Fall Grasser: "Dringender Tatverdacht"

Fall Grasser: "Dringender Tatverdacht"
Der Korruptionssumpf um KHG ist noch tiefer als vermutet – erstmals hat ein unabhängiges Gericht den Ermittlungsstand beurteilt.

Die interessierte Öffentlichkeit wird wohl nie genau erfahren, was Karl-Heinz Grasser im Hochsommer letzten Jahres dazu bewogen hat, einen Einstellungsantrag zu seinen Strafverfahren zu stellen. Womöglich wollte der ehemalige Finanzminister, der die Privatisierung der Bundeswohnungen stets als "supersauber" bezeichnet hatte, in der Hitze des Ermittlungsgefechts Druck aufbauen auf die Korruptionsfahnder, die ihm seit mehr als zwei Jahren im Nacken sitzen. Wenn dem so war, dann dürfte dem einst so smarten Sonnyboy mit dieser offensiven Verteidigungslinie ein sträflicher Fehler unterlaufen sein:
KHG hat die österreichische Justiz möglicherweise unterschätzt.

53 Seiten

Fall Grasser: "Dringender Tatverdacht"

Dem KURIER liegt als erstem Medium die vollständige schriftliche Ausfertigung des Beschlusses des Landesgerichts für Strafsachen Wien vor, mit dem der "Antrag des Beschuldigten Mag. Karl-Heinz Grasser auf Einstellung des Verfahrens abgewiesen wird." Das 53-seitige Konvolut birgt durchaus Brisanz, es ermöglicht nämlich tiefe Einblicke in die von der Staatsanwaltschaft gegen Grasser und Co. zusammengetragenen Indizien.

Erstmals hat ein unabhängiges Gericht festgestellt, dass gegen Grasser nicht nur "gravierende Verdachtsmomente und aufklärungswürdige Unklarheiten" vorliegen. Erstmals hat eine weisungsfreie Richterin nach sorgfältiger Prüfung der derzeitigen Aktenlage darüber hinaus befunden, dass gegen den einstigen Politstar und Träger diverser Ehrenzeichen sogar ein dringender Tatverdacht besteht.

Wörtlich heißt es in dem Dokument: "Insgesamt ergibt sich daraus, dass gegen den Beschuldigten Mag. Karl-Heinz Grasser ein dringender Tatverdacht besteht und auch das Ergebnis der noch auszuwertenden Unterlagen zu einer Intensivierung des Tatverdachts gegenüber den Beschuldigten führen könnte." (siehe Faksimile)

Dicke Suppe

Soll heißen: Selbst ein sogenannter gravierender Tatverdacht hätte bereits ausgereicht, um die Ermittlungen gegen den Kristallprinzen weiterlaufen zu lassen. Bildhaft formuliert: Die Suppe, die Richterin Olivia-Nina Frigo nun auf ihre Konsistenz hin geprüft hat, ist deutlich dicker, als Grasser und dessen Berater-Umfeld der Öffentlichkeit seit Jahr und Tag glauben machen wollen.

Zur Erinnerung: Im Strafverfahren mit der Aktenzahl 316 HR 50/10p wird Grasser und Freunden vorgeworfen, an der Privatisierung der 60.000 Bundeswohnungen im Juni 2004 mitgeschnitten zu haben. Der Verdacht gegen KHG lautet auf Untreue und Amtsmissbrauch.

Die BUWOG ging bekanntlich in der Ära Grasser für 961 Millionen Euro an ein Bieterkonsortium rund um die Immofinanz, die Lobbyisten Walter Meischberger und Peter Hochegger kassierten dafür 9,61 Millionen Euro Provision. Der Provisionskuchen wurde in weiterer Folge via Steueroasen um die halbe Welt geschickt, ein Großteil (7,726 Millionen Euro) landete letztlich – laut Kriminalisten brüderlich geteilt – auf drei Konten in Liechtenstein, die von der Justiz mittlerweile dem Grasser-Trauzeugen Meischberger, dem Grasser-Freund Ernst Karl Plech und eben Grasser selbst zugerechnet werden. Grasser und Plech dementieren nicht nur diesen Vorwurf, sondern auch alle anderen strafrechtlich relevanten Verdächtigungen vehement – für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.
Der Beschluss des Landesgerichts wiegt umso schwerer, da die Richterin von einem dringenden Tatverdacht spricht, obwohl die aus Liechtenstein angeforderten Akten noch nicht vollständig eingelangt, geschweige denn ausgewertet sind.

Drohendes Waterloo

Rechtsexperten sind sich mittlerweile einig: Grassers Einstellunsgantrag vom 7. Juli 2011 dürfte ein Schuss ins Knie gewesen sein. Stellt im Falle einer Beschwerde durch Grasser auch das Oberlandesgericht fest, dass gegen den ehemaligen Finanzminister ein dringender Tatverdacht besteht, dann erlebte Grasser geradezu ein verteidigungsstrategisches Waterloo.
Fortsetzung im KURIER am Sonntag

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