Afghanen in Österreich: "Wir sind zum zweiten Mal Opfer"

Amir Sahil, Ali Rezde, Shokat Walizadeh und Elham Bahrami helfen bei der Integration
Sie gelten als "Problemgruppe". Jene, die integriert sind, leiden sehr unter Ressentiments.

Ein Mordfall in Wien-Favoriten in der Vorwoche, bei dem ein 18-jähriger Afghane seine Schwester (14) erstochen haben soll, rief wohl bei vielen das Bild hervor: Afghanen seien grob, gewalttätig, archaisch. In Österreich gelten Flüchtlinge und Asylwerber aus diesem Land gemeinhin mittlerweile als "Problemgruppe".

Aber ist das gerechtfertigt? Tatsächlich waren laut Justizministerium 2016 Österreicher jene, die die Statistik über die Verurteilungen wegen Delikte gegen Leib und Leben (dazu zählen etwa Mord, Totschlag, Körperverletzung, Anm.) mit 67,1 Prozent anführen. "Ausländer" wurden in 32,1 Prozent der Fälle verurteilt. Und da führen Türken und Serben die Statistik an, Afghanen folgen auf Platz drei. Wegen Delikten gegen das Suchtmittelgesetz wurden 2016 exakt 299 von 35.618 in Österreich lebenden Afghanen verurteilt (per 1. Jänner 2017 waren es 45.259 Anm.).

Bei Sexualstraftaten – laut der Anzeigenstatistik des Bundeskriminalamts eines der häufigsten Delikte bei Afghanen – sind sie weit oben in der Statistik. Auch diese Statistik führen Österreicher an (siehe Grafik), die Afghanen aber wurden nach "sonstigen Ausländern" am öftesten wegen Delikten gegen die sexuelle Integrität verurteilt(gleich danach kommen Deutsche und Rumänen) – in Summe 50-mal.

Afghanen in Österreich: "Wir sind zum zweiten Mal Opfer"
Grafik Foto Gerhard Deutsch v. 21.09.2017, 46-102600560
Hochgerechnet sind das 0,14 Prozent der Afghanen, die 2016 in Österreich gelebt haben. "Wir werden trotzdem in einen Topf geworfen", sagt Shokat Walizadeh. Der 27-Jährige lebt seit 2008 in Österreich und ist Mitglied im Verein "Afghanische Flüchtlinge – Neuer Start in Österreich". Gemeinsam mit Amir Sahil (24), Ali Rezde (30), Elham Bahrami (22) und anderen Vereinsmitgliedern veranstaltet er jedes Jahr das nationenübergreifende Fußballturnier "Von Kabul bis Wien", das Österreicher und Afghanen einander näher bringen soll. Außerdem werden junge afghanische Flüchtlinge bei der Integration unterstützt. Der Verein hilft bei Behördenwegen und Jobsuche. Er erklärt, wie die österreichische Gesellschaft tickt und vermittelt Lehrstellen. Und das werde zunehmend zur Herausforderung. "Als Afghane eine Wohnung zu finden, ist schwierig. Eine Lehrstelle zu finden, ist eine Katastrophe", sagt Walizadeh. "Die Menschen aus Afghanistan sind Opfer eines Krieges. Aber hier sind wir wieder Opfer." Sie sehen sich als Opfer der Politik – und auch der Medien. Die Politik sei nach rechts gerückt und provoziere Schlagzeilen mit den Abschiebungen nach Afghanistan, viele Medien würden eher über afghanische Straftäter schreiben. "Der Spalt zwischen Österreichern und Afghanen wird größer und größer", sagt Walizadeh.

Zurückhaltung

Vor zwei, drei Jahren galten die Afghanen in Österreich als integriert, das sei jetzt anders. "Ich hab’ das Gefühl, dass mich mehr als die Hälfte der Österreicher hassen", sagt Amir Sahil – und das, obwohl er für Österreich Europameister und Vizeweltmeister im Kickboxen wurde. "Als ich nach Österreich kam, war ich extrem motiviert", erzählt der 24-Jährige. Jetzt sitze er in der U-Bahn und versuche, den Menschen nicht in die Augen zu schauen. "Ich bin verschlossener geworden", sagt Sahil.

Den Anstieg bei den verurteilten Sexualstraftätern wollen sie nicht schönreden, zum besseren Verständnis aber auf einige Unterschiede hinweisen: Dass Frauen in Afghanistan ohne Kopftuch aus dem Haus gehen, sei undenkbar. "Leichtbekleidete Frauen mit viel Schminke sind in Afghanistan Prostituierte und hier nicht", sagt Elham Bahrami. Selbst wenn eine Frau auf der Straße einen fremden Mann anlächle, sei das schon "ein Zeichen", sagt die 22-Jährige. "Aber bitte, die Österreicherinnen sollen jetzt nicht aufhören, auf der Straße zu lächeln", ruft Amir Sahil dazwischen.

In Afghanistan gebe es keine Frauenrechte. "Manche Afghanen vom Land glauben, das Recht zu haben, Frauen zu schlagen, sie wissen nicht, was Vergewaltigung ist", sagt Ali Rezde. Umso wichtiger sei die Aufklärung hier in Österreich. "Manche verstehen die Unterschiede und tun es trotzdem. Das sind schlechte Menschen. Aber es sind nicht alle so."

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