Polen spricht nach Explosion von "Rakete aus russischer Produktion"
Bei einer Explosion in dem polnischen Dorf Przewodów nahe der ukrainischen Grenze kamen am Dienstagabend zwei Menschen ums Leben. Wie internationale Medien unter Berufung auf US-Geheimdienste zunächst berichteten, soll die Explosion durch den Einschlag einer russischen Rakete ausgelöst worden sein, die während des großflächigen Bombardements auf ukrainische Infrastruktur abgefeuert wurde.
Ob die Rakete ihr Ziel schlicht verfehlte oder - wie polnische Medien später spekulierten - lediglich die Überreste einer abgefangenen Rakete in Przewodów einschlugen, ließ sich am Dienstagabend zunächst nicht bestätigen.
Polen spricht von "in Russland hergestellter" Rakete
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki rief umgehend eine dringende Sitzung des nationalen Sicherheitsrats ein, im Anschluss daran wurde die polnische Armee in Alarmbereitschaft versetzt. Spezialisten des Verteidigungsministeriums reisten noch in der Nacht nach Przewodów, um die Trümmer zu untersuchen.
Kurz nach Mitternacht veröffentlichte das polnische Außenministerium ein Statement, darin ist von einer "in Russland hergestellten Rakete" die Rede. Weiter heißt es, der russische Botschafter in Warschau sei umgehend in das Außenministerium zitiert worden, um eine Erklärung abzugeben.
In der Nacht auf Mittwoch um kurz vor ein Uhr gab Morawiecki schließlich eine Pressekonferenz. Darin rief er die Bevölkerung dazu auf, Ruhe zu bewahren: "Lasst uns umsichtig sein, damit wir nicht manipuliert werden können. Wir müssen bereit sein für die Falschmeldungen und die Propaganda, die auf uns zukommen werden."
Wie reagiert die NATO?
Sollte eine russische Rakete auf polnischem Boden explodiert sein, dann ist der Krieg auf EU– und NATO-Gebiet angekommen. Vor allem Letzteres ist brisant, da die NATO-Mitgliedsstaaten sich dazu verpflichtet haben, einander im Falle eines Angriffs zu verteidigen. Der berühmte Artikel Fünf des NATO-Vertrags besagt, dass ein Angriff auf ein Mitglied als Angriff auf alle Mitglieder gilt – doch in dem Papier wird klar zwischen einem bewussten Angriff und unbewussten unterschieden.
Polen werde nun zunächst prüfen, ob sich Artikel Vier des NATO-Abkommens umsetzen ließe, so Regierungssprecher Piotr Müller. Der sieht eine Beratung mit allen Mitgliedsstaaten vor, wenn einer von ihnen die Unversehrtheit seines Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die nationale Sicherheit bedroht sieht.
Reaktionen aus Washington und Moskau
Das US-Verteidigungsministerium erklärte, man arbeite eng mit der polnischen Regierung zusammen, könne die Berichte aber nicht bestätigen. „Ich möchte nicht auf Spekulationen eingehen, wenn es um unsere Sicherheitsversprechen und den Artikel Fünf des NATO-Abkommens geht“, erklärte Pentagon-Sprecher Patrick Ryder in Washington.
Auch der Kreml reagierte: "Die Aussagen der polnischen Medien und Beamten über den Abschuss ,russischer' Raketen im Gebiet Przewodów sind eine bewusste Provokation. Die russischen Streitkräfte haben keine Ziele in der Nähe der ukrainisch-polnischen Grenze getroffen", hieß es aus dem russischen Verteidigungsministerium. Auch die verbreiteten Fotos angeblicher Trümmerteile hätten nichts mit russischen Waffensystemen zu tun.
Heftige Reaktionen gab es dagegen von Polens Nachbarstaaten. Der lettische Verteidigungsminister Artis Pabriks schrieb auf Twitter: „Das kriminelle russische Regime feuert Raketen ab, die nicht nur auf ukrainische Zivilisten abzielten, sondern auch auf NATO-Territorium landeten. Lettland steht voll und ganz hinter den polnischen Freunden.“ Und auch die estnische Regierung veröffentlichte die Nachricht: „Estland ist bereit, jeden Zentimeter des NATO-Territoriums zu verteidigen.“
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij sprach in einer Video-Reaktion von einer „beträchtlichen Eskalation“, die aus seiner Sicht „weitere Schritte“ nötig mache. Außenminister Dmytro Kuleba schlug einen NATO-Gipfel unter Teilnahme der Ukraine vor.
Zuvor Bombardements
Den Explosionen in Polen vorangegangen waren nach ukrainischen Angaben die schwersten Bombardements auf die Infrastruktur der Ukraine seit Kriegsbeginn. Mit über 90 Raketen und Marschflugkörpern griff Russland das Energiesystem der Ukraine an. Etwa sieben Millionen Haushalte saßen den Behörden zufolge am Dienstagabend im Dunkeln, weil der Strom ausfiel oder abgeschaltet werden musste.
Kommentare