Der Klassenkampf ums Gym

Der Klassenkampf ums Gym
Aufstand der Eltern: Immer mehr Schüler finden keinen Platz in der AHS-Unterstufe. Wird das Gymnasium von Schmied kaputt gespart?

Wir empfehlen Ihnen, Ihre Schulwünsche zu überdenken." Sadettin Demir hat einen Brief von der Schule bekommen: Für seinen Sohn Arda ist im Herbst in den beiden Bregenzer Gymnasien kein Platz frei. "Er hat zwei Zweier, sonst nur Einser", sagt der Diplom-Sozialarbeiter über seinen Sohn. Die Noten passen, er hat ihn auch rechtzeitig angemeldet. Es gibt einfach nicht genug Platz. Demir sagt, er wolle nur eines für Arda: "Die beste Bildung."

Patt

Die Frage ist: Gibt es die nur im Gymnasium (AHS)? Oder gibt es die auch in der Neuen Mittelschule (NMS)? Die NMS ist ein Produkt der Pattstellung zwischen SPÖ und ÖVP: Die SPÖ will die Gesamtschule; die ÖVP will sie um jeden Preis blockieren. Also gibt es seit 2008 die NMS – eine Art Hauptschule mit Turbo und Heckspoiler: neue Lernformen, zwei Lehrer pro Klasse, viele Projekte.

Das Problem ist: Der Ansturm auf die Gymnasien ist ungebrochen. Es gibt etliche Fälle wie Arda Demir. Im Bezirk Hermagor (Kärnten) haben Eltern 1300 Unterschriften gesammelt – sie verlangen Wahlfreiheit. Es gibt eine NMS, aber im ganzen Bezirk keine AHS-Unterstufe.

Qual

Katinka Krisper ist Gesangslehrerin, ihr Sohn Jakob beendet heuer die Volksschule. Sie sagt: "Ich lese immer von der ,Qual der Wahl", die Eltern bei der Wahl der Schule haben. Da muss ich lachen, diese Qual hätte ich gerne."

Will sie Jakob in die AHS schicken, muss sie ihn in ein Internat oder in den Zug ins 50 Kilometer entfernte Villach stecken. "Beides tue ich einem Zehnjährigen nicht an." Nirgendwo besuchen so wenige Schüler die AHS-Unterstufe wie im Bezirk Hermagor: Nur 0,8 Prozent nehmen die Reise auf sich. Hermagor ist der Extrem-, aber kein Einzelfall. Abseits der Ballungszentren ist die Lage trist, sagen Elternvertreter.

Etwa Peter Retter aus Tirol: "Aus vielen Tälern reisen die Schüler 60 oder 70 Kilometer an. Also eineinhalb Stunden Fahrzeit, im Winter warten sie manchmal eine Stunde auf den Bus." Zwischen Rot und Schwarz haben diese Fälle zuletzt für neuen Streit gesorgt (Text unten) . Die ÖVP wirft der Bildungsministerin Claudia Schmied (SPÖ) vor, sie spare die AHS-Unterstufe tot und führe so die Gesamtschule über die Hintertür ein. Schmied dementiert nur den ersten Teil des Vorwurfes. In neue AHS-Standorte oder Zusatz-Kapazitäten will sie nicht investieren.

Die NMS biete doch Chancengleichheit für alle, inklusive aller Übertrittsmöglichkeiten in die AHS-Oberstufe. Zum steigenden Unmut der Eltern heißt es aus ihrem Büro lapidar: Es brauche eben noch Aufklärungsarbeit.

Der Grüne Bildungssprecher Harald Walser sieht das anders. Er sammelt seit Monaten Fälle wie jenen von Arda Demir – von Kindern also, die in eine AHS wollen, aber nicht dürfen. Wieso kämpft Walser, der ja eigentlich eine Gesamtschule will, nun für das Gymnasium? "Die NMS ändert nichts am Grundproblem. Die Kinder werden zu früh getrennt." Gegenüber der Hauptschule sei sie sogar ein Rückschritt, weil die Schüler "wieder separiert werden – in grundlegenden und vertiefenden Lehrplan".

Völlig unabhängig von der Qualität der NMS leiden die Schüler jedenfalls unter der Verknappung der AHS-Plätze: Solange es zwei Schultypen gibt; solange die Aufklärungsarbeit aus Schmieds Büro die Eltern nicht von der NMS überzeugt – so lange werden die Eltern um Plätze im Gymnasium kämpfen.

Den Druck, gute Noten zu bringen, den haben die Zehnjährigen. Schmied glaubt an ihre NMS – und die Chancengleichheit. Zu den von Walser gesammelten Fällen sagte sie: "Es gab nie einen Rechtsanspruch auf freie Schulwahl. Nur auf den Besuch einer Pflichtschule im Sprengel."

NMS statt AHS: Vollausbau bis 2019

Schnelles Wachstum Es gibt 272 Unterstufen-Gymnasien (AHS) mit insgesamt 112.000 Schülern in Österreich. Es gibt rund 170.000 Hauptschüler, die derzeit 434 Neuen Mittelschulen (NMS) besuchen 57.000 Schüler. Im nächsten Jahr werden 698 NMS mit 81.000 Schülern sein; 2019 sollen es rund 1180 NMS mit bis zu 240.000 Schülern sein.

Große Schwankungen Der Besuch von AHS-Unterstufen schwankt nach Bezirk stark. Die letzte Erhebung (2008) weist Hermagor mit 0,8 Prozent der Schüler als Schlusslicht aus – in Wien-Hietzing waren es 75,8 Prozent, im Bezirk Innere Stadt 70,3 Prozent.

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