Die Politik – eine Beziehungskiste
Vor einigen Jahrzehnten, als die politische Welt noch übersichtlicher (aber deshalb auch nicht einfacher) war, standen einander im Wesentlichen zwei Lager gegenüber: die Sozialisten (Arbeiter, Pensionisten und Wiener) und die bürgerlichen Schwarzen (Bauern, Handwerker, Beamte und Kirchgeher). Der ideologische Graben war tief. Jetzt drängeln sich fast alle österreichischen Parteien irgendwie links der Mitte – lediglich beim Thema Ausländerpolitik steht die FPÖ klar rechtsaußen. Trotzdem scheint oberflächlich betrachtet keiner mehr mit dem anderen zu können.
Wobei es die Sozialdemokraten einfacher als die Schwarzen haben, außerhalb der (einst) Großen Koalition Verbündete zu finden. Sieht man einmal davon ab, dass Michael Häupl von Maria Vassilakou gerade ein bisserl genervt ist, sind einander Rot und Grün in sehr vielen Fragen nah und betonen das auch gerne.
Nicht mehr charmant Für die ÖVP hingegen sind die Zeiten vorbei, in denen man Schwarz-Grün "charmant" (welch unpassendes Wort) fand. Wobei es fast niemanden in der Partei gibt, der nicht zugibt, dass es Wolfgang Schüssels schwerster Fehler war, 2003 noch einmal mit dem Master-of-Desaster-Partner Jörg Haider zu koalieren statt Schwarz-Grün zu wagen. (Sein zweitschwerster war, Karl-Heinz Grasser bedingungslos zu vertrauen, und sein drittschwerster, Elisabeth Gehrer nicht rechtzeitig gehen zu lassen).
Mit einem Auge auf die nächste Nationalratswahl malt die ÖVP nun das rot-grüne Chaos-Gespenst an die Wand. Aber auch mit den Blauen, und das macht Michael Spindeleggers Lage schwierig, könnten die Roten momentan wahrscheinlich besser als die Schwarzen. Die versprengten bürgerlichen Elemente, die es im einstigen "Dritten Lager" noch vor 2000 gab, sind verschwunden.
Intakte Vernunftehe
Aber in Wahrheit sind Rot und Schwarz einander ohnehin unbemerkt nähergerückt. Die SPÖ ist auf einen pragmatischen europapolitischen Kurs eingeschwenkt und will an den peinlichen "Krone-Brief" von einst nicht erinnert werden. Volksabstimmung über Europa-Entscheidungen? Nie gehört! Die ÖVP wiederum sekkiert die SPÖ nicht mit marktwirtschaftlichen Ideen. Vor lauter Skandal-Aufarbeitung geht unter, dass diese Vernunftehe zwar keine großen Reformschritte, dafür aber oft brauchbare Kompromisse zusammenbringt. Die schwarzen Attacken gegen den roten Verteidigungsminister und die roten familienpolitischen Markierungen der Frauenministerin sind taktisch-ideologische Grenzziehungen, aber keine ernsthaft koalitionsgefährdenden Störfeuer. Im Grunde wirken Rot und Schwarz wie ein altes Ehepaar: Lust auf einen Seitensprung? Theoretisch ja, praktisch aber viel zu anstrengend. Die Macken des anderen nerven, aber im Grunde lässt man ihn trotz aller Differenzen und unterschiedlicher Herkunft leben. Schließlich ist man einander mit den Jahren ein bisschen ähnlich geworden. Die Politik als Beziehungskiste – unglamourös, aber grundsolide.
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