Die historische Nacht von Brüssel

Schule: Die Zeit drängt
Nicht nur die Briten müssen sich jetzt entscheiden: Europa – ja oder nein?

Bei den Beschlüssen des EU-Gipfels dieser Woche wird man nicht von einem historischen Ereignis sprechen können. Gut, die Bekämpfung der Verschuldung und die dafür notwendige europäische Kontrolle wurde vereinbart, das ist schon etwas. Aber in einem anderen Sinn bekommt dieser Gipfel doch historische Dimension. Seit dieser nächtlichen Sitzung muss jeder Politiker und jeder Bürger verstanden haben, dass die EU sich weiterentwickeln muss. Dass für große Probleme, wie die Schuldenkrise, nur gemeinsame Lösungen helfen. Und da muss jetzt jedes Land für sich entscheiden, ob es in den eigenen Grenzen sein Glück findet oder doch lieber auf ein Europa von vielen Hundert Millionen Menschen vertraut.

Großbritannien ist da in einer besonderen Situation. Das einstige Weltreich hat sich noch immer nicht damit abgefunden, dass eine große Vergangenheit und Atomwaffen alleine kein Zukunftsrezept sind. In dem Land, wo Dampfmaschine und Kapital die industrielle Revolution eingeläutet haben, ist nicht viel übergeblieben. Die Fabriken sind kaputt, prominente Marken, etwa von Autos, wurden ins Ausland verkauft. Die Umstellung auf die Dienstleistungsgesellschaft stockt, die Finanzwelt der berühmten Londoner City bietet zu wenig Arbeitsplätze. Die Jugendarbeitslosigkeit in Großbritannien ist ebenso rekordverdächtig wie die Verschuldung.

Und da polemisiert eine skurrile Arbeitsgemeinschaft aus Konservativen und Boulevard gegen jeden Einfluss von außen auf niedrigstem Niveau. Ein David Cameron, der nicht hart genug gegen die EU auftritt, wird mit Neville Chamberlain verglichen, jenem Premierminister, der 1938 in München bei Hitler Frieden um jeden Preis erreichen wollte.

Europa der Bürger

Die britische Regierung sollte eher früher als später ihr Volk fragen: Wollt ihr auf der Insel selig, aber arm werden – oder wieder aktiv in der EU mitmachen. Und auch in den anderen Staaten könnte man die aktuelle Entwicklung dazu nützen, wirklich das Volk einzubinden. EU-Gipfel, wo um fünf Uhr Früh bleiche Gesichter Ergebnisse vortragen, deren Tragweite ihnen selbst noch nicht klar sind, wirken nicht wie eine Werbesendung für Europa.

Es bedarf wohl keines Beweises, dass die aktuelle Verschuldung aller EU-Staaten eine Fehlleistung der jeweiligen nationalen Regierungen und nicht Schuld der Brüssler Behörden war. Daher ist die europäische Schuldenbremse mit scharfer Kontrolle aus Brüssel natürlich ein sinnvoller Zugang zum Abbau der Schulden. Ob das jetzt eine grundsätzliche Veränderung der Verträge darstellt, ist letztlich völlig unerheblich. Es verändert sich etwas im demokratischen Gefüge aller EU-Staaten, wenn der Bundeshaushalt nicht ausschließlich Angelegenheit Österreichs ist. Bei diesem entscheidenden Schritt muss unsere Regierung die Bürger mitnehmen, also das Volk befragen. Europa bekommt nur dann die nötige Akzeptanz, wenn wichtige Schritte erklärt,diskutiert und gemeinsam entschieden werden.

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