Glasgow - viel Polizei, aber Business as usual

Stone Roses-Sänger Ian Brown.
Nach dem Anschlag in Manchester zum Rockkonzert in Schottlands Nationalstadion - mit farbigen Rauchgranaten und Bengalos.

Der Reiz, die Stone Roses live in ihrer Heimat zu sehen, war größer als jedes mulmige Gefühl durch Terroranschläge. Die Stone Roses haben auf der Insel noch immer Kultstatus, ihr Plattendebut von 1989 gilt als eines der für die 90er-Jahre richtungsweisenden britischen Alben. Dementsprechend schnell waren die vier raren Live-Gigs in Großbritannien im Juni 2017 ausverkauft. Für das Konzert in Glasgow, in Hampden Park, Schottlands nationales Fußballstadion mit 52.000 Sitzplätzen, wo schon Champions League-Finalspiele ausgetragen wurden, hatten wir noch Karten bekommen.

Die Entscheidung für den Trip Ende Juni war also längst gefallen, als im Mai der Anschlag in Manchester (22 Tote) nach einem Popkonzert passierte, und er war gebucht, als Anfang Juni in London wieder sieben Menschen starben. Vermutlich hätten wir uns deshalb nicht anders entschieden. Drei Anschläge innerhalb von drei Monaten – man denkt, dass es nun nicht schon wieder passieren kann. Und man stellt sich halt ergeben auf höhere Sicherheitsstandards und mehr Kontrollen ein. Doch Kontrollen kennt man bei den terrorgewohnten Briten – siehe IRA - ohnehin seit Jahrzehnten.

Viel Polizei

Dass am Flughafen in Edinburgh Polizisten in voller Montur, inklusive Schusswesten und Sturmgewehre, herumstehen, passte dann ins erwartete Bild, auch am Hauptbahnhof Weaverly Station sahen wir Uniformierte patrouillieren. Und in Glasgow ebenso, etwa in der weitläufigen Fußgängerzone zeigte die Polizei Präsenz. Durch gelbe Warnwesten waren sie auch gut sichtbar. Aber sonst: Business as usual. Entspannte Menschen in der Stadt, aufgekratzt-laute Stimmung in den Pubs und freundliche Begrüßung ohne Kontrollen an den Museumseingängen.

Vielleicht lag dieser Eindruck daran, dass die Schotten eben Schotten sind. Sogar die Polizei kam uns gelassener vor, sie reagierte umgänglicher und unaufgeregter. Was uns auffiel: Jeder Polizist trug seine Dienstnummer gut sichtbar an der Uniform.

Vor dem Konzert blieben Umhängetasche, Rucksack und das Taschenfeitel vorsorglich im Hotel. Am Bahnhof Central Station dann wieder auffällig viel Polizei – und zwischen den Passagieren, die aus U-Bahn-Aufgängen zum nächsten Bahnsteig strömten, hatte die Vorfreude aufs Konzert junge und mittelalte Menschen erfasst. Man erkannte sie gleich an ihren Band-T-Shirts oder daran, dass sie schon jetzt die Songs lauthals sangen. Und schon fühlten auch wir zwei Österreicher uns mittendrin. In der Crowd und der positiven Stimmung. Da ließen wir uns nur schnell von kurzen mulmigen Gedanken a la „Was wäre, wenn jetzt….?“ ablenken.

Gelassene Kontrollen

Von der Vororte-Bahnstation zum Stadion erlebten wir dann eine kleine Völkerwanderung durch typische Wohnstraßen mit. Die Polizei hatte vorgesorgt, wohl Routine wie auch vor großen Matches. Die Straße direkt vor dem Stadion war praktisch abgeriegelt, mehrere Streifenwagen und –Kleinbusse sind positioniert, am Hinweg hören wir öfters das Folgetonhorn. Trotzdem, alles ziemlich ruhig. Polizei und Konzertbesucher blieben gelassen. Die Ordner vor dem Stadium kontrollierten uns mit mobilen Metalldetektoren, der Mann musste allerdings den Inhalt seiner Hosentaschen herzeigen. Nur Schlüssel und Feuerzeug, nichts Gefährliches - wir dürfen passieren. Freundliches Lächeln inklusive. Das war’s. Kurz schauten wir uns erstaunt an, wir hätten mit wesentlich genaueren Kontrollen gerechnet. Offenbar auch andere Konzertbesucher, wie wie später in Medienberichten lasen.

Im Inneren fiel die hohe Dichte an Sicherheitskräften auf – viel mehr, als zuhause. Man erkannte sie an ihren gelben Westen, auf denen „Security“ stand. Auch Polizei war sichtbar, die Uniformierten schlenderten durch die noch lockeren Reihen der Konzertbesucher, die Blicke schweifen lassend. Manchen Postern in den sozialen Medien war dies offenbar zu wenig. Wir hingegen empfanden die durchaus spürbar vorhandene Wachsamkeit als umgänglicher und entspannter als zuhause bei Großereignissen.

Primal Scream: Die Stimmung steigt

Beim Auftritt der Vorband „Primal Scream“ stieg die Stimmung merkbar an – und wir erlebten hautnah mit, was die Schotten unter „gscheid feiern“ verstehen: Erste farbige Rauchbomben werden in unserer Nähe gezündet, wir finden uns in einem grünen, stinkenden Nebel wieder. Doch so schnell konnten wir gar nicht schauen, sind 2, 3 gelbe Männer in Sicherheitswesten schon am Weg zu dem Burschen, dahinter Polizisten. Kurz darauf wurde er auch aus der Menge geführt wie ein Schwerverbrecher: Je ein Polizist hielt seine Arme. Insgesamt nur zehn Festnahmen wegen Vergehen mit pyrotechnischen Artikeln sollten es am Ende des ganzen Konzerts laut Medienberichten sein. Erstaunlich wenig.

Rauchbomben und Bengalos

Die Begeisterung mit Rauchbomben zeigen – das sollte alles andere als ein Einzelfall bleiben, wie sich schon bei den ersten Gitarrenriffs der Stone Roses zeigte. Mitten in der nun dichter gewordenen Menge etwa in der Stadionmitte stehend, wurden wir so eingenebelt, dass wir maximal zwei Reihen weit sehen konnten – von der Bühne keine Rede.

Weiter vorne blitzten während des 1,5-stündigen Konzerts auch immer wieder Bengalos auf. Crazy Scots!

Wie konnten sie bloß derart viele Rauchbomben und bengalische Feuer ins Stadion bringen? Keine Taschen und Rücksäcke waren bei den Besuchern zu sehen, die Hampden-Administration erlaubt bei Großveranstaltungen nur "small stuff". Vermutlich wendeten die Pyro-Fans dieselbe Taktik wie bei Fußballspielen an, denn auch dort ist ja das Mitbringen pyrotechnischer Mittel verboten. Eigentlich. Kurz überfiel einen zwischendurch doch ein leicht mulmiges Gefühl: Wär blöd, wenn jetzt Panik ausbricht oder was passiert…. Aber dann – auf der Bühne ging die Show weiter, ein Klassiker folgt dem anderen. Inmitten einer gleichgesinnten Menge, die fröhlich und begeistert mitsang, ließen wir uns gerne mitreißen.

Und die Security? Die hatte längst keine Chance mehr, zu den Verursachern der bunten Rauchnebel durchzudringen. Als sie es bei den ersten Songs doch noch einmal in unserer Nähe versuchten, wurden die beiden richtiggehend abgedrängt. Solidarische Nachbarn hatten einen Schutzwall um den Rauchbombenzünder gebildet. Unverrichteter Dinge mussten die beiden Securitys wieder abziehen. Ganz ohne Rambo-Allüren übrigens, dafür mit einem Lächeln.

Die Szene war typisch für all unsere Eindrücke dieser Tage in Schottland: Wir spürten keine Aggressivität, keine Gewalt. Vor allem die Polizei vermittelte bei ihrem Auftreten Ruhe und Gelassenheit – ganz anders, als man es oft von heimischer Polizei in kritischen Situationen gewohnt ist.

Typisch britischer Abgang

Nach dem Konzert folgt ein typisch britischer Abgang: Die zigtausenden Besucher verlassen geordnet das Stadion, in Österreich ist man da mehr chaotische Zustände und vor allem drängelnde, rücksichtslose Menschen gewohnt. Vor den Busstationen bildeten sich lange, ordentliche Schlangen, andere zogen in Massen Richtung Bahnstation. Dazwischen immer wieder berittene Polizei, die die Menge zu kanalisieren versuchte. Die kleine Vorstadt-Bahnstation dürfte irgendwann überfüllt gewesen sein, wir hingen plötzlich fest, wurden eine halbe Stunde im Kreis um Häuserblöcke umdirigiert. Kurz merkte man da leichten Unmut in der Menge vorne. Doch plötzlich - ein Fenster ging auf, heraus dröhnten – die Stone Roses. Und schon wurde auf der Straßen lautstark mitgesungen, Gefahr gebannt.

Unser Fazit vom Kurzurlaub in einem Land, das bereits mehrere Terroranschläge erlebte: Ja, der Terror hat Europa verändert - schon allein dadurch, dass man bei Auslandsreisen und Menschenansammlungen daran denken muss. Aber sich davon unterkriegen lassen? Nein. Auch nicht als Reisender. Denn die Eindrücke zählen. Auch dann, wenn man nicht wegen eines Konzerts seiner Jugendhelden nach Großbritannien fliegt.

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