Das Wunder vom Polarkreis
Sein Auto wurde für einen 45-jährigen Schweden zum eisigen Gefängnis. Auf einem abgelegenen Waldweg – rund 1,5 Kilometer von einer stark befahrenen Bundesstraße entfernt – blieb er mit dem Fahrzeug liegen. Ohne einen Menschen zu Gesicht zu bekommen und ohne einen Bissen zu essen, harrte er zwei Monate in seinem Wagen aus. Gewärmt hat ihn nur ein Schlafsack.
Völlig entkräftet und abgemagert fanden einige Passanten, die mit dem Skimobil unterwegs waren, den Mann. Anfangs vermuteten sie, das Auto sei ein altes Wrack. Als sie es sich näher anschauten, merkten sie: „Da bewegt sich jemand. “ Und sie riefen Rettung und Polizei. Der Gerettete konnte gerade noch stammeln: „Ich bin seit zwei Monaten hier und habe mich nur von Schnee ernährt.“ Warum der Mann im Wald gelandet ist, ist bisher nicht geklärt.
Eine unglaubliche Geschichte. Doch die Polizei hat wenig Zweifel, dass sie sich genau so abgespielt hat. Polizist Ebbe Nyberg: „Wir haben keinerlei Spuren rund ums Auto gefunden. Also muss der Mann mindestens zwei Monate darin gewesen sein. Vielleicht saß er bereits seit November fest.“
Auch Mediziner glauben an die Version des womöglich psychisch kranken Mannes. Stefan Branth von der Uniklinik Uppsala sagte dem Västerbottens-Kurieren : „Die Körpertemperatur war auf 31 Grad herabgesunken. Der in Stoffwechsel war somit extrem vermindert. Er verfiel wohl in eine Art Winterschlaf.“
Wie ein Iglu
Für Christoph Rötzer (leitender Notarzt beim Roten Kreuz Niederösterreich) ist ebenso plausibel, dass ein Mensch solche Ausnahmesituationen meistern kann: „Auch wenn es minus 30 Grad in der Gegend hatte – im Auto selbst hatte es wohl kaum weniger als minus 2 Grad. Der Schnee ums Auto isoliert, wie bei einem Iglu. Zudem war der Mann keinem Wind ausgesetzt.“
Weiterer Faktor: „Weil der Mann sich kaum bewegte, verbrauchte er weniger Kalorien. Verbrauchte er zum Beispiel 1500 Kalorien täglich, so hat er in dieser Zeit rund 12 Kilo Fett verbrannt. Hatte er genug Fettreserven, so konnte er von ihnen zehren. “ Menschen können also über Wochen überleben, ohne zu essen: „Kritisch wird es nur, wenn sie nicht genug Wasser haben.“
Zwei Monate in eisiger Kälte und völliger Isolation, sind nicht nur eine extreme Belastung für den Körper, sondern auch für die Psyche. Notfallpsychologe Cornel Binder-Krieglstein weiß, wie Menschen in Extremsituationen reagieren: „Wir kennen die Fälle, wo Menschen mit dem Flugzeug in den Bergen notgelandet sind und lange Zeit überlebt haben.“
In traumatischen Situationen durchläuft jeder drei Phasen, weiß der Experte vom Österreichischen Psychologenverband. „In der akuten Phase will der Mensch nicht wahr haben, dass er gerade eine Katastrophe erlebt. In der Zweiten überlegt er sich eine Strategie, wie er sich aus seiner Lage befreien kann.“ Hier spiele eine Rolle, in welcher psychischen Grundverfassung er ist. „Manche Menschen können trotz der Gefahrensituation kühlen Kopf bewahren und sich einen Plan zurechtzulegen, wie sie sich daraus befreien.“ In der dritten Phase arrangieren sich Männer und Frauen mit der Situation und finden eine Strategie, wie sie die Lage erträglich machen. „Sie schaffen sich eine Struktur.“
Sobald Menschen aus der traumatischen Lage befreit werden, „benötigen sie einen Notfallpsychologen“, meint der Psychologe. „Heute gilt es als Kunstfehler, wenn ihnen diese Hilfe verwehrt wird.“ Das allein reicht nicht: „Solche Erlebnisse können zu psychischen Störungen führen. Deshalb ist eine traumapsychologische Behandlung unbedingt notwendig.“
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