Frankreich: Achtloser Umgang mit Roma
Voll bepackte, am Dach mit Matratzen beladene Wohnmobile und Kleinbusse rollen über den Schotter; Einsatzwagen der Exekutive, Bagger und Planierraupen kommen ihnen entgegen. Dazwischen schieben Mütter unter Aufsicht der Polizei Kinderwagen weg von den Hütten, die gleich auf staatliche Anordnung plattgemacht werden.
Die Szene ist typisch für die Räumung eines Roma-Lagers, wie sie Frankreich derzeit wieder erlebt. Allein diese Woche wurden zwei Siedlungen geräumt, mehrere Hundert Roma mussten ihre Behausungen aufgeben. Frankreichs sozialistische Regierung gerät dabei immer mehr unter Druck.
Kurswechsel
Als Wahlkämpfer hatte François Hollande angekündigt, er wolle mit dem Thema sensibler umgehen als sein Vorgänger Nicolas Sarkozy, der 2010 Massenabschiebungen hatte durchführen lassen. Davon ist jetzt wenig zu merken.
Die internationale Kritik am Umgang Frankreichs mit den Roma wird immer lauter. Die UNO wirft der französischen Regierung vor, die schlechten sanitären Zustände in den Roma-Siedlungen als Vorwand zu nutzen, um die Migranten abschieben zu können. Auch der „Bonus" von 300 Euro pro Erwachsenem und 150 Euro pro Kind bei „freiwilliger Ausreise" wird kritisiert: So erspart es sich die Regierung, die Abschiebung einzeln und schriftlich zu begründen. Das müsste sie aber tun, weil es sich fast ausschließlich um EU-Bürger aus Rumänien und Bulgarien handelt.
Unter Beobachtung
Die EU-Kommission hat Frankreich bereits Anfang August wegen seiner Roma-Politik unter Beobachtung gestellt. Bis heute, Freitag, muss die französische Regierung in Brüssel einen detaillierten Plan vorlegen, wie sie künftig mit den Zehntausenden Roma aus Ost-Europa umgehen will. Kommende Woche wird Justiz-Kommissarin Viviane Reding in Paris mit Innenminister Manuel Valls konferieren. Sie will konkrete Maßnahmen sehen: Etwa die versprochenen „Eingliederungsviertel", die in Lille und Lyon angekündigt wurden und für die 470.000 Euro aus dem EU-Regionalfonds zur Verfügung stehen.
Bereits 2010, als Sarkozy Tausende Roma abschieben ließ, hatte sich die EU-Kommission eingeschaltet. „Wir intervenieren jetzt so wie 2010 unter Sarkozy", sagt eine Sprecherin der Kommission zum KURIER. „Jeder muss sich an EU-Regeln halten, und es ist Aufgabe jedes Landes, sich der Roma-Bevölkerung anzunehmen." Seit heuer müssen alle Mitgliedsstaaten jährlich ihre nationale Roma-Strategie vorlegen. „Das kann nur ein erster Schritt sein", heißt es aus der Kommission. „Frankreich hat zwar seit dem Vorjahr verbesserte Gesetze zum Umgang mit Migranten – jetzt müssen sie aber auch in der Praxis angewandt werden."
Arbeitserlaubnis
Derzeit wird geprüft, inwieweit es Arbeitserlaubnisse für Roma geben könnte – Bulgaren und Rumänen haben in Frankreich (wie auch in Österreich) noch keinen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Regierung in Paris macht derweil klar, dass sie ihr Roma-Problem nicht allein lösen will. Premier Jean-Marc Ayrault will das Thema beim EU-Gipfel Ende Oktober behandeln. Innenminister Valls will im September nach Rumänien fahren. Seiner Meinung nach sollte es die Roma-Siedlungen in Frankreich gar nicht geben: „Ich möchte wissen, warum die Integration in den Ursprungsländern der Roma nicht möglich ist."
-
Hauptartikel
-
Hintergrund
Kommentare