Nichts passt zusammen
Doch erfahrene Moskau-Korrespondenten westlicher Medien meldeten umgehend Zweifel an dieser Version der Putin-treuen Spione an. Eine Agentin des ukrainischen Geheimdienstes, die ihre Tochter zu einem Mordauftrag mitnimmt und vor der Tat auf einem nationalpatriotischen russischen Fest gesehen wurde, übrigens wie auch das spätere Opfer: Das passe alles nicht so recht zusammen. Das der FSB sofort mit einem aufwendig produzierten Video an die Öffentlichkeit gehen werde, hatte der renommierte britische Moskau-Experte Mark Galeotti sofort nach dem Attentat in der politischen Zeitschrift "Spectator" vorhergesehen. Das sei ein Standardverfahren des FSB. Das trage schlicht gar nichts zur Wahrheitsfindung bei. Auch die US-Regierung gab sich betont zurückhaltend. „Wir wissen nicht wirklich, wer dahinter steckt und was das Motiv gewesen sein könnte“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Montag dem Nachrichtensender "CNN".
Eine ganz andere Spur
Galeotti wie auch andere erfahrene Beobachter vermutet ganz andere Hintergründe des Attentates - und die Spur dorthin führe über das eigentlich geplante Opfer des Mordkomplotts: Alexander Dugin. Den sieht Galeotti deutlich anders als viele westliche Medien, die ihn ständig als engen Berater und quasi Chefideologen Putins porträtieren. Dugin selbst habe alles getan, um sich möglichst in die Nähe des Kremlherrn zu rücken. Sein vorübergehend großer Einfliuss sei inzwischen deutlich geschrumpft. Gerade der enge Kreis rund um Putin könne mit seinen nationalistischen Machtphantasien von einem Russland "von Wladiwostock bis Dublin" derzeit nicht viel anfangen. Der Krieg in der Ukraine komme nicht voran, die Annexion großer Teile des Nachbarlandes sei inzwischen auf die lange Bank geschoben. Dass also der als manisch bekannte Dugin sogar nach dem Mord an seiner Tochter sofort wieder damit anfing, öffentlich den "großen Sieg" Russlands einzufordern, zeigt nur, wie schlecht er derzeit zur vorgegebenen Linie des Kreml passt.
Ein Märtyrer?
Wenn also Dugin selbst und nicht seine Tochter das Ziel war - schließlich war es ja auch sein Auto, das in die Luft ging - dann wäre er mit seinem gewaltsamen Tod umgehend zum Märtyrer für alle russischen Nationalisten geworden, und damit für die Propaganda viel besser einzusetzen als als unberechenbarer Ideologe, der mit seinen Thesen eher Verwirrung stiftet als tatsächlich die Unterstützung für den Krieg bei den Russen zu stärken. Dem Kreml und damit auch dem FSB käme also ein ermordeter Dugin besser gelegen als einer, der zunehmend unberechenbar und unbequem wird.
Radikale Nationalisten
Regimekritische Stimmen in Russland dagegen lenken den Verdacht nicht auf den Geheimdienst, sondern auf radikale russische Nationalisten. Eine Gruppe namens "Nationale Republikanische Armee" habe die Aktion durchgeführt, kommentiert ein bekannter Putin-Kritiker. Diese Kämpfer hätten sich über Telegram-Kanäle zu dem Anschlag bekannt. Deren Ziel sei es, "Kriegstreiber, Räuber und Unterdrücker Russlands" zu bekämpfen. Ihr Ziel sei eine Art Wiedergeburt der russischen Gesellschaft, ohne Oligarchen, Korruption und Willkür der Mächtigen. Warum gerade solche Nationalisten, den glühenden Nationalisten Dugin aus dem Weg räumen wollten, kann auch der Putin-Kritiker nicht erklären.
Schwäche des Regimes
Ob das Ganze nun eine Aktion russischer Nationalisten war, eine des ukrainischen, oder sogar eine des russischen Geheimdienstes. werde sich, so meint Russland-Experte Galeotti, wohl lange nicht klären lassen. Klar aber sei eines, das Attentat zeige, dass die Kritik an und der Missmut über Putin und seinen Krieg auch in Russland wachse - und zwar nicht nur bei den im Westen ständig überbewerten Liberalen rund um Alexej Nawalny, sondern auch in rechten und nationalistischen Kreisen. Das Putin-Regime jedenfalls werde "seiner eigenen Rhetorik nicht gerecht und könnte schwächer sein, als es aussieht."
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