Wirtschaftsexperte zur EU: "Weder Werte noch Rechtsstaat"
Zwei Herzen schlagen in Gottfried Schellmanns Brust. Die grundsätzliche Idee der EU, dass Mitgliedstaaten mit den europäischen Institutionen eine Plattform für intensive Zusammenarbeit erhalten, hält er heute noch für "die beste politische Idee, die jemals zwischen Staaten entwickelt wurde". Diese habe sich aber speziell im EU-Parlament, der Kommission und im Europäischen Gerichtshof (EuGH) verselbstständigt: "Die Eigenständigkeit der Staaten wurde viel zu schnell ausgehöhlt." Der Wiener Steuerberater spricht aus Erfahrung: Als Vizepräsident der Branchenvereinigung CFE (bis Ende 2014) war er in vielen Steuerdebatten der Brüsseler Institutionen eng eingebunden.
"Völlig übertrieben"
Eine Vision von "Vereinigten Staaten von Europa" hält Schellmann für fehlgeleitet. "In den USA haben die einzelnen Staaten viel mehr Rechte, ihre Belange zu regeln – bis auf die Außenpolitik oder einige spezielle Zuständigkeiten der Zentralverwaltung." Aus seiner Sicht habe die EU den Bogen überspannt: "Beim Bankenrecht, Konsumentenschutz, Steuerrecht oder Bekämpfung der Geldwäsche hat man derart übertrieben, dass man schon von einem repressiven Rechtsraum sprechen muss". So stünden etwa Kunden von Gesellschaften aus (den EU-Staaten) Zypern oder Malta in Österreich unter Geldwäsche-Generalverdacht: "Selbst ein normales Geschäftskonto zu eröffnen dauert da Monate."
Der Unternehmer und die Berater würden "allgemein zu Feindbildern und Verbrechern erklärt, das ist schon einmalig", redet sich Schellmann in Rage. Der EuGH maße sich die Rolle eines Gesetzgebers an und stelle sich „mit dem Instrument der Binnenmarkt-Ideologie über den Vertrag und die Gesetze".
Im Beihilfenrecht regiere reine Willkür: "Da gibt’s weder Werte noch Rechtsstaatlichkeit." Und die Euro-Rettung sei "richtig, aber rechtswidrig" gewesen.
Mehr als nur ein Brexit
Braucht es nicht ein geeintes Europa, um gegen Großmachtambitionen von China und den USA zu bestehen? Das sei "dummes Gequatsche", solange Deutschland oder Österreich die militärische Sicherheit an andere Nationen wie USA oder das Vereinigte Königreich delegierten.
Die Integration von künftig 27 historisch gewachsenen Staaten mit 24 Sprachen funktioniere nicht binnen zwei Generationen. "Das braucht eher 200 Generationen. Wer das nicht versteht, der erlebt nicht nur einen Brexit. Dann werden mehrere weitere folgen."
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