Die Grenzen der Wissenschaft

Die Grenzen der Wissenschaft
Neues Buch: Rupert Sheldrake, berühmter wie umstrittener Biologe, macht sich Sorgen um die Wissenschaft – er wünscht sich mehr Offenheit und Neugier.

Sein Studienkollege Timothy Hunt – immerhin Medizinnobelpreisträger – nennt ihn „einen der gescheitesten Menschen, die ich kenne“. Lange galt er auch als der klügste Darwiniaer seiner Generation, Harvard-Stipendiat und Mitglied der Royal Society – ein Klasse-Wissenschaftler also. Doch dann, 1981, veröffentlichte der aufstrebende Biochemiker Rupert Sheldrake sein ersten Buchs „Das schöpferische Universum“ und wurde von der Wissenschaftscommunity zum Aussätzigen erklärt. Nature verkündete damals, Sheldrakes Werk gehöre verbrannt.

Was hatte den Unmut der Mainstream-Wissenschaft derart herausgefordert? Rupert Sheldrake postulierte, dass alle Lebewesen und Dinge dank „morphischer Felder“ weltweit miteinander in Verbindung stehen, betrachtete die Welt als beseelten Organismus und untersuchte Phänomene, die andere Forscher fallen lassen, wie eine heiße Kartoffel – Telepathie zum Beispiel. Sheldrakes Theorien sind spekulativ, aber er ist Wissenschaftler: Hypothesen müssen in kontrollierten Experimenten überprüft werden. Genau das tut er – mit unglaublichen Ergebnissen.

Hellsichtig?

Die Grenzen der Wissenschaft

So untersuchte Sheldrake die Wahrnehmung fremder Blicke mithilfe Dutzender Leute, die einander nach einer genauen Versuchsanleitung abwechselnd in den Nacken starrten. Ob jemand angesehen wurde oder nicht, entschied ein Münzwurf. Anschließend musste die Versuchsperson angeben, ob sie die Blicke gespürt hatte. Ergebnis: Wer angestarrt wurde, konnte dies mit 58-prozentiger Wahrscheinlichkeit korrekt angeben. Rein statistisch wären 50 Prozent zu erwarten gewesen.

Sheldrakes Ergebnisse widersprechen so ziemlich allem, was Naturwissenschaftler heute über die Welt wissen. Er selbst tritt daher auch für offenere Ansätze im wissenschaftlichen Arbeiten ein. In seinem neuen Buch „Der Wissenschaftswahn“ wirft Sheldrake der Forschung vor, dass sie die Natur als Maschine betrachte, die man in Einzelteile zerlegen muss, um sie zu verstehen; dass Wissenschaftler das Leben auf Atome reduzierten, die Liebe auf Hormone, den freien Willen auf Synapsen. Die Wissenschaft sei in die Falle des Materialismus getappt und von Biochemikern, Hirnforschern und Physikern gekapert worden, schreibt er.

Sheldrakes Analyse trifft den Zeitgeist: Erst vergangene Woche beklagten Wissenschaftler in der Neuen Zürcher Zeitung, dass die Forschung zwar spektakuläre Erfolge feiere (Stichwort: Gottesteilchen oder die Entschlüsselung des menschlichen Genoms), die großen Zusammenhänge, wie die Welt funktioniere, aber rätselhaft blieben. „Je tiefer die Naturwissenschaft in die Geheimnisse der Welt eindringe, desto abstrakter werden ihre Entdeckungen“, beklagte etwa der Schweizer Biochemie-Professor Gottfried Schatz.

Hier setzt Sheldrakes Wissenschaftssystem-Kritik an: Er ärgert sich, dass keiner mehr die zentralen Glaubenssätze der Wissenschaft – und mehr seien es nicht – hinterfrage: Sind die Naturgesetze wirklich unveränderlich? Besitzt Materie tatsächlich kein Bewusstsein? Ist der Verstand auf das Gehirn beschränkt? „Ich hoffe“, sagt Sheldrake im KURIER-Interview, „dass mehr Wissenschaftler den Mut finden, diese verhärteten Dogmen der Wissenschaft zu hinterfragen und die ungelösten Fragen in der Forschung zu diskutieren.“ Sheldrake wünscht sich ein Coming-out der Wissenschaftler. „Die meisten glauben wohl, ihre Kollegen seien allesamt dogmatische Materialisten“ – und passen sich an, während er es schon immer mit Shakespeare hielt: Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich erträumen lässt.

Allwissend?

Sheldrake geht auch mit dem Allwissenheitswahn des Wissenschaftsestablishments hart ins Gericht: „Immer und immer wieder haben sie bewiesen, dass sie falsch liegen.“ In „Der Wissenschaftswahn“ schreibt er: Die autoritäre Struktur der Wissenschaften, die Illusion der Objektivität und die Träume von Allwissenheit seien veraltet. Quanten- und Chaostheorie legen die ganze Naivität und Arroganz offen, dass die Realität prinzipiell verstanden sei und nur noch Einzelheiten ergänzt werden müssten.

Besonders stört ihn, dass den Forschern das Staunen abhanden gekommen sei. Wenig erstaunlich: Rupert Sheldrakes provokante Thesen stehen auf der Amazon-Wissenschaftsbestsellerliste in Großbritannien weit oben. Sehr wohl erstaunlich: Sein Buch wurde ebendort respektvoll rezensiert. So schrieb etwa der Observer: „Vielleicht liegt da was in der Luft“ – nämlich die Versöhnung von Spiritualität und Naturwissenschaften.
Sheldrake selbst will jedenfalls „den Beginn einer nie dagewesenen Offenheit “ beobachtet haben.

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