Deutscher Demokratieforscher über die Folgen der Corona-Krise

Deutscher Demokratieforscher über die Folgen der Corona-Krise
Warum Regierungsparteien trotz massiver Eingriffe derzeit viel Zustimmung bekommen - und ihnen dennoch Vertrauensverluste drohen.

KURIER: Deutschland erlebt gerade massive Eingriffe, die Union unter der regierenden Kanzlerin Angela Merkel scheint davon zu profitieren. Wie bewerten Sie das?

Wolfgang Merkel: Es gibt ein berühmtes Zitat von Carl Schmitt, dem umstrittenen Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand verfügt“. Das heißt: Tiefe Krisen sind immer die Stunde der Exekutive. Die Exekutive handelt, präsentiert sich und repräsentiert. Das Parlament fungiert häufig als eine Abnickinstitution. Das ist aber demokratietheoretisch problematisch, weil es als die vornehmste Repräsentationsinstitution der Demokratie an die Seite gedrängt wird.

In Frankreich gibt es ebenfalls sehr restriktive Maßnahmen, dazu verwendet Emmanuel Macron eine kriegsähnliche Sprache – was sagt das über die politische Kultur aus?  

Frankreich hat schon immer eine bombastische Sprache der Staatsräson benützt. Macron bedient diese Tradition und zeigt damit, dass die Macht jetzt beim Präsidenten, bei der Exekutive, liegt. Das macht er mit dem drastischen Beispiel, das man in solchen Notstandszeiten heranziehen kann, nämlich Krieg. Dass das Deutschland nicht macht, hat auch mit unserer Vergangenheit zu tun. Zudem sind wir verglichen mit Frankreich eine kleinbürgerliche Republik: Die Kanzlerin ist kulturell und institutionell anders eingebettet als der französische Präsident. Das ist ein wichtiger Unterschied.

Großbritannien und die USA, wo es ja eine liberale Tradition gibt, agierten bis zuletzt anders – und bekommen ebenfalls Zustimmung.

Wenn ich mir die angelsächsischen Länder anschaue, wo Sie so etwas wie das typische liberalistische Credo vermuten, habe ich eine andere Position. Ich glaube, dass das gegenwärtige Regierungsverhalten auf die zwei Führungsfiguren in den USA und Großbritannien zurückzuführen ist. Bei diesen sehe ich eine Mischung von Ignoranz gegenüber der Wissenschaft und „political machismo“ gegenüber den Bürgern: Johnson und Trump sind sich treu geblieben: Sie sind ignorant, weil sie alleine zu wissen glauben, was richtig ist. Gleichzeitig markieren sie auf ihre Art, den starken Mann, der keine Atemmaske braucht, der Hände schüttelt und sagt: Der Virus ist vielleicht ein Problem, aber schaut her: Hier bin ich, ich brauch nichts anderes. Paradoxerweise gewinnen da selbst Ignoranten wie Trump an Zustimmung in der Bevölkerung, obwohl er beim Ausbruch der Krise schwere Fehler gemacht hat. Trump präsentiert sich nun als Souverän, als Krisenmanager und das zahlt sich in der Krise aus. Abgerechnet wird aber erst nach der Krise bei den Wahlen im November.

Interessant ist auch der Weg Schwedens, der von allen anderen abweicht. In der Bevölkerung scheint das niemanden zu stören. Woran liegt das?

Es gibt ein Grundvertrauen der schwedischen Bevölkerung in den Staat, weil er schon lange demokratisch und sozialstaatlich für die Gesellschaft eintritt, fast ein Teil von ihr ist. Wenn die Regierung gesagt hätte, wir schließen alles, Ausgangssperre obendrein, hätte das die Bevölkerung auch mitgemacht. Das ist kein Opportunismus und Untertanengeist, das ist historisch gewachsenes Vertrauen in einen Staat, der nie autoritär oder totalitär war, wie in Österreich und Deutschland.

Momentan sieht es sowohl in Deutschland als auch in Österreich so aus, als haben rechte Parteien in der Krise nichts zu gewinnen. Die AfD ist unter zehn Prozent gerutscht, die FPÖ liegt laut neuesten Umfragen bei 12 Prozent.

Den Rechtspopulisten wurden die Themen aus der Hand genommen. Niemand spricht gegenwärtig über Migration und Flüchtlinge. Außerdem sind die Populisten in Westeuropa nirgendwo in der Regierung und haben so keine Chance, sich als handlungsstarke Krisenmanager zu präsentieren. Ich sage aber folgendes Szenario voraus: Es wird am Ende der Krise einen verschärften Verteilungskonflikt innerhalb der Mitgliedsstaaten wie zwischen ihnen in der Europäischen Union geben: Wer bezahlt für den wirtschaftlichen Schaden? Die Südländer, Italien und Spanien zuvörderst, werden den „Geberländern“ des Nordens die Rechnung präsentieren. Und da werden die Rechtspopulisten mobilisieren: Wir müssen zuerst unsere nationale Wirtschaft wieder auf Trab bringen, erst dann können wir über Transfers in den Süden nachdenken: Germany, Austria first. Wir werden dann erleben, dass die ehemaligen bzw. Gerade-Noch-Volksparteien, die ÖVP und CDU oder SPÖ und SPD sich solchen nationalistischen Forderungen nicht verschließen können. Wenn aber der „Norden“ den „Süden“ nicht massiv unterstützt, kann daran die EU zerbrechen.   

Wie geht es Ihnen persönlich: Machen Sie sich Sorgen um die Demokratie?

Es hängt davon ab, wie lange die Krise dauert und wie wir aus ihr herauskommen. Wenn klar wird, dass der Staat suboptimale Lösungen angeboten hat, es also zu hohen Todesraten und einer katastrophalen wirtschaftlichen Entwicklung gekommen ist, wird das Auswirkungen auf die Demokratie haben. Vertrauensverluste und der Verlust der Folgebereitschaft der Bürger wären die Folge. Man wird zweifelhafte Parteien wählen, die Rechtspopulisten ganze vorne dran. Wir haben aber eine etablierte Demokratie, die resilient ist gegen solche Nachkrisen-Stürme. Uns droht kein zweites Ungarn. Es wird vielmehr darum gehen, wie offen, wie liberal und rechtsstaatlich unsere politischen Systeme bleiben werden. Da sind wir als kritische Bürger gefordert.

Zur Person: Wolfgang Merkel ist Direktor der Forschungsabteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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