Braucht Europa einen Kaiser?

Martina Salomon
Der EU fehlt das Feuer – und eine Figur, die dem Projekt Seele verleiht.

Nichts spiegelt den Zustand Europas besser wider als die Börse: Der Euro befindet sich auf einem Zweijahrestief, dafür sind spanische CDS (die in Verruf geratenen Kreditversicherungen) auf Rekordhoch. Deutsche Anleihen sind ein sicherer Geldhafen, in den die Anleger flüchten.Verdienen lässt sich damit jedoch momentan nichts, weil ja nur die riskanteren Geschäfte lukrativ sind. Kompliziert und eher unlustig.

Aber hat Europa auch eine Seele? Durch die Krise ist das Ziel der EU in Vergessenheit geraten: Friede und Wohlstand durch Abbau der Grenzen zu schaffen. Bis vor Kurzem war das eine Erfolgsgeschichte. Doch jetzt driften die europäischen Staaten wieder auseinander. Unter anderem, weil die eigenen Regeln missachtet wurden und weil der Integrationsprozess zu rasch vorangetrieben wurde. Das Reformfeuer hat sich nie wirklich auf die Menschen übertragen. Sie schauen nun in die besorgten Gesichter der Politiker und sehen nur noch die Krise in der EU, aber nicht, was sie brachte. Immer schon hat eine identitätsstiftende Figur gefehlt, die das Ganze auch in schweren Zeiten zusammenhält und glaubwürdig vermitteln kann, dass es ein Riesenfehler wäre, wieder in alte Nationalismen zu verfallen.

So absurd das vielleicht klingen mag: Aber es bräuchte einen Hugo Portisch, einen Joachim Gauck, einen Dalai Lama, einen Kaiser/eine Queen für Europa. Jemanden, der/die unbestritten ist, moralisch unanfechtbar und dem schnöden Tagesgeschehen entrückt. Es war interessant zu beobachten, wie inbrünstig die doch recht aufgeklärten Briten tagelang das diamantene Thronjubiläum der Queen feierten. (Und kommende Woche geht’s ja gleich weiter mit "Trooping the Colour" – der alljährlichen Geburtstagsfeier für Elizabeth II.)

Die Anti-Monarchisten unter den Lesern mögen jetzt bitte nicht in Ohnmacht fallen. Aber seltsamerweise eint die Queen das Land, auch wenn sie politisch keine Rolle spielt. Im Standard wurde die nötige europäische Integrationsfigur kürzlich übrigens unter dem Titel "Zeremonienmeister" zusammengefasst. Faktum ist: Niemand will mehr Politiker hören. Aber alle wünschen sich fehlerlose Autoritäten, die in dieser komplizierten Welt (scheinbare) Stabilität vermitteln.

Gemeinsame Regeln oder Zerfall

Wahrscheinlich kann die EU nur funktionieren, wenn die Länder Souveränität abgeben. Ob es aber gelingt, Staaten mit so großem Mentalitätsunterschied wie Griechenland oder Deutschland einheitlichen Banken- und Steuerregeln zu unterwerfen (und diese auch einzuhalten)? Das steht in den Sternen. Aber ist der jetzige Zustand besser? Jede Regierung, die notwendige Reformen angeht, wird vom Wähler bestraft. Das macht die nationalstaatliche Politik anfällig für Populismus. Im Bewusstsein der Bürger Europas ist die EU ein ferner, bürokratischer Moloch. Der Friede, den sie brachte, scheint selbstverständlich. Sollte Europa jetzt zerfallen, liegt es am Feuer, das erloschen ist. Es gibt keinen "Kaiser von Europa", der es wieder entfachen könnte.

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