Ex-Spitzenpolizist: "Jeder ist käuflich"

Ex-Spitzenpolizist: "Jeder ist käuflich"
Max Edelbacher, ehemaliger Leiter des Sicherheitsbüros, geht in seinem Buch Wurzeln und Auswüchsen der Korruption nach.

Jeder hat seinen Preis. Davon ist auch Max Edelbacher überzeugt."Jeder ist verführbar. Es kommt immer auf die Lebenssituation an", sagt der international gefragte Fachmann für Finanzsicherheit und die Bekämpfung von Versicherungsbetrug. Im KURIER-Interview lotet er die eigene Verführbarkeit aus. Psychologie hat den Juristen immer fasziniert. Als junger Polizist saß er, wenn er frei hatte, in Tiefenpsychologie-Vorlesungen. Jetzt hat er mit zwei Experten für die menschliche Psyche ein Buch geschrieben: "Der korrupte Mensch". Am 23. Oktober wird es präsentiert.

KURIER: Jeder weiß heute, wie korrupte Menschen agieren. Drehen wir die Sache einmal um: Wie reagiert ein integrer Mensch auf einen Bestechungsversuch?

Max Edelbacher: Ganz einfach: Er lehnt ab.

Ist es wirklich so einfach?

Die Verderbtheit ist natürlich verbunden mit dem moralischen Gefüge, in dem ich mich bewege. Dazu fällt mir ein französischer Film ein: Alter und junger Polizist gehen in ein Polizeilokal mittagessen, der Junge zückt die Geldbörse, der Alte sagt: "Hier zahlen wir nicht!"

In welchem "moralischen Gefüge" sind Sie groß geworden?

Mir ist daheim von Anfang an eingebläut worden: "Bleib integer, nimm nichts an, außer du erbringst dafür eine faire Gegenleistung." Geben und Nehmen ist etwas ganz Natürliches, aber es muss in einem Balanceverhältnis stehen.

Wenn man sich anschaut: Sechs Millionen für ein Sechs-Seiten-Gefälligkeitsgutachten – da klingt das Wort "Balance" wie Hohn.

Die Balance ist in eine totale Schieflage geraten. Das Augenmaß für Werte fehlt.

Woran liegt das?

Zum einen sicher daran, dass wir in einer extrem materialistischen Zeit leben. Früher hieß es in großen Korruptionsfällen, zum Beispiel bei Auftragsvergaben: "Mercedes oder Opel?" Wer den Mercedes angeboten hat, bekam den Zuschlag.

Heute sind wir jenseits des Mercedes ...

Weit jenseits. Heute werden teilweise Milliarden verschoben. Dem ist mit Moral nicht mehr beizukommen, denn die finanziellen Vorzüge sind so groß, dass diese Menschen keinem Argument mehr zugänglich sind.

Wenn Sie eine Art "Hitliste" erstellen müssten: Was sind die gravierendsten Fälle?

Ich glaube, die Telekomgeschichten sind schon sehr schlimm. Wenn es stimmt, das Schlaff und seine Partner allein durch den Verkauf eines bulgarischen Mobilfunkbetreibers, quasi über Nacht, 800 Millionen kassiert haben, dann sind das einfach andere Dimensionen. Zum Thema Eurofighter steht auch einiges an Parteienfinanzierung im Raum. Und BUWOG finde ich ebenso verblüffend arg. Wie da interveniert wurde ...

Interveniert wurde immer.

Das ist schon richtig. Aber früher gab es unter Politikern eine gewisse Zurückhaltung. Heute gibt es keinen Genierer mehr: Beraterverträge, die scheinbar ins Unendliche gehen, Inseratenvergaben – der moralische Verfall ist spürbar.

Was sind die Ursachen?

Erstens sind wir natürlich reicher ...

Und deshalb wollen alle noch mehr?

Ja, dahinter steckt die Gier. Man sieht das auch an der Wachstumsphilosophie. Wozu brauch’ ich das ewige Wachstum? Bricht wirklich alles zusammen, wenn wir nicht jedes Jahr zwei, drei Prozent mehr haben? Wir konsumieren und zerstören die Umwelt auf drei Generationen im Voraus. Da frage ich mich: Sind wir noch bei Sinnen? Wir sind doch selber korrupt bis in die Knochen, weil wir uns keine Gedanken über die Zukunft machen. Vielleicht ist das ein Todestrieb. Komisch ist es jedenfalls. Ich kann mir sowieso nichts mitnehmen und muss zu Lebzeiten heilfroh sein, wenn ich gesund bin, in die Natur gehen kann und meine Kinder aufwachsen sehe.

Das sind alltägliche Freuden. Glauben Sie, dass die ein schwer korrupter Mensch mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung empfinden kann?

Offensichtlich ist das bei diesen Menschen verschüttet. Wer rein vom Besitzstreben dominiert ist, dem geht die Natürlichkeit verloren.

Frage an den Kriminologen: Wie erfolgt die "Geschäftsanbahnung" bei Korruption? Ist das wirklich so plump wie in dem "Sunday-Times"-Video mit Ernst Strasser?

Also das war schon extrem. Man muss aber eines bedenken: Diejenigen, die wirklich viel Geld damit machen, werden unvorsichtig, sie stumpfen ab. Das könnte auch bei Strasser der Fall gewesen sein. Wenn es stimmt, was er in dem Gespräch sagt, dass er bereits fünf, sechs Kunden hatte, die ihm 100.000 Euro im Jahr gezahlt haben, ist anzunehmen, dass der Gewöhnungseffekt bereits eingetreten war. Und dann kommt ein zweiter Faktor hinzu: Es sitzt ihm eine hübsche Frau gegenüber. Eitelkeit und Imponiergehabe spielen bei Korruption eine wichtige Rolle.

Apropos Eitelkeit: Als Ernst Strasser Innenminister war, hat er Sie, den Chef des Wiener Sicherheitsbüros, wegen interner Kritik zuerst drei Monate in den Aufbaustab strafversetzt und später das Sicherheitsbüro aufgelöst. Wie sehr waren Sie damals gekränkt?

Ich gebe zu, die Versetzung war hart. Dabei dachte ich immer, mir würde so etwas nichts ausmachen. Plötzlich sitzt du in einem kleinen Kammerl, und keine Sau kümmert sich um dich. Da ist man betroffen. Im Mittelpunkt zu stehen entspricht dem Ego, der Eitelkeit. Daher nimmt man es immer mehr als selbstverständlich wahr.

Kamen Sie je in Versuchung, korrupte Taten zu begehen? Welchen Verlockungen waren Sie als Chef des Sicherheitsbüros ausgesetzt?

So wichtig war ich auch wieder nicht. Aber es kamen schon Sex-Einladungen, Einladungen zu Partys und gesellschaftlichen Ereignissen, bei denen mir immer klar war, dass ich sie nicht annehmen darf. Ich bin relativ jung Chef geworden. Hätte ich nicht meine Erziehung von daheim gehabt und meine Fähigkeit, mich selbstkritisch zu hinterfragen, wer weiß, vielleicht wäre ich auch in so etwas reingestolpert.

In Ihrer Amtszeit gab es schwere Vorwürfe, im Sicherheitsbüro werde bei Einvernahmen gefoltert. Wie stehen Sie heute dazu?

Das Ganze war wohl etwas übertrieben, weil sich einige Unterweltstrizzis bewusst angeschlossen hatten. Aber passiert ist sicher etwas, keine Frage. Wenn jemand beim Verhör gefoltert hat, so hat er das dem Chef nicht auf die Nase gebunden. Und wir, als Vorgesetzte, waren insofern fahrlässig, als wir das in Kauf genommen haben. So konnten wir unsere Pressekonferenzen geben: "200 Einbrüche geklärt!" Ein Triumph. Wie das Geständnis zustande gekommen war, haben wir nicht hinterfragt.

Gestehen Sie hier soziale Korruption ein? Wenn ich das Buch "Der korrupte Mensch" richtig gelesen habe, ist das, was Sie schildern, eine Form "psychosozialer Korruption".

Sicher, es geht hier um soziale Verführbarkeit. Die Eitelkeit ist die größte Gefährdung, dieser Wunsch, auch einmal in der Sonne zu stehen. Als Polizist hast du nicht immer Schokoladentage. Da genießt du es, mit einer Erfolgsmeldung dazustehen. Die Verführbarkeit ist groß.

Sie gehen hart mit sich selbst ins Gericht ...

Ja, aber ohne Selbsterkenntnis geht es nicht. Mein Grundsatz war immer: Achte auf den blinden Fleck zwischen Selbstbild und Fremdbild. Diese Reflexion ist ein wichtiger Zugang. Denn wie kann ich jemanden vernehmen, wenn ich selbst nicht weiß, wo Gott wohnt?

Genau dieses Gefühl hatte man bei mancher Einvernehmung durch die Parlamentarier im Korruptions-U-Ausschuss. Denken Sie, dass dieser Ausschuss etwas bewirkt hat?

Zum Teil ja, denn in mancher Hinsicht war ein politischer Wille erkennbar. Zweitens ist eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit eingetreten, und drittens eine gewisse Transparenz. Das sind jene drei Hebel, die – im Zusammenspiel – eine Veränderung im Großen bewirken können.

Sie werden in wenigen Tagen 68 und reisen unermüdlich von Vortrag zu Vortrag, von Sicherheitskonferenz zu Sicherheitskonferenz. Spüren Sie einen Auftrag, etwas besser zu hinterlassen?

Zumindest bilde ich mir das ein. Ich suche ständig den Kontakt zu Kollegen, will immer präsent sein. Mag sein, dass das meine Form der Korrumpierbarkeit ist. Aber ich interpretiere es anders und sage, dass ein Sendungsbewusstsein dahintersteckt. Ich glaube, wenn wir überhaupt eine Sinnhaftigkeit haben, dann die, eine Botschaft zu hinterlassen.

Wie lautet Ihre?

"Anständigkeit zahlt sich aus." Derzeit spüre ich das ganz stark. Wenn ich mit meinen beiden Co-Autoren unterwegs bin, ist das ein intellektuelles Vergnügen für mich. Das zahlt sich aus.

Anständigkeit zahlt sich vielleicht im ideellen Sinn aus – im finanziellen wohl kaum.

Stimmt. Das Bild, das wir derzeit täglich sehen, zeigt exakt das Gegenteil. Aber glauben Sie mir, reiche, korrupte Menschen sind nicht glücklicher als jene, die sich den Bezug zu natürlichen Freuden bewahrt haben.

Korruption macht reich ...

... aber nicht glücklich. Diese These stelle ich jetzt so in den Raum.

Zur Person: Kämpfer gegen Korruption

Polizeijurist Maximilian Edelbacher, geb. 1944, kam 1972 als Jurist in den Polizeidienst, 1976 ins Wiener Sicherheitsbüro, das Kaiser Franz Joseph 1858 nach dem Vorbild der Pariser Sûreté gegründet hatte. 1988 wurde er dessen Leiter. Wegen Kritik an der Polizeireform durch den damaligen Innenminister Strasser wurde er 2001 für drei Monate in den Aufbaustab des Bundeskriminalamts versetzt. 2002 wurde das Sicherheitsbüro aufgelöst, und Edelbacher wurde Leiter des Kriminalkommissariats Süd. 2006 ging er in Pension.

Autor Als Experte für Korruption und Finanzverbrechen ist er internationaler Vortragender und Gastdozent an Universitäten. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, zuletzt als Mitautor: "Financial Crimes: A Threat to Global Security" (CRC Press), ein Buch, das die Gefahren aufzeigt, die vom Finanzsektor ausgehen und Lösungsmöglichkeiten der Finanzkrise aufzeigt.

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