Zeitenwende am Himalaja

Klosterburg Punakha mit - noch - integriertem Gerichtshof
Mit österreichischer Hilfe gelingt dem einst abgeschlossenen Königreich langsam der Sprung in die Moderne.

Der 53-jährige Bauer sitzt in seinem geräumigen Wohnzimmer und vertreibt sich die Zeit mit Fernsehen. "Am liebsten würde ich den ganzen Tag schauen", sagt der Mann, der schlicht Dophu heißt und gerne zu seinem "Altar der Moderne" pilgert. Gleich im Nebenraum steht der echte: Ein mächtiger, bunt bemalter buddhistischer Gebets- und Meditationsschrein. Selbst hier auf der entlegenen bhutanischen Phobjika-Hochebene, auf der die seltenen Schwarzhalskraniche Jahr für Jahr von November bis März ihr Winterlager aufschlagen, hat ein neues Zeitalter begonnen.

Und zwar vor drei Jahren, da kam der Strom. Um das Gebiet, das immer mehr Touristen anzieht, nicht zu verschandeln und den Kranichen einen ungehinderten Landeanflug zu ermöglichen, wurden die Leitungen unterirdisch verlegt – mit Geldern der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA). Seither haben die alten Petroleumlampen ausgedient. Dophu und seine Frau Pem können jetzt nicht nur fernsehen und ihre Handys laden, sondern auch Hausarbeiten oder Reparaturen nach Einbruch der Dunkelheit erledigen und vor allem Touristen aufnehmen.

Lukratives Geschäft

"Homestay" nennt man das hier in dem malerischen Vogelreservat. Zehn Euro pro Person und Nacht (ohne Dusche, mit Plumpsklo) erhält das Paar, das primär vom Anbau und Verkauf von Erdäpfeln lebt. Ein Euro muss an die örtliche Naturschutzbehörde abgeliefert werden. Für die Bauern der Region ist das in Summe ein lukratives Geschäft – immerhin liegt das Pro-Kopf-Einkommen in ländlichen Gebieten Bhutans bei durchschnittlich 33 Euro monatlich, oft auch darunter.

Der Fremdenverkehr ist generell einer der Hoffnungsträger des immer noch weitgehend abgeschlossenen, geheimnisvollen, unglaublich schönen, aber armen asiatischen Landes. Und um das Geschäft mit den Urlaubern anzukurbeln, unterstützt die OEZA das bhutanische "Royal Institute for Tourism and Hospitality" mit insgesamt 5,5 Millionen Euro.

In der Hauptstadt Thimphu werden Fachkräfte in einem zweijährigen Kurs geschult. Die Touristiker-Schmiede in Klessheim (Salzburg) war federführend bei der Lehrplanentwicklung. Zudem finanziert die OEZA jährlich drei Studenten eine Ausbildung in Klessheim (bisher waren es 70). Und demnächst wird ein Trainingshotel eröffnet: Eine österreichische Architektin hat es entworfen und Landestraditionen mit modernem Design verwoben. Ziel ist ein sanfter Tourismus, ein Zwangsumtausch von 250 US-Dollar pro Tag für Urlauber aus dem Westen soll verhindern, dass das Land überlaufen wird. 2014 zählte man 135.000 Touristen in Bhutan, davon 500 aus Österreich.

Ruhig breitet sich der Stausee in der zerklüfteten Bergregion aus. Von hier wird das Wasser des kleinen Flusses Daga Chhu durch einen fast acht Kilometer langen Tunnel, der mühsam in den Berg getrieben wurde, abgeleitet. Am Schluss fallen die Wassermassen fast 300 Meter nahezu senkrecht hinab und betreiben die zwei Turbinen des örtlichen Kraftwerks.

Energie aus Wasserkraft

"Die Spitzenauslastung (während der Monsunzeit) liegt bei 126 Megawattstunden", sagt Christine Jantscher, die über die "Austrian Development Agency" (ADA) OEZA-Mittel in Bhutan umsetzt. Aus Österreich stammen die Turbinen (von Andritz) und technisches Know-how.

Derzeit liefern die insgesamt fünf bhutanischen Wasserkraftwerke (in drei davon stecken rot-weiß-rote Komponenten) 1500 Megawatt. "Allerdings haben wir erst fünf Prozent unserer potenziellen Kapazitäten ausgeschöpft", sagt Chhewang Rinzin, Direktor der staatlichen Gesellschaft für "Green Power". Drei weitere Kraftwerke sind in Bau, vier projektiert, nochmals drei möglich. Das gesamte Investitionsvolumen liegt bei 15 Milliarden US-Dollar, dem Zehnfachen des jährlichen Bruttoinlandsprodukts des Himalaja-Landes.

Das ehrgeizige Ziel, bis 2020 auf 10.000 Megawatt zu kommen, musste man allerdings auf 2030 verschieben. Würde man alles ausschöpfen, wären gar 30.000 Megawatt möglich, meint Rinzin, der die Wasserkraft als "strategisch sehr wichtig für die Zukunft des Landes" darstellt.Wobei sich das Königreich in dieser Frage ganz und gar Indien ausliefert. Die Regionalmacht im Süden erbaut nicht nur die künftigen Werke, sondern ist auch der einzige Energieabnehmer. Jetzt schon machen die Erlöse aus dem Stromexport rund ein Drittel aller bhutanischen Staatseinnahmen aus. Rinzin sieht die Sache pragmatisch: "Wir haben keine andere Wahl: Entweder arm bleiben oder nicht."

Stolz führt Richter Lobzang Rinzin Yargay durch "seinen" nagelneuen Gerichtshof, der aus Mitteln der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) erbaut wurde. "Das ist unser buddhistischer Altar, hier meditiere ich jeden Morgen, bevor ich dann die Urteile spreche", sagt der Jurist – und verweist damit auf die immer noch enge Verflechtung von Staat, Religion und Rechtssprechung in Bhutan. Denn in vielen Fällen finden sich die Gerichtshöfe weiterhin in alten buddhistischen Klosterfestungen, den Dzongs, wie etwa in Punakha (Bild rechts).

"Unser Ziel ist es, die Unabhängigkeit der Justiz auch in physischer Hinsicht zu sichern", sagt Christine Jantscher, die für die "Austrian Development Agency" (ADA) auch für dieses Projekt verantwortlich zeichnet. Allerdings, hält Rinzin Yargay dagegen, könne man das Rechtssystem westlicher Prägung in Bhutan nicht eins zu eins übernehmen, alte Traditionen müssten gewahrt werden. Das schlägt sich auch in Details nieder: So muss ein Verfahren in maximal 108 Tagen abgeschlossen sein – das ist im Buddhismus eine Art heilige Zahl. Von anderen Systemen übernehme man das, was "zu unserer Kultur passt".

Die meisten Angeklagten würden sich selber verteidigen, weil es erstens nur 100 Anwälte im ganzen Land gebe, und die könnten sich ohnehin die wenigsten leisten, betont der Richter, der im indischen Delhi studiert hat – in Bhutan befindet sich der Lehrstuhl für Rechtswissenschaften erst im Aufbau.

Vier Gerichtshöfe wurden aus OEZA-Mitteln bereits errichtet (zum Preis von jeweils 500.000 Euro), vier weitere sollen es noch werden, in Kooperation mit der Schweiz. Darüber hinaus unterstützt die ADA die Aus- und Fortbildung von Richtern sowie Justizbeamten. Zudem werden Mediatoren geschult, die kleinere Streitigkeiten direkt in den Dörfern, die oft Tagesmärsche vom Bezirksgericht entfernt liegen, schlichten sollen.

In den 1960er-Jahren kamen Haflinger aus Österreich als Nutztiere nach Bhutan – weil der damalige König so begeistert war von ihnen. Wenig später flogen rot-weiß-rote Experten in das Himalaja-Land, weil auch dieses von Borkenkäfern heimgesucht wurde. Das waren die inoffiziellen Startschüsse für den Beginn einer langen Zusammenarbeit, die 1994 mit der Errichtung eines Koordinationsbüros in der Hauptstadt so richtig losging. Über dieses werden österreichische Entwicklungshilfe-Projekte umgesetzt (siehe oben und links). In den vergangenen 21 Jahren flossen rund 65 Millionen Euro nach Bhutan.

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