Die Kirche und der Antisemitismus

Pope Benedict XVI prays at the centre for dialog and prayer next to Auschwitz Nazi concentration camp in Oswiecim May 28, 2006. Pope Benedict visited the Auschwitz death camp as "a son of Germany" on Sunday to meet former inmates and view an execution wall and starvation cells where some of the 1.5 million victims died. REUTERS/Katarina Stoltz
Der neue Papst wird dem kirchlichen Antijudaismus eine klare Absage erteilen müssen.

Eines der heikelsten Themen, das auf den nächsten Papst zukommen wird, ist die Haltung der römisch-katholischen Kirche zu Antisemitismus und Judenhass. Ein Thema, an dem der nunmehrige Alt-Papst Benedikt XVI. letztlich gescheitert ist.

Tatsächlich hat die Feindschaft gegen Juden in der christlichen Geschichte – vor allem auch im katholischen Österreich – eine lange Tradition. Schon früh in der Kirchengeschichte wurde den Juden die Schuld am Kreuzestod von Jesus Christus gegeben – in völliger Verkennung der Tatsache, dass Jesus Jude war. Mit dem Vorwurf des „Gottesmordes“ gab man den Juden eine Kollektivschuld am Tode Christi.

Weiters wurde von christlicher Seite den Juden vorgeworfen, sie hätten es verwirkt, das auserwählte Volk Gottes zu sein, denn sie hätten die Ankunft des Erlösers auf Erden nicht erkannt.

Ritualmord-Lügen

Daraus leiteten sich zahllose Ritualmord-Legenden und Pauschal-Anklagen gegen die Juden ab – vom Mittelalter bis in die Neuzeit. Eine Ritualmord-Lüge war kaum auszurotten: Dass Juden Christenkinder töten und ihr Blut für kultische Zwecke verwenden (siehe unten die Legende vom Anderl von Rinn) – immer wieder ein Vorwand für antijüdische Pogrome.

Ein trauriger Höhepunkt war die Vertreibung der Juden durch die katholischen Könige Spaniens 1492 von der Iberischen Halbinsel. Und letztlich gipfelte der europäische Antisemitismus im Rassenhass der Nationalsozialisten und der Ermordung von bis zu sechs Millionen Juden im Holocaust.

Der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn hat es klar angesprochen: Es sei „die bleibende Verantwortung, die Verbrechen des Nationalsozialismus aufzuarbeiten – gerade auch für die katholische Kirche.“ Schönborn: „Wer Christ sein will, muss sich der jüdischen Wurzeln seines Glaubens bewusst sein, muss sie lieben und hoch schätzen.“

Nicht, dass Papst Benedikt XVI. nicht ebenfalls Antisemitismus – auch oft als Antijudaismus bezeichnet – und Holocaust scharf verurteilt hätte. Doch immer wieder geriet er in die Kritik, es wurde ihm vorgeworfen, seinen Aussagen fehle die klare Verurteilung des christlichen Antisemitismus.

Dabei hatte auch Benedikt XVI.wie sein Vorgänger Johannes Paul II. dem KZ Auschwitz einen Trauerbesuch abgestattet und in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem der Opfer des Holocaust gedacht. Aber vielleicht nahm man dem Papst aus Polen, Karol Wojtyla, die Worte zu dem Thema eher ab als Joseph Ratzinger, dem Papst aus Deutschland mit seiner Jugendvergangenheit als Flakhelfer im Zweiten Weltkrieg.

Schuldeingeständnis

Die Kirche und der Antisemitismus
Johannes Paul II. hatte sich zu Ostern des Heiligen Jahres 2000 in einem einmaligen Akt der Schuldanerkennung als erster Papst der Kirchengeschichte vor aller Welt für die Beteiligung der katholischen Kirche am Antisemitismus, an Hexenverbrennungen, Kreuzzügen und anderen Glaubensentartungen entschuldigt. Schon 1986 hatte er als erster Pontifex der Kirchengeschichte in Rom eine Synagoge besucht.

Den wichtigsten Schritt aber hatte schon das Zweite Vatikanische Konzil in der Erklärung „Nostra Aetate“ im Oktober 1965 getan. Es stellte erstmals klar: „Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben, kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen.“ Der christlich verbrämte Antisemitismus wurde als Fehler erkannt und bedauert.

Dennoch tat und tut sich die katholische Kirche mit diesem Thema nach wie vor schwer. So erregte Benedikt XVI. erneut Kritik, als er bei seiner Karfreitags-Fürbitte 2008 trotz jüdischer Proteste in den Kirchen verlesen ließ: „Lasst uns auch beten für die Juden, auf dass Gott, unser Herr, ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus als den Retter aller Menschen erkennen.“

Zwiespältiger Kurs

Aber auch der Kurs früherer Päpste zum Antisemitismus steht bis heute in Diskussion. Unbestritten ist die Würdigung der offenen Kritik, die Papst Pius XI. im Jahr 1937 am Nationalsozialismus übte: In der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ erteilte er der NS-Rassenlehre eine scharfe Absage und ortete im Gedankengut der Nationalsozialisten „Angriffe auf Christus und seine Kirche“.

Dem steht die Rolle seines Nachfolgers Pius XII. (1939-1958) entgegen: Eugenio Pacelli hatte Deutschland als Nuntius nach Ende des Ersten Weltkriegs hautnah erlebt. Historiker werfen ihm bis heute vor, als Papst zum Holocaust geschwiegen und nichts gegen die Verbrechen der Nazis getan zu haben. Der Vatikan verteidigt Pius XII. mit dem Argument, er habe damals zahlreichen Juden das Leben gerettet.

Die Kirche und der Antisemitismus
Oswiecim, 1979 Pope John Paul II's first Pilgrimage to Poland. (Photo by Forum/UIG/Getty Images)
Nicht nur in Rom, auch in Österreich tut sich die Kirche bis heute schwer mit der Rolle in der NS-Zeit: Der Erklärung der österreichischen Bischöfe unter Kardinal Theodor Innitzer vom 18. März 1938, in der sie „Ja“ zum „Anschluss“ sagten, stehen die Proteste von 7000 Jugendlichen gegen die Nazis bei der Rosenkranzfeier im Stephansdom am 7. Oktober 1938 gegenüber – die größte Kundgebung gegen das NS-Regime in Österreich.

Und die Rolle des österreichischen Bischofs Alois Hudal, ab 1923 Rektor des deutschen Priesterkollegs „Anima“ in Rom und glühender Deutschnationaler, ist längst nicht restlos aufgearbeitet. Er hatte den Ruf eines „Hoftheologen der Nazis“, bei Kriegsende 1945 betätigte er sich als Fluchthelfer für Nazi-Größen. Hudal half mit bei der Errichtung der „Rattenlinie“, einer Fluchtroute für Top-Nazis über Österreich und den Balkan in den Nahen Osten und bis Südamerika.

Hudal scheint Beweis zu sein für die Richtigkeit des Ausspruchs von Kardinal Franz König: „Die tiefste Wurzel des Antisemitismus ist das Religiöse.“

Eine der typischen Ritualmord-Lügen über Juden hat sich in Österreich bis heute gehalten. Die „Legende vom Anderl von Rinn“ dient Unbelehrbaren als Vorwand für Wallfahrten zum „Judenstein“ bei Innsbruck – obwohl sie nicht nur historisch als falsch bewiesen, sondern von kirchlicher Seite als antisemitischer Kult verurteilt ist. Der Gedenktag für den „Anderl von Rinn“ wurde 1953 vom Innsbrucker Bischof Paulus Rusch aus dem kirchlichen Kalender gestrichen. Die alljährlichen offiziellen Wallfahrten wurden 1994 von dessen Nachfolger Bischof Reinhold Stecher, der Ende Jänner verstorben ist, definitiv verboten. Schon 1985 hatte Stecher die Entfernung der angeblichen Gebeine „Anderls“ aus dem Altar der Rinner Kirche veranlasst, auch ein antijüdisches Mosaik wurde übermalt.Die „Anderl-Legende“ geht auf das Jahr 1642 zurück. Damals behauptete der Haller Stiftsarzt Ippolito Guarioni in Anlehnung an die Legende des „Simon von Trient“ (1475) den mehr als 150 Jahre zurückliegenden „Märtyrertod“ des Tiroler Buben. Das Kind sei von vorbeiziehenden jüdischen Kaufleuten ermordet worden. Professor Klaus Davidowicz vom Judaistik-Institut der Uni Wien dazu: „Man hat die Legende einfach geklaut.“ Doch 1753 wurde der Kult von Papst Benedikt XIV. kanonisiert. 1816 sorgten die Gebrüder Grimm für die Verbreitung in ihrem Buch „Deutsche Sagen“.

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