Die spröden Spuren der Mauer

Die spröden Spuren der Mauer
Weltgeschichte: Am 13. August 1961 entstand das tragische Symbol des Kalten Krieges - die Berliner Mauer. Ein Ortstermin 50 Jahre danach.

Wir konnten es nicht fassen, was sich da vor unseren Augen abspielte", erzählt Stefan Heyde. Als Vierzehnjähriger stand er an diesem August-Sonntag 1961 in seiner Ackerstraße, über die ostdeutsche Maurer quer eine Ziegelwand hochzogen. Anfangs sah er noch drüber, bald nur mehr die Mauer und Volkspolizisten mit Maschinenpistolen dahinter.

Heute sprechen Berliner wieder darüber. Sie tun es wie Heyde für Bücher und für viele Ausstellungen zum 50. Jahrestag. Sie erinnern sich, wie sie plötzlich mit der Absperrung rund um die Stadt aufwachten, aus der im Laufe des Tages rasch "die Mauer" wuchs: Im Osten mit dem Gefühl von Ohnmacht und Verzweiflung, im Westen mit dem von Ungläubigkeit und Wut.

Leichter wird heute darüber im Westen geredet: Vielleicht, weil die "Ossis", die trotzdem flohen, und die, die seit dem Fall der Mauer 1989 nach Westberlin zogen, das Trauma besser bewältigten als die meisten im Osten Gebliebenen. Ein Gespräch über die Ereignisse wird von denen öfter abgeblockt. Bei Alten lebt die Teilung oft fort: Die Kluft zwischen bürgerlichem Westen und proletarischem Osten bestand ja auch schon vor 1945.

Für alte Berliner ist daher die doppelte Reihe von Pflastersteinen, die sich durch den Asphalt der Straßen und Gehsteige in Berlin Mitte zieht und den Verlauf der Mauer markiert, eine ambivalente Erinnerung.

Fremde sind leicht verwundert: Hier soll die Todesgrenze gewesen sein? Denn natürlich ist seither wieder das meiste zusammengewachsen, ununterscheidbar. Neubauten haben unzählige Brachen aus dem Krieg geschlossen, auf denen die Mauer stand. Die einst verwahrlosten Altbauten auf beiden Seiten strahlen renoviert um die Wette mit den Plattenbauten der DDR: neue Lebensqualität.

Am ehesten findet sich noch im hinteren, östlicheren Kreuzberg das Gefühl vom toten Winkel, das in der Mauerzeit Westberlin so einmalig machte - und attraktiv für Außenseiter aller Art.

Mauer im Kopf

Die spröden Spuren der Mauer

Anders ist es mit den Einheimischen. Viele Westberliner gehen immer noch nicht in den "Osten". Sie tragen denen "drüben" ihr Eingesperrtsein von damals nach. Wobei die Ostler es natürlich genauso waren, sieht man davon ab, dass sie die ganze DDR als Hinterland hatten, aber nie in den Westen durften. Auch viele Ostler weigern sich bis heute, in den "Westen" zu gehen. Sie haben ja jetzt alles, was es zum guten Leben braucht. Und wachsendes Selbstbewusstsein auf ihr trotz allem gelebtes Leben.

Anders die Jungen. Für sie macht der latente Ost-West-Gegensatz Berlin zur hippsten Stadt Deutschlands und dessen oft schäbiger Schick sie attraktiv: Das ergibt interessante Grenzüberschreitungen in jeder Hinsicht. Seit der Öffnung der Mauer 1989 hat sich die Hälfte der 3,4 Millionen Bewohner des wieder vereinigten Berlin ausgetauscht. Das und die Wiedererrichtung als Hauptstadt brachte neue Dynamik.

Nach dem 9. Oktober 1989 wurde die Mauer rasch und radikal entfernt. "Mauerspechte", die Souvenirjäger mit Hammer und Meißel, kamen kaum nach mit dem Ausbrechen der Mauerstücke, die heute teuer verkauft werden (45 € für gut bemalte im Souvenirshop des Hotels Adlon). Heute steht fast nichts mehr von der Mauer.

Beschönigend

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Und was übrig blieb, ist fast immer ein Fragment, eine Beschönigung. Wie die "Eastside Gallery", die mehrfach restaurierte Mauer entlang der Havel bis zur pittoresken Oberbaumbrücke, wo Generationen von Graffiti-Malern sich mehr oder weniger originell verewigten. So sah die echte Mauer genauso wenig aus wie an den meisten anderen Stellen, wo noch Fragmente stehen, wie etwa hinter dem Bundestag oder dem Finanzministerium: Fast überall sind es nur mehr Reste der vordersten, lediglich 2,80 Meter hohen Mauer, die vom Westen aus gemütlich beschmiert werden konnte.

Den 35 Meter breiten Todesstreifen dahinter mit seinen zwei höheren Mauern sieht man nur mehr original an der versteckten "Gedenkstätte Bernauer Straße". Dort stellt sich am ehesten das Gefühl der Beklemmung für die Brutalität der kommunistischen Diktatur ein.

Spötter meinen, diese Erinnerung an den Zynismus der Sozialisten sei bewusst aus dem Blickfeld gerückt worden. Sie würde die Verklärung der Mauer als pittoreske Erinnerung rund ums Brandenburger Tor behindern, das Prickeln der Geschichte doch zu sehr stören. Und den Stolz der Ostler.

Reflexion

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Neueste Umfrage zum Thema Mauer, 22 Jahre nach deren Fall: Nur 41 Prozent der Ostberliner halten ihre Errichtung für falsch, alle anderen für irgendwie gerechtfertigt. Zehn Prozent bedauern auch 2011 noch - oder wieder? - sogar ausdrücklich, dass sie gefallen ist.

Schwer fassbare Zahlen, denkt man an das Leid, das das Bauwerk und seine unerbittlichen Bewacher verursachten. Tausenden Ostdeutschen gelang trotzdem die Flucht aus dem Paradies des "Arbeiter- und Bauernstaats". Je nach Zählung bezahlten bis zu 230 Mutige oder Verzweifelte für den Versuch mit ihrem Leben.

Das wird bis heute von der direkten Nachfolgerin der damaligen Elite-Partei SED, der "Linken" beschönigt. Sie bekommt trotzdem in Ostberliner Bezirken wieder bis zu 40 Prozent und regiert die wiedervereinigte Stadt mit.

Die Geschichte kann eben ironisch sein. In Berlin ist sie aber letztlich sehr tröstlich.

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