Korun: "Todesstrafe nicht unwahrscheinlich“

Alev Korun, Abgeordnete der Grünen, über den Putschversuch in der Türkei
Die türkischstämmige Abgeordnete der Grünen Alev Korun über ihre Erinnerungen an den Militärputsch aus dem Jahr 1980 und ihre Sorge um Allahu-Akbar-Rufe bei Türkei-Demonstrationen in Wien.

KURIER: Sie haben selbst den Putsch von 1980 in der Türkei als Kind miterlebt. Wie sind Ihre Erinnerungen daran?

Alev Korun: Traumatisierend. Panzer auf den Straßen, täglich an schwer bewaffneten Soldaten vorbei in die Schule gehen, Tausende verhaftet und gefoltert. Wenn man so etwas - selbst als Kind - erlebt, weiß man die Demokratie umso mehr zu schätzen.

Hat Sie der Putschversuch von vergangener Woche in der Türkei überrascht?

Ja, und noch immer ist nicht ganz klar, wie wir den mutmaßlichen Putschversuch interpretieren sollen. Wenn es ein echter Umsturzversuch war, war das alles sehr dilettantisch vorbereitet, und der Präsident profitiert davon schlussendlich enorm.

In Österreich haben binnen weniger Stunden tausende Türken gegen den Putschversuch demonstriert. Die Mobilisierung war schon sehr beachtlich.

Prinzipiell ist es positiv, wenn Menschen einen Militärputsch nicht hinnehmen wollen. Sie müssen aber auch selbst demokratisch agieren, nicht nur das Demonstrationsrecht für sich in Anspruch nehmen.

Aber die Stimmung bei dieser Demonstration war eindeutig pro-Erdogan.

Ja, eindeutig. Meine erste Vermutung war noch, dass nicht nur Hardcore-Erdogan-Anhänger hingehen würden, sondern auch Verfolgte der früheren Militärputsche. Wenn man aber auf den Aufnahmen hört, wie viele in der Menge "Gott ist groß" schreien und nicht "Es lebe die Demokratie", bekommt es eine ganz andere Richtung. Man darf nicht vergessen, dass Erdogans Politik in den vergangenen Jahren immer autoritärer wurde. Regimekritiker, Journalisten, Intellektuelle wurden und werden eingesperrt.

Unter Austro-Türken dürfte die Anhängerschaft der AKP also relativ groß sein.

Die AKP nützt religiöse Gefühle oder Verbundenheit mit der Türkei politisch sehr geschickt für ihre Zwecke. Kritik an Erdogan wird sofort umgedeutet in Kritik an der Türkei, das kennen wir auch von der FPÖ hier in Österreich. Kritisiert man die FPÖ oder deren Nationalismus wird es sofort umgemünzt zur Österreich-Kritik. In einer Demokratie gibt es aber eben mehrere Parteien und politische Gesinnungen, da kann es sich nicht eine Partei herausnehmen zu sagen „WIR sind das Land“.

Sie halten also die Allahu-Akbar-Rufe bei dieser Demonstration für bedenklich?

Das ist sehr gefährlich. Ich halte genau nichts von der Vermischung von Religion und Politik. Die Gefahr, dass Religion in den Dienst der Politik gestellt wird und umgekehrt, ist in den vergangenen Jahren überall gewachsen. Es ist demokratiepolitisch gefährlich, wenn eine Regierung sich mit Religion gleichsetzt und der Militärputsch als ein Putsch gegen die Religion dargestellt wird. Aber das ist genau die politische Instrumentalisierung, die durchkreuzt gehört.

Es ist zu beobachten, dass der Islam unter Türken in Österreich eine immer wichtigere Rolle einnimmt. Warum ist das so?

Einerseits sind Religionen und teilweise Fundamentalismen global am Vormarsch, Stichwort Evangelikale in den USA. Andererseits trägt die Propaganda mit Verschwörungstheorien über Social Media Kanäle massiv zu Radikalisierung und Feindbildproduktion bei: Wer AKPs Politik kritisiert, ist plötzlich "gegen den Islam" oder ein "Ungläubiger". Und je mehr die Verunsicherung über den eigenen Platz in der sich wandelnden Gesellschaft steigt, umso mehr greifen manche zum Islam, um sich zu definieren und auch abzugrenzen.

Das ist genau der Nährboden, auf dem Parallelgesellschaften gedeihen. Wie lässt sich das verhindern?

Indem man die Demokratie- und Meinungsfreiheit ohne Wenn und Aber verteidigt. Ein Putsch ist ein No-Go. Gleichzeitig ist die AKP-Regierung verpflichtet, Meinungsfreiheit, Menschenrechte, Minderheitenrechte zu respektieren und einzuhalten. Die Haltung „Bist du nicht für uns, bist du gegen uns“ ist aber eine undemokratische. Alle Oppositionsparteien in der Türkei haben gesagt, „Wir wollen keinen Putsch mehr in diesem Land“. Das ist aber kein Freibrief für die AKP zu tun und zu lassen, was sie möchte. Um diese Differenzierung, diese Diskussion, geht es in der Türkei und auch in den österreichischen bzw. europäischen türkischen Communities.

Glauben Sie, dass die begonnenen Säuberungswellen in der Türkei in dieser Tonart weitergehen?

Es gibt eine große Verunsicherung in der Bevölkerung, vor allem unter AKP-Kritikern und -Gegnern. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, die in der Türkei leben. Die unmittelbare Absetzung von mehr als 2.700 Richtern und Staatsanwälten deutet darauf hin, dass es schon länger Pläne gab, diese Leute loszuwerden und dass der vermeintliche Putsch dafür benutzt wird, um sie - und andere wie Polizisten oder Beamte - aus der Justiz bzw. aus dem Staatswesen zu entfernen. Die massiven Entlassungs- und Verhaftungswellen deuten auf noch autoritärere Zeiten hin.

Erdogan diskutiert auch die Einführung der Todesstrafe. Wird sich das die Türkei leisten können?

Nachdem die rechtsextreme MHP Unterstützung im Parlament signalisiert hat, ist die Wiedereinführung der Todesstrafe leider nicht unwahrscheinlich. Das wäre politisch und menschenrechtlich ein Desaster.

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