Bildungspolitik: Die Angst vor der Gettoklasse

Bildungspolitik: Die Angst vor der Gettoklasse
Kinder mit Migrationshintergrund schließen die Schule seltener ab. Ein Pulverfass? Zu Gast in einer Mittelschule.

Die Zahlen aus dem aktuellen Integrationsbericht sprechen eine deutliche Sprache: 13 Prozent der fremdsprachigen Hauptschulkinder bleiben ohne Pflichtschulabschluss. Zum Vergleich: Bei ihren deutschsprachigen Klassenkameraden sind es nur vier Prozent.

In kaum einem anderen Bereich wird die Integrationsdebatte so heftig geführt wie beim Thema Bildung. Jüngstes Beispiel ist der Vorschlag von Integrations­staatssekretär Sebastian Kurz: Schüler, die nicht gut genug Deutsch können, sollen in eigenen Klassen unterrichtet werden. Während ein Großteil der Bevölkerung das befürwortet, warnen Experten vor der Entstehung von Gettoklassen.

Über zwölf Sprachen

Letzteres befürchtet auch Marion Serdaroglu-Ramsmeier, Direktorin der Wiener Mittel­schule (WMS) Kauergasse in Rudolfsheim-Fünfhaus. Von den 235 Schülern haben bereits mehr als die Hälfte Migrationshintergrund – in Wien längst kein Einzelfall mehr. An der Schule werden mehr als zwölf unterschied­licher Muttersprachen gesprochen .

Als Problemschule sieht sie ihre WMS jedoch nicht. "Unabhängig von der Herkunft der Kinder sind ihre Lern­erfahrung und ihr Leistungsniveau völlig unterschiedlich." Nur wenige Schüler würden – zumindest hier – mangelhaft Deutsch sprechen. Bei ihnen handle es sich um "Quereinsteiger", also Kinder, die erst vor Kurzem nach Österreich gekommen sind. 16 von ihnen erhalten eine Sprachförderung (zehn Wochenstunden). Sie bleiben aber weitgehend in den Regelunterricht eingebunden.

Voraussetzung dafür ist jedoch eine sehr kosten- und personalintensive Be­treuung. Zumindest in der Kauergasse gibt es genügend Lehrer, die sich um die Kinder kümmern. Wohl auch ein Grund, warum es gerade für diese Schule besonders viele Anmeldungen gibt.

Bloße Schönfärberei?

Der Befund von Niki Glattauer fällt deutlich nüchterner aus (siehe auch Kolumne hier). Der Lehrer und Buchautor ist überzeugt: Wer etwa in Wien in einer Neuen Mittelschule lande und aus einer Familie stammt, in der kaum Deutsch gesprochen wird, hat massive Sprachprobleme. "Rund 20 Prozent dieser Kinder sind so gut wie nicht alphabetisiert", sagt der Bildungsexperte. Gleichzeitig räumt aber auch Glattauer ein, dass es häufig auch "bei unseren Renés, Patricks und Kevins" ähnliche Probleme gebe.

Seine Lösungsansätze: "Zunächst müsste man die Kinder so gut wie möglich schulisch aufteilen und ihnen damit deutschsprachige Umgebungen bieten." Dies gelte für Kindergarten und Grundschule gleichermaßen . Und weiter: "Ich halte es für klug, dass Kinder erst dann in die Mittelschule auf­steigen dürfen, wenn sie in Wort und Schrift Deutsch können."

Außerdem solle sich künftig jeder Lehrer für die Mittelstufe – also für die zehn- bis 15-jährigen Schüler – verpflichtend einer Ausbildung zum Integrationslehrer unterziehen.

"Muttersprachen der Migranten aufwerten"

Bildungspolitik: Die Angst vor der Gettoklasse

Helmut Breit unterrichtet Mathematik, Geografie und Informatik an der Wiener Mittelschule Kauergasse im 15. Bezirk.

KURIER: Sollten sich nicht die Eltern stärker darum kümmern, dass ihre Kinder ausreichend gut Deutsch können?
Helmut Breit:
Es liegt oft nicht daran, dass sie es nicht wollen, sondern daran, dass sie es einfach nicht können. Viele Kinder mit Migrationshintergrund haben ja auch Probleme mit ihrer eigenen Mutter­sprache. Das merke ich etwa im Mathematik-Unterricht, wo ich Materialien in mehreren Sprachen verwende: Mit den Fachbegriffen in den Textaufgaben haben manche Kinder ziemlich große Schwierigkeiten.

Wären dafür mehr Lehrer nötig, die die Mutter­sprache der Kinder beherrschen?
Das würde die Situation verbessern. Immerhin gibt es jetzt an den pädago­gischen Hochschulen einen merkbaren Anstieg an Studenten mit Migrationshintergrund. Meine Vision ist ein bilingualer Unterricht.

Sollten auch die Sprachen der Migranten-Kinder als eigenes Fach unterrichtet werden?
Bei uns gibt es Türkisch und Bosnisch/Serbisch/ Kroatisch schon als Freifach. Diese Sprachen sollten aufgewertet werden. Sie sind eine wertvolle Ressource, die die Kinder mitbringen. Sie auch als Maturafach anzubieten, macht durchaus Sinn. Es ist eine sehr enge Sichtweise, dass man etwa Englisch und Französisch als höherrangige Sprachen betrachtet als eben Türkisch oder eine Sprache aus dem ehemaligen Jugoslawien.

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