allem Anfang an zu bedenken gehabt. Das hat er aber nicht, genau so wenig wie er in seinem Erkenntnis berücksichtigt hat, dass das Wählerverzeichnis hätte aktualisiert werden müssen. Oder er hätte einen Termin vorgeben müssen. Es ist ja nicht grundlos vorgesehen, dass eine sogenannte Stichwahl binnen vier Wochen nach dem ersten Wahlgang stattzufinden hat, damit sich im Wahlvolk möglichst wenig ändert. Das ist eine pragmatisch kluge Lösung, obwohl es da auch ein paar tausend Stimmen Unterschied gibt.

Im Prinzip wäre es also gescheiter vom VfGH gewesen, eine komplette Neuwahl anzusetzen und alles zu annullieren, was bis jetzt passiert ist?

Da kann man juristisch jetzt lange darüber streiten - das Erkenntnis ist da und daran muss man sich halten. Wenn man aber bedenkt, dass zwischen Griss und Van der Bellen nur circa 100.000 Stimmen Unterschied waren, kommt man dann sehr schnell zu der Erkenntnis, dass es auch möglich gewesen wäre, dass diejenigen, die jetzt dazukommen und diejenigen, die verstorben sind, eventuell ein anderes Ergebnis im ersten Wahlgang gebracht hätten.

Würde es theoretisch die Möglichkeit geben, dass die Frau Griss anfechtet und sagt, das ist eine komplett neue Wahl unter anderen Voraussetzungen?

Da bin ich skeptisch, weil nur die Zustellungsbevollmächtigten im Wahlgang anfechtungsberechtigt sind. Nachdem der erste Wahlgang rechtskräftig abgeschlossen ist, ist sie für den zweiten Wahlgang nicht mehr aktiv legitimiert. Man muss unterscheiden zwischen der juristischen Möglichkeit der Anfechtung und dem demokratiepolitischen Problem, das sich dahinter verbirgt.

Und der VfGH hätte die Wahl komplett annullieren können?

Der Verfassungsgerichtshof hat hier als letzte Instanz die Möglichkeiten, die auch quasi dem jüngsten Gericht zur Verfügung stehen. Keiner hätte sich dagegen gewehrt, wenn er das gut begründet hätte.

Wobei Sie ja mit der vorliegenden Begründung bekanntlich nicht sehr zufrieden sind.

Ich finde das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs ja aus vielerlei Gründen für rechtsirrig, um das einmal sehr höflich auszudrücken. Erstens einmal: Ich halte dieses Ergebnis für falsch, weil der Wortlaut der Verfassung ein anderer ist. Zweitens: selbst nach dem Maßstab des Verfassungsgerichtshofs, ob es von Einfluss sein kann, ist es falsch, weil inzwischen wahlarithmetisch und statistisch ganz zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass eben genau die vom Verfassungsgerichtshof festgestellten Rechtswidrigkeiten kein anderes Ergebnis herbeibringen konnten. Die Wahrscheinlichkeit, dass durch diese Rechtwidrigkeiten eine Änderung des Ergebnisses herbeigeführt worden ist, ist so groß wie wenn du mit einem Laserpointer auf der Strecke zwischen Wien und Salzburg auf ein Haar zielst und das zufällig triffst. Und drittens ist es demokratiepolitisch auf Grund der mangelnden Umsicht, die der VfGH gezeigt hat, ein Problem, dass man jetzt durch die Aktualisierung des Wählerverzeichnisses auch erkennt.

Und theoretisch kann es ja wieder sein, dass irgendeiner auf Facebook ein paar kaputte Wahlkuverts postet und alles geht wieder von vorne los.

Wobei es in der Erheblichkeitsschwelle sein muss. Wenn der Abstand zwischen Van der Bellen und Hofer 100.000 Stimmen sind, kommt man mit zwanzig kaputten Wahl-Kuverts nicht durch.

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