"Die Kirche ist abgeschrieben"
David Steindl-Rast ist ein gefragter Vortragender, der um die Welt reist. Zwischen seinen Reisen lebt der Benediktinermönch in jenem Kloster im US-Bundesstaat New York, dessen Gemeinschaft er seit 1952 angehört. Sein Beitrag zum Dialog der Religionen macht den gebürtigen Österreicher zum Ansprechpartner für Menschen aller Konfessionen. Der KURIER traf ihn vor einem Vortrag im Europakloster Gut Aich in St. Gilgen.
KURIER: Sie sind vor 60 Jahren in die USA gegangen. Dort kommt Gott in beinahe jeder Wahlrede vor, bei uns sind Kirche und Politik getrennt. Hat Religion in Amerika einen anderen Stellenwert?
David Steindl-Rast: Das ist reine Äußerlichkeit. Die Fundamentalisierung ist dort stark, aber eher als kulturelle Haltung, nicht aus religiöser Überzeugung. Interessant finde ich, was ich an jungen Menschen beobachte: einen großen Hunger nach Spiritualität, sowohl in Amerika, als auch in Europa. Aber kein Interesse für die Kirche.
Ist Kirche uninteressant?
Die Kirche ist einfach abgeschrieben. Man steht ihr entweder feindselig oder gleichgültig gegenüber. Sobald ich aber von Jesus spreche, stößt das auf eine gewisse Wärme, auf Interesse. Man kann es so beschreiben: "Jesus ja, Kirche nein." Diese Grundstimmung ist weit verbreitet, hier wie drüben.
Sie orten einen "großen Hunger nach Spiritualität". Was heißt das konkret?
Das ist einerseits die Suche nach wahrer innerer Lebendigkeit, spiritus bedeutet Geist, Lebensader. Und es ist eine große Sehnsucht nach Heilung und Heil. Die Menschen fühlen einfach, dass sie nur halb lebendig sind, körperlich, seelisch, geistig.
Sie werden kommenden Monat 86 Jahre alt und haben ein Buch zum "Jahr des aktiven Alterns" geschrieben ("Und ich mag mich nicht bewahren", Tyrolia) . Besuchen vor allem ältere Menschen Ihre Vorträge?
Wenn man selber im Alter seine Sterblichkeit zu spüren beginnt, wird die Spiritualiät verstärkt Thema. Ich glaube aber, wir müssen heute eine Spiritualität finden, die alle Menschen anspricht. Die Suche ist in jedem Alter und in allen Bereichen spürbar.
Wo besonders?
In der Wirtschaft. Die Sehnsucht nach neuen Werten wird immer stärker. Ich habe aber auch sehr viel mit erfolgreichen jungen Managern zu tun. Die wollen Einkehrtage mit mir halten. Viele sagen: "Alles, was man erreichen kann, haben wir erreicht. Was kommt danach?"
Und was ist Ihre Antwort?
Dankbarkeit. Das ist eine menschliche Haltung, die man sich aneignen kann. Und es ist eine Art von Spiritualität, die allen Religionen gemeinsam ist, Buddhisten genauso wie Hinduisten, Juden wie Christen ...
Wo sehen Sie sich selbst?
Für mich ist die christliche Tradition tragend. Aber ich sehe, dass das nur EIN Zugang zu einer allgemeinen menschlichen Religiosität ist.
Sind Sie häufig mit dem Vorwurf religiöser Beliebigkeit konfrontiert?
Ich glaube, ich drücke mich klar genug aus, damit mir dieser Vorwurf nicht gemacht wird. Im Grunde geht es um immer um Beziehung. Die einzelnen Religionen drücken das nur unterschiedlich aus. Der christliche Zugang ist sicher ein sehr guter, ein sehr geschulter Zugang. Aber im Augenblick offensichtlich nicht so lebendig, nicht so ansprechend für die Menschen ...
Ist das mit ein Grund, warum katholische Messen bei uns immer weniger besucht werden, aber Tausende Menschen dieser Tage den Dalai Lama sehen wollten?
Bei uns finden viele Menschen den Zugang zu ihrer Religiosität auf anderen Wegen und gehen dann zum Christentum zurück. Ich bin vielen Menschen begegnet, die durch den Buddhismus wieder zum Christentum gekommen sind.
Der österreichische Weihbischof Laun hat Sie in einem Kommentar angegriffen. Sein Vorwurf: Wenn Sie sagen, die Stille, das Schweigen des Buddhismus verbinde Menschen, würden Sie nicht verbinden, sondern entzweien – und zwar sich selbst von jedem Christen, der das "Wort Gottes" ernst nehme.
Ich habe natürlich nicht gesagt, dass das Wort entzweit, ebenso wenig meine ich, dass das Schweigen notwendigerweise verbindet. Aber das ist ein guter Anlass, das zu klären: Wir im Westen haben das Wort, der Buddhismus hat das Schweigen, der Hinduismus hat das Tun. Und alle drei gehören untrennbar zusammen.
Bischof Laun ist nicht der Einzige, der Ihnen in katholischen Kreisen kritisch gegenübersteht. Dabei hat Sie doch einst Ihr eigener New Yorker Abt ausgesandt, um den interreligiösen Dialog zu fördern ...
... und den Buddhismus zu studieren. Das kam nicht nur vom Abt, sondern auch aus Rom, von der Glaubenskongregation. Ich habe dazu noch ein Papier aus 1966.
Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zum Dalai Lama, er hat für eines Ihrer Bücher das Vorwort geschrieben?
Es ist ein großes Privileg, ihm nahe zu sein. Vor einiger Zeit waren wir bei einer Tagung und haben dem Vortrag des jeweils anderen zugehört. Da hat er während seines Vortrags rübergegriffen, mir diesen kleinen Gebetsring vom Finger genommen und mir seine riesengroße Gebetsschnur gegeben. Nach dem Vortrag haben wir wieder getauscht, und er hat gelacht: "So klein, so klein!" Er lacht so lustig.
Das klingt ganz anders, als katholische Würdenträger öffentlich auftreten ...
Von Mönch zu Mönch funktioniert die Verbindung. Dass aber eine Verbindung der Traditionen jemals durch religiöse Autoritäten zustande kommt, bezweifle ich.
Also bleibt die Verbindung unter Religionen Utopie?
Nein, ich glaube nur, dass sie von unten kommt. Nehmen wir die Ökumene: Menschen, die sich als Christen verstehen, setzen heute keine Barriere zwischen katholisch und protestantisch. Wenn man sich aber vorstellt, dass Würdenträger das täten – das passt nicht. Die haben sich durch ihren Beruf den Weg dorthin verstellt. Sie müssen ja ihr Gebiet verteidigen. Ich hingegen habe nichts zu verteidigen. Ich bin ein Mönch.
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