Bürger-Präsident Gauck in Wien

Bürger-Präsident Gauck in Wien
Staatsbesuch: 150 Tage ist Deutschlands beliebtester Bundespräsident im Amt, heute ist er auf Österreich-Besuch.

Es war die größte Zeit meines Lebens", strahlte Joachim Gauck, 72, am letzten Donnerstag, als ihm seine Heimatstadt Rostock die Ehrenbürgerwürde verlieh. "Befreiung zu erleben und sie auch noch selbst zu gestalten – darüber geht nichts, auch nicht das Amt des Staatsoberhaupts."

Gauck sagte das im Dom von Rostock, 23 Jahre nach den kritischsten Tagen der friedlichen DDR-Revolution. Hier hatte er als Pastor selbstbewusst aber besonnen die Rostocker zu Haltung und Handeln animiert. Ein beim Festakt vorgeführter Mitschnitt der damaligen Geheimpolizei Stasi machte die Erinnerung hautnah: Gauck sprach immer schon so bewegend wie heute.

Glaubwürdig

Bürger-Präsident Gauck in Wien

Gaucks Rührung ist glaubhaft, auch wenn er zum x-ten Mal vom harten Abschied seiner aus der DDR in den Westen ziehenden drei Kinder erzählt. Auch sein Spaß überzeugt, etwa wenn er Tausende junge Leute bei einem Popfestival mit seinem ehrlichen Erstaunen begeistert, wie letzte Woche bei seinem schon zweiten Besuch in Polen.

Die Sicherheit des allzeit richtigen Tonfalls gestattet Gauck auch als erstem Deutschen an der Spitze des Landes Ausflüge ins Pathos. 67 Jahre nach dessen säkularer Überdosis durch Hitler und die Nazionalsozialisten ist Gauck der Erste, dem es kritische Geister durchgehen lassen oder gar, wie offenbar viele Bürger in Rhetorik-armer Merkel-Zeit, herbeiwünschen.

Gauck nutzt sein Pathos sorgfältig und fast nur für sein Hauptthema: die Freiheit. Sie geht ihm "über alles im Leben". Auch über das bei vielen Deutschen und ihren Medien viel dominantere Gerechtigkeitsthema.

Bürger-Präsident Gauck in Wien

Ihm gelingen einfach alle Reden, alle Bemerkungen. Jede Geste, jedes Wort sitzt genau da, wo es hingehört, sogar wenn es dort niemand erwartet hatte. Gauck nimmt leicht Gesprächspartner und Zuhörer für sich ein: Mit ehrlicher Betroffenheit wie bei den Antrittsbesuchen in Israel und den Niederlanden. Mit spontanem Humor vor allem die Bürger. Und mit geschliffener Doppeldeutigkeit, die andere aber nicht verletzt: Wie Kanzlerin Merkel, die ihn verhindern wollte, und nun zur Europa-Politik oder positiver Wertung des unrühmlich ausgeschiedenen Vorgängers Christian Wulff gemahnt wird.

Beliebt

Bürger-Präsident Gauck in Wien

Vielleicht ist es diese problemlose Wiederkehr des rhetorischen Affekts, die Gauck schon vor seiner Wahl zu einer der angesehensten Personen des Landes gemacht hat. Und die ihn nur fünf Monate danach schon zum Beliebtesten aller Bundespräsidenten katapultiert: In Umfragen erhofft die Hälfte der Bürger von ihm "mehr Einmischung in die Tagespolitik" – und schon jetzt eine zweite fünfjährige Amtszeit. Das ist einmalig für das indirekt gewählte Staatsoberhaupt.

Nur seine Heimat, der Osten, ist nicht euphorisch: 60 Prozent der Ex-DDR-Bürger wollen sich nicht für ihn begeistern. In Rostock stimmte die "Linke" sogar gegen die Ehrenbürger-Würde. Den ehemaligen Gründungsdirektor des Stasi-Archivs, des "Gedächtnisses der DDR-Diktatur", und seine Freiheitsrhetorik empfinden sie als personifizierten Dauervorwurf. Gauck, der bei Amtsantritt älteste und erste Bundespräsident aus dem Osten, weiß das. Und auch, dass diese Bürger die besten Worte nicht mehr überzeugen. Doch davon ließ er sich schon früher nicht beirren.

First Lady mit Esprit und Eleganz

Die perfekte Ergänzung im Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, heißt Daniela Schadt, 52, und ist Gaucks Lebensgefährtin seit zehn Jahren. Selten beherrschte eine deutsche First Lady so lässig den Spagat zwischen unprätentiöser Bürgerlichkeit und den juristisch undefinierten Pflichten an der Seite des Staatsoberhaupts.

Bis März war die geborene Hessin Innenpolitik-Chefin der Nürnberger Zeitung, radelte in Jeans in die Arbeit und führte eine Fernbeziehung mit Gauck, den sie bei einem Interview kennengelernt hatte. Den geliebten Job hat sie aufgegeben "mit einer beträchtlichen Portion Neugier darauf, was kommt". Politisch so interessiert und parteipolitisch so distanziert wie Gauck, repräsentieren die Westlerin aus Bayern und der Wahlberliner von der Ostsee auch privat das insgesamt glückliche Zusammenwachsen des Landes.

Schadt bekommt von der sonst so kritischen Presse nur gute Noten: "Esprit und Eleganz" vereinige sie, lobte Die Welt. Und das ganz ohne den üblichen Glamour-Faktor, dem manche ihrer Vorgängerinnen rasch erlagen.

Dass Schadt aber nicht so schnell "Frau Gauck" werden wird, dafür sorgt dessen erste Ehefrau Hansi, mit der er nach 53 Jahren immer noch legal verheiratet ist. Gegen den Willen der Mutter seiner vier Kinder will er sich nicht scheiden lassen – und führt auch damit ein inzwischen fast typisch deutsches Leben.

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Hintergrund

  • Kommentar

  • Hintergrund

Kommentare