Brüssel stellt Rumänien unter Aufsicht

Brüssel stellt Rumänien unter Aufsicht
Die EU-Zentrale erteilt der rumänischen Regierung das bisher negativste Zeugnis seit dem EU-Beitritt 2007.

Eigentlich müsste sich Bulgarien in Brüssel bitter über den Nachbarn Rumänien beschweren – hätte es nicht selbst so großen Nachholbedarf bei der Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität. Der rumänische Regierungschef Victor Ponta, ein Sozialist, hat es durch seine Absetzung des bürgerlichen Präsidenten Traian Bašescu mittels kurzfristiger Gesetzesänderungen geschafft, dass die beiden jüngsten EU-Staaten nun unter scharfe Beobachtung der EU-Partner und der EU-Zentrale gestellt wurden.

Denn eines scheint nach den am Mittwoch präsentierten EU-Fortschrittsberichten über beide Länder klar: Rumänien und Bulgarien können ihre Hoffnung vorerst begraben, dass diese EU-Sonderkontrolle fünf Jahre nach ihrem EU-Beitritt nun beendet wird.

Schengen

Und noch eine Auswirkung hat das jüngste Zeugnis aus Brüssel für die Regierungen in Bukarest und Sofia: Die von ihnen so vehement geforderte, weil von den EU-Partnern versprochene Aufnahme in den reisefreien Schengenraum liegt nun wohl auf Eis. Im September wollen die EU-Innenminister darüber beraten. Doch nach den jüngsten Vorkommnissen in Rumänien scheint ein Schengen-Beitritt vorerst kaum durchsetzbar.

Die EU-Kommission sieht im Machtkampf in Rumänien eine Unterminierung europäischer Grundwerte. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso war am Mittwoch in Brüssel ungewohnt scharf: "Die Vorgänge in Rumänien haben unser Vertrauen erschüttert." Jedes EU-Land müsse ein unabhängiges, funktionierendes Justizsystem haben, die demokratischen Rechte respektieren und die Gesetze einhalten.

Barroso warnte: Es sei nicht hinzunehmen, wenn Richter eingeschüchtert werden, wenn sie nicht jene Urteile treffen, die die Regierung in Bukarest haben wolle. Und die Verfassung könne auch nicht einfach über Nacht geändert werden. "Wir brauchen rasche Antworten."

Dabei fiel der offizielle Fortschrittsbericht sogar etwas milder aus als der Entwurf, der tags zuvor lanciert wurde – wohl um Bukarest unter Druck zu setzen. Daraufhin hatte Ponta am Telefon Barroso versichert, dass er die Bedenken Brüssels voll respektiere. Barroso dazu: "Rumänien ist vom Abgrund zurückgewichen. Aber wir können noch nicht sagen, dass wir das Ende des Prozesses erreicht haben." Die EU-Kommission behält Rumänien weiter im Auge.

Bulgarien

Verglichen mit Rumänien kam Bulgariens Regierung unter Premier Boiko Borissow noch mit einem blauen Auge davon: Der Fortschrittsbericht ortet in seinem Land schwere Mängel im Kampf gegen Korruption und das organisierte Verbrechen. Auch in Bulgarien ist die Unabhängigkeit der Justiz bedroht: Nach der Entlassung einer kritischen Richterin haben 100 Richter aus dem ganzen Land, Anwälte und NGOs den Rücktritt des regierungstreuen Obersten Richterrates gefordert. Sie werfen der Regierung vor, die Richterin abgesetzt zu haben, weil sie es gewagt hatte, Innenminister Zwetan Zwetanow wegen Verleumdung anzuzeigen.

Monitoring

Die Gründe dafür, dass die EU-Zentrale als einzige zwei der 27 EU-Staaten Zustandsberichte über Rumänien und Bulgarien verfasst, reicht bis zu ihrem EU-Beitritt Anfang 2007 zurück: Damals war klar, dass beide Staaten großen Aufholbedarf hatten, um ihren Justiz- und Verwaltungsapparat an EU-Standards heranzuführen und den Kampf gegen Korruption zu verstärken.

Brüssel überwacht seither die Reformen in Rumänien und Bulgarien. Zwei Mal im Jahr müssen sie beweisen, dass sie EU-tauglich werden. Diese Sonder-Überwachung lief offiziell 2010 aus, sie wird seither jährlich verlängert. Im schlimmsten Fall droht die Kürzung oder sogar Sperre von EU-Geldern.

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Nur mit Auflagen konnten Rumänien und Bulgarien 2007 der EU als 26. und 27. Mitgliedsland beitreten: Weil der Aufbau von Justiz, Verwaltung, Verbrechensbekämpfung und von demokratischen Strukturen ungenügend war, wurden sie unter Aufsicht der EU-Kommission gestellt.

Zwei Mal im Jahr verfasst die EU-Kommission Berichte über beide Länder. Die Kommission hat dafür Kriterien ("Benchmarks") festgelegt, mit denen sie die Fortschritte bewertet. Seit 2007 stellte sie jeweils elf Zeugnisse über den Stand der Reformen aus.

Hauptkritik Vor allem beim Aufbau eines unabhängigen, unparteiischen und leistungsfähigen Justizsystems sowie bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität haben beide Staaten den größten Nachholbedarf.

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