Ärztemangel ab 2019 verschärft: Diskussion um Altersgrenze
Mit 79 genießen viele schon seit fast zwei Jahrzehnten ihren Ruhestand. Nicht so Dr. Traditsch (Name geändert) in Wien-Favoriten. Erst vor Kurzem wurde der Kassenvertrag des Allgemeinmediziners um zwei weitere Jahre verlängert. Der Grund: Es findet sich schlichtweg kein Nachfolger, der seine Ordination übernehmen könnte. Zeit für ein Gespräch fand er am Dienstag angesichts seines übervollen Wartezimmers keine.
Der 79-jährige Arzt in Favoriten ist kein Einzelfall: Bundesweit haben 142 über 70-jährige Ärzte einen Vertrag mit der Gebietskrankenkasse. Der Altersrekord liegt derzeit bei 81 Jahren.
Altersgrenze
Dass so alte Mediziner Patienten behandeln, sollte ab Jahresbeginn 2019 nicht mehr möglich sein. Nach einer zehnjährigen Übergangsfrist tritt am 1. Jänner die Altersgrenze von 70 Jahren für Kassenärzte in Kraft. Soll heißen: Betroffene Mediziner verlieren mit diesem Datum automatisch ihren Vertrag mit der Krankenkasse.
Was an sich sinnvoll wäre, lässt sich in der Praxis aber nicht ohne Weiteres umsetzen: Das von akutem Ärztemangel geplante Land würde mit einem Schlag Dutzende Kassenärzte verlieren. Allein in Wien gibt es laut Ärztekammer 31 niedergelassene Allgemeinmediziner mit Gebietskrankenkassen-Vertrag, die älter als 70 sind; insgesamt hat Wien 741 Kassen-Hausärzte.
Um plötzliche Engpässe zu vermeiden, gibt es in der Bundeshauptstadt Ausnahmeregelungen für die besonders wichtigen Fächer Allgemein- und Kindermedizin.Wenn nötig, können Verträge von über 70-Jährigen für maximal fünf Jahre verlängert werden (maximal ein Jahr bei Ärzten über 80).
Eine Möglichkeit, von der bereits einige Ärzte Gebrauch gemacht haben. Konkret handelt es sich laut WGKK um 26 Allgemeinmediziner und zehn Kinderärzte, deren Vertragsbeendigung aufgeschoben wird.
Alexander Biach, Chef im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, ist dennoch überzeugt, dass die Zahl der Fälle, in denen über 70-Jährige eine Kassen-Ordination weiterführen, um den Nachwuchsmangel zu beheben, überschaubar bleibt. „Unser wichtigstes Anliegen ist eine gute Versorgung der Versicherten. In Einzelfällen kann das bedeuten, dass man einen Arzt vorübergehend bittet, die Ordination weiterzuführen. Aus unserer Sicht ist das aber die Ausnahme, nicht die Regel“, sagt Biach zum KURIER.
Ärztekammer-Vizepräsident Johannes Steinhart ist weit weniger entspannt. Er plädiert für eine Aufhebung der Altersbeschränkung. „Das wäre eine Maßnahme, die sehr kurzfristig gegen den Ärztemangel wirken würde.“
Überalterung
Dieser werde sich in den kommenden Jahren aufgrund der zunehmenden Überalterung der Ärzteschaft bei gleichzeitigem Bevölkerungswachstum dramatisch verschärfen, warnt Steinhart. „Doch leider wird der Ärztemangel von vielen Gesundheitspolitikern, Kassenfunktionären und Ökonomen immer noch geleugnet. In zehn Jahren haben 55 Prozent aller Ärzte mit Gebietskrankenkassen-Vertrag das Pensionsalter erreicht.“ In anderen Fachgebieten ist Rate sogar noch höher.
Laut Steinhart ergebe sich daraus ein mittelfristiger Nachbesetzungsbedarf von 434 GKK-Ärzten pro Jahr. Ein Bedarf, der sich aber bei Weitem nicht decken ließe. Zwar würden die Unis an sich reichlich Nachwuchsmediziner hervorbringen.
Doch bis zu 40 Prozent der Absolventen gingen dem System verloren, weil sie Österreich verlassen oder nicht in der medizinischen Versorgung arbeiten wollen. Das lässt den Ruf nach der Aufhebung der Zugangsbeschränkungen zu den MedUnis immer lauter werden: „Mit dem Festhalten daran produziert die Bundesregierung einen künstlichen Flaschenhals“, warnt Kärntens Gesundheitsreferentin Beate Prettner (SPÖ).
Auch Steinhart kann sich – in Anlehnung an Deutschland – einen „Masterplan Medizinstudium 2020“ vorstellen, um die Zahl der Studenten zu erhöhen. Noch eine Maßnahme würde er gerne vom nördlichen Nachbarland übernehmen: Dort gibt es spezielle Stipendien für Land- und Spitalsärzte. Sie werden an Jungärzte vergeben, die sich verpflichten, eine gewisse Zeit in der jeweiligen Region bzw. im Krankenhaus zu arbeiten.
All das soll, geht es nach Steinhart, bei einem politischen Gipfel diskutiert werden, mit dem der Ärztemangel beseitigt werden soll.
Hauptverbandschef Biach ist hingegen optimistisch, dass sich künftig genug Jungärzte finden. Im Wesentlichen sind es drei Argumente, die ihn zuversichtlich machen: „Gemeinsam mit Bund und Ländern finanziert der Hauptverband seit dem vergangenen Jahr jungen Turnusärzten die Ausbildung in einer Lehrarztpraxis“, sagt Biach. Diese Ausbildungsstellen seien attraktiv und würden auch zu einer Entspannung des Nachwuchsmangels beitragen. Ziel ist es, auf diese Weise bis 2024 rund 400 Ärzte auszubilden.
Verbesserungen
Zusätzlich habe man es gesetzlich erlaubt, dass junge Ärzte, die sich für den Hausarzt-Job interessieren, aber nicht als Unternehmer tätig werden wollen, von anderen Ärzten beschäftigt werden dürfen (Ärzte stellen Ärzte an). Und auch die sogenannten Primärversorgungszentren, in denen (junge) Mediziner gemeinsam Ordinationen führen, seien mittlerweile in vier Bundesländern etabliert.
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