12-Stunden-Tag: Was schlechter wird – und was besser

Fragen und Antworten. Wie wirkt sich die Neuregelung auf die Arbeitnehmer aus - und wer ist davon besonders betroffen?

Der 12-Stunden-Tag – übertriebenes Schreckgespenst der Gewerkschaft oder nötige Maßnahme für flexibleres Arbeiten?

Das hängt davon ab, wen man fragt. Aus Unternehmens-Sicht ist die Neuregelung jedenfalls ein Gewinn, denn: Künftig kann der Arbeitgeber leichter von seinen Mitarbeitern verlangen, auch in Spitzenzeiten oder Notfällen im Einsatz zu sein. Andererseits heißt das aber auch: Arbeitnehmer können sich deutlich schlechter wehren.

Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema Arbeitszeitflexibilisierung.

Wie war die Gesetzeslage bisher?

Bislang darf man täglich maximal zehn Stunden, in der Woche also höchstens 50 Stunden arbeiten, das sind pro Tag also zwei Überstunden, pro Woche zehn. Auch im Jahr ist die Zahl der Überstunden gedeckelt: Ein Jahrespaket von 60 Stunden darf nicht überschritten werden, Dauerüberstunden sind daher nicht erlaubt. Die zusätzlichen Stunden gelten als Überstunden, werden also auch zusätzlich entlohnt – außer, man hat einen All-in-Vertrag oder es gibt eine Gleitzeitregelung.

Was ändert sich künftig?

Künftig - ab 2019 - sind es maximal 12 Stunden pro Tag, also 60 Stunden pro Woche, die man arbeiten darf. Das ist auch jetzt schon erlaubt, allerdings nur unter ganz strikten Voraussetzungen - und die sollen ab 2019 nicht mehr gelten: Bisher musste vorübergehend besonderer Arbeitsbedarf bestehen, wirtschaftlicher Schaden drohen oder es musste eine Betriebsvereinbarung geben. Zudem musste auch der Betriebsrat oder der Betriebsarzt zustimmen. Künftig kann der Arbeitgeber ohne Einbindung des Betriebsrats jederzeit verlangen, dass man 12 Stunden bleibt - in kleineren Betrieben, wo es keinen Betriebsrat gibt, ist diese Schranke ohnehin hinfällig. „De facto hat der Arbeitnehmer nicht die Wahl“, sagt Christoph Klein, Direktor der AK, im Ö1-Interview.

Ein Vorteil für die Arbeitnehmer: Erlaubt werden soll auch die Vier-Tage-Woche - sie soll mit dem 12-Stunden-Maximum pro Tag ohne Einkommensverlust machbar werden. Die Regierung spricht darum von einer „Win-Win-Situation“ für Arbeitgeber und Arbeitnehmer: So könnten etwa Pendler an vier Tagen länger - also bis zu zwölf Stunden - arbeiten, dafür aber einen zusätzlich Tag freinehmen, sagt FPÖ-Klubchef Walter Rosenkranz. Das Gesetz werde dazu dienen, dass sich die Menschen ihre Zeit besser einteilen können.

Kann man zu den zusätzlichen Stunden nein sagen?

Theoretisch ja, denn für die elfte und zwölfte Stunde existiert im Entwurf der Regierung ein Ablehnungsrecht "aus überwiegenden persönlichen Interessen". Das ist aber nicht näher definiert, wird sich also wohl an den jetzigen Ablehnungsgründen orientieren: Jetzt ist es so, dass man die neunte und zehnte Stunde ablehnen darf, wenn etwa keine Kinderbetreuung gewährleistet ist oder man einen dringenden Arzttermin hat. Die Gründe müssen aber schwerer wiegen als die Interessen der Firma.

In der Praxis, sagt Klein, würde sich aber kaum jemand trauen, nein zu sagen: "Die Menschen haben Angst um den Arbeitsplatz, das trauen sich die meisten nicht. Das sagt einem die Beratungspraxis." Der Grund dafür ist simpel: Schon jetzt haben fast alle Menschen die Verpflichtung, bei Anordnung verpflichtende Überstunden zu machen – wer aus zu wenig gewichtigen Gründen ablehnt, riskiert also eine fristlose Entlassung. Das wird auch für die elfte und zwölfte Stunde gelten.

Details zur Arbeitszeitflexibilisierung

Wird der 12-Stunden-Tag dennoch die Ausnahme bleiben?

Die Regierung sagt: „Der Acht-Stunden-Tag ist die Regel, die 40 Stunden-Woche bleibt die Regel.“ Glaubt man der AK, so stimmt das nicht ganz. Natürlich hänge das vom guten Willen der Unternehmen ab, aber "die Arbeitgeber werden sich an den neuen Möglichkeiten orientieren", sagt Klein. Denn da auch die Mitbestimmung der Betriebsräte falle, "kann der Arbeitgeber das einseitig anordnen. Die 60-Stunden-Woche wird zum Normalfall". Allerdings sieht die Neuregelung zumindest eine Höchstgrenze vor: Über einen Zeitraum von 17 Wochen darf die Durchschnitts-Wochenarbeitszeit 48 Stunden nicht übersteigen. Große Einschränkung dabei: Die 17 Wochen dürfen immer wieder von Neuem beginnen. Theoretisch ist also eine deutlich höhere Jahresarbeitszeit als bisher möglich. 

Bekommt man die zusätzlichen Stunden bezahlt?

"Überstunden werden wie bisher abgegolten“, versprach ÖVP-Klubchef August Wöginger am Donnerstag. Auch die Kollektivverträge blieben unberührt, versicherte er. Ob man die Zusatzstunden in Geld oder Freizeit konsumieren kann, hängt aber ganz vom Arbeitsvertrag und Arbeitgeber ab. Laut Arbeiterkammer kann man sich das mit der Neuregelung nicht aussuchen. Hat man keine Überstundenpauschale, müssen die Stunden jedenfalls speziell entlohnt werden. Auch für Gleitzeit-Jobs soll es ein eigenes Modell geben, in dem man zwölf Stunden ohne Überstundenzuschlag arbeiten darf.

Wen wird die Neuregelung besonders treffen? Und wer profitiert?

Besonders hart trifft es jene, die im Tourismus arbeiten, sagt die AK – das sind etwa 200.000 Menschen. Bei ihnen soll nämlich auch bei den Ruhezeiten geschraubt werden: Statt elf Stunden werden es ab 2019 nur mehr acht Stunden Ruhe sein, wenn der Dienst geteilt wird. Das heißt: Eine Person kann am Vormittag sechs Stunden arbeiten, nachmittags Pause machen, abends wieder sechs Stunden arbeiten – und hat dann zwischen den Diensten nur acht Stunden Nachtruhe.

Vorteile hat das Modell freilich für alle Arbeitgeber. Wirtschaftskammer-Boss Harald Mahrer freut sich etwa, dass "Firmen flexibler auf Kundenaufträge reagieren können, das wird Arbeitsplätze sichern." Er weist darauf hin, dass Arbeitnehmer mehr Geld verdienen könnten oder mehr Freizeitblöcke hätten. Die Befürchtung, dass die Arbeitgeber das ausnützen würden, aht er nicht - er verweist aufs das Recht, lange Arbeitstage abzulehnen: „Dadurch ist sichergestellt, dass niemand gegen seinen Willen und seine zeitlichen Möglichkeiten zu Überstunden verpflichtet werden kann.“

Vorteile hat das Modell freilich auch für jene Arbeitnehmer, die "sehr, sehr selbstbestimmt unterwegs sind", sagt AK-Direktor Klein. Die hätten allerdings auch jetzt schon die Möglichkeiten gehabt, individuell so zu arbeiten.  Auch die vorhin erwähnte Vier-Tage-Woche, die gesetzlich möglich werden soll, kann als positive Neuerung für Arbeitnehmer gesehen werden. 

Hat nicht auch die SPÖ einen 12-Stunden-Tag vorgeschlagen?

Ja, allerdings in einer etwas anderen Variante, sagt die SPÖ: Da sei es um Arbeitszeitflexibilisierung mit Arbeitszeitverkürzung gegangen, sagte SPÖ-Geschäftsführer Max Lercher am Freitag. Im Sommer hatte es einen Entwurf der Sozialpartner gegeben, dem der ÖGB dann auch nicht zugestimmt hat. Aus Arbeitnehmersicht sei "die Suppe zu dünn gewesen", hieß es da.

Wie reagieren Gewerkschaften und Opposition?

Der neue ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian sprach am Donnerstag noch von einem "Raubzug gegen die Gesundheit und die Geldbörsen der Arbeitnehmer", für ihn sind auch Streiks nicht ausgeschlossen. SPÖ-Geschäftsführer Max Lercher nannte den Plan einen "Anschlag auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, durchgeführt vom Konzern-Kanzler". Die Sozialdemokratie werde sich deshalb mit der Gewerkschaft solidarisieren und in den kommenden Wochen Aktionstage in allen Bezirkshauptstädten abhalten.

Liste-Pilz-Abgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber warf der Regierung „Drüberfahren“ und „Sozialabbau“ vor: Es stimme einfach nicht, dass Arbeitnehmer durch die geplanten Regelungen mehr Freiheiten haben würden. Nikolaus Scherak von den NEOS zeigte sich über die parlamentarische Vorgangsweise der Koalitionsparteien „enttäuscht“ – das Gesetz soll nämlich ohne Begutachtung verabschiedet werden.

Selbst in schwarzen Reihen regt sich Unmut: Der Tiroler Arbeiterkammerpräsidenten Erwin Zangerl ( ÖVP) spricht vom "Beginn der mutwilligen Zerstörung unserer Gesellschaft, vor allem unseres Familien-, Vereins- und Soziallebens.“ Er schäme sich als "christlich-sozialer schwarzer Arbeitnehmervertreter für diese neoliberale Politik, die diese unsozialen Türkisen derzeit betreiben. Die Industrie hat vor den Wahlen in die Regierung investiert und verlangt jetzt ihren Anteil."

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