Abschiebung nach Afghanistan: Erfolg oder fragwürdiger Deal?

Erstmals seit der Machtübernahme der radikal-islamischen Taliban, im August 2021, hat Österreich eine straffällige Person nach Afghanistan abgeschoben. Dienstagfrüh landete der Flieger in der Hauptstadt Kabul.
Der Abgeschobene war 2009 als 15-jähriger unbegleiteter Minderjähriger nach Österreich gekommen. Er bekam den Status des subsidiär Schutzberechtigten, dann wurde er straffällig und verurteilt – wegen versuchter Vergewaltigung und schwerer Körperverletzung.
Wie die jüngsten Abschiebungen von straffällig gewordenen Personen nach Syrien oder Somalia, sorgt auch dieser Fall für Kritik. Laut dem Obersten Gerichtshof (OGH) gelten die Taliban hierzulande immerhin als Terrorgruppe – mit der Österreich nun im Zuge der Abschiebung zusammengearbeitet hat. Die menschenrechtliche Situation vor Ort gilt als fragwürdig, insbesondere für Frauen. War die Aktion rechtmäßig? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Seit wann sind Abschiebungen nach Afghanistan wieder erlaubt?
Nach der Machtübernahme der Taliban hatte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) Abschiebungen nach Afghanistan vorübergehend gestoppt. Im Juni 2024 entschied das Höchstgericht dann im Fall eines jungen Afghanen, dass dieser rückgeführt werden dürfe. Begründung: Die Sicherheitslage vor Ort habe sich verbessert. In Einzelfällen sind Abschiebungen also möglich. Wenn dem Betroffenen etwa Tötung, Folter oder das Verschwindenlassen drohen, dann wiederum nicht. Ob eine Rückführung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) entspricht, muss immer im Einzelfall überprüft werden.
Warum kooperieren die Taliban überhaupt mit Österreich?
Für die Rückführung war jede Menge an politischer Vorarbeit nötig. Zu Jahresbeginn besuchte eine österreichische Delegation Kabul. Im September weilten wiederum Taliban-Vertreter in Wien, um sich auf „Beamtenebene“ mit Vertretern von Innen- und Außenministerium zu treffen. Deutschland schiebe zwar auch nach Afghanistan ab, allerdings in Kooperation mit Katar, sagt Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination. Warum ist dieser Unterschied zu Österreichs Vorgehen relevant? Derzeit erkennt kaum ein Staat das Taliban-Regime an – auch Österreich nicht. Die Annahme, dass die Taliban auf Anerkennung hinarbeiten und deshalb kooperieren, ist nicht abwegig. „Österreich ist definitiv eine Stufe weiter, was die Anerkennung des Taliban-Regimes betrifft“, sagt Gahleitner-Gertz. Man könne auch von einer „De-facto-Anerkennung“ sprechen.
Wie begründet die Regierung ihr Vorgehen?
Bisher gab es drei Abschiebungen nach Syrien und je eine nach Somalia sowie Afghanistan – also in Staaten mit durchaus fragwürdiger Sicherheitslage. Die Regierung verweist darauf, dass es um vereinzelte Straftäter gehe. Weitere Abschiebungen würden vorbereitet und durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl „konsequent umgesetzt“, sagt Innenminister Gerhard Karner (ÖVP). Davon könnten demnach rund 30 straffällig gewordene Afghanen betroffen sein, die sich derzeit in Österreich aufhalten.
Hält auch die Asylkoordination die Abschiebung für rechtlich zulässig?
Diese sei formell rechtmäßig, sagt Gahleitner-Gertz. Der Fall verdeutliche allerdings auch: „Es stimmt definitiv nicht, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Abschiebungen nach Syrien, Somalia oder Afghanistan verhindert, wie immer wieder von der ÖVP behauptet.“ Karner und auch Bundeskanzler Christian Stocker drängten zuletzt wiederholt darauf, die EMRK zu ändern. Die Argumentation: Diese schütze kriminelle Migranten mehr als ihre Gaststaaten.

Spricht in diesem Einzelfall auch etwas gegen eine Abschiebung?
Die psychische Verfassung des Afghanen. Die Justizanstalt Sonnberg und das Klinikum Klagenfurt diagnostizierten bei ihm unter anderem eine wahnhafte Störung. Er sagte in Befragungen aus, mit seinem kleinen Finger sämtliche Computer beeinflussen und mit dem Mond kommunizieren zu können. Weitere Äußerungen, wonach er den Koran auf die Erde gebracht habe und Gott sei, könnten ihm in Afghanistan als Blasphemie ausgelegt werden. Die vorgesehenen Bestrafungen der Taliban reichen von Auspeitschungen bis hin zur Todesstrafe. Der Betroffene selbst negierte eine psychische Erkrankung übrigens. Seine „Prozessfähigkeit“ wurde nicht überprüft.
Hätte die Abschiebung des Afghanen auch schon früher erfolgen können?
„Eigentlich wurde dem betroffenen Afghanen der Schutzstatus bereits 2018 aberkannt. Eine Abschiebung nach Afghanistan wäre zulässig und damals auch einfacher gewesen“, sagt Gahleitner-Gertz. Das Innenministerium (BMI), damals unter Leitung von Herbert Kickl (FPÖ), setzte die Rückführung aber nicht durch.
Handelt es sich um die erste Abschiebung eines Afghanen seit der Machtübernahme der Taliban?
Nein. Laut BMI wurden seit Anfang 2022 rund 500 Afghanen außer Landes gebracht – allerdings nicht nach Afghanistan. Es handelt sich hauptsächlich um Abschiebungen nach den EU-Dublin-Regeln – also in andere EU-Staaten. In 180 Fällen sind Afghanen zudem freiwillig heimgereist.
Wie viele Afghanen stellen im Gegenzug Asylanträge in Österreich?
Insgesamt wurden heuer 13.032 Asylanträge in Österreich gestellt. Mit 4.249 Anträgen führen Afghanen diese Liste vor Personen aus Syrien und Somalia an. Die Anerkennungsquote bei Asylanträgen von Afghanen liegt bei 76 Prozent. FPÖ-Sicherheitssprecher Georg Darmann bezeichnet die „Einzelabschiebungen“ deshalb als Tropfen auf dem heißen Stein.
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