Linke Hauptstadt? Warum Wien auch in Europa etwas Besonderes ist

Wien wählt anders - ein Spruch, so alt wie das heimische Wahlrecht. Mit erneut knapp 40 Prozent landete die SPÖ bei der gestrigen Wahl komfortabel auf dem ersten Platz und liegt damit weit über ihrem Ergebnis bei den jüngsten Nationalratswahlen (21,1 %). Auch die Grünen sind in Wien (14,2 %) deutlich stärker als bundesweit (8,24 %). Die Hauptstadt ist Österreichs Insel der Linken - und doch ist das kein nationales Phänomen.
Weltweit schneiden linke und liberale Parteien in urbanen Ballungsräumen deutlich besser ab als auf dem Land, was sich schon alleine anhand der Demografie erklären lässt: Die Menschen sind in Großstädten im Schnitt jünger und höher gebildet, haben dazu deutlich häufiger selbst Migrationshintergrund oder sind regelmäßiger in Kontakt mit Ausländern.
Wo Wien im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten steht, zeigt dieser Überblick:
Paris: Rote Bastion im bürgerlichen Frankreich
Innerhalb der EU gilt Paris als Paradebeispiel für eine linke Hauptstadt in einem insgesamt konservativer wählenden Land. Dort ist mit Anne Hidalgo schon seit 2014 eine Sozialistin Bürgermeisterin. Bei ihrer Wiederwahl 2020 holte sie rund 30 Prozent der Stimmen und gewann anschließend die Stichwahl.

Die Sozialistin Anne Hidalgo regiert Paris seit 2014.
Für die Parlamentswahlen in Frankreich hatten einige Analysten 2022 einen deutlichen Rechtsruck erwartet. Am Ende siegte überraschend das Linksbündnis um Jean-Luc Mélenchon. Prozentuell lag landeseit die Rechtspartei RN an der Spitze, doch im französischen Wahlrecht entscheiden die Wahlkreise - dort waren die Linken im ganzen Land erfolgreich, ganz besonders in und rund um die Städte.
Berlin: Völlig anders, aber ungeeint
Die deutsche Bundeshauptstadt ist mit ihren 3,4 Millionen Einwohnern bei weitem nicht so ein Wasserkopf wie die französische (ca. 12 Mio.); zudem ist Deutschland deutlich föderalistischer strukturiert. Trotzdem wählt Berlin meist linker als der Rest des Landes.
Jahrelang war die SPD der Platzhirsch, Grüne und Linke liegen ebenfalls fast immer über ihren bundesweiten Ergebnissen. Das zeigte sich zuletzt bei der Berlin-Wahl 2021, die allerdings aufgrund von Unregelmäßigkeiten im Februar 2023 wiederholt werden musste - dabei kam es zum Ausreißer.
Erstmals seit 1999 gewann die CDU mit 28 Prozent eine Berlin-Wahl. SPD, Grüne (beide genau 18,4 %) und Linke (14,1 %) verloren allesamt Stimmen. Selbst damit lagen alle drei Linksparteien aber noch über ihrem bundesweiten Ergebnis bei der Bundestagswahl 2024 (SPD: 16,4 %; Grüne: 11,6 %; Linke 8,8 %).
Budapest: Heimat der Orbán-Widersacher
Mit seinen 1,6 Millionen Einwohnern spiegelt Budapest im Vergleich zur Landesgröße (9,5 Mio.) ungefähr das Verhältnis Wien-Österreich. Kein Wunder also, dass die ungarische Hauptstadt gleichzeitig das Zentrum des politischen Widerstandes gegen die Fidesz-Partei des konservativen Ministerpräsidenten Viktor Orbán ist.

Der Budapester Bürgermeister Gergely Karácsony regiert Budapest seit 2019.
Bei den jüngsten Kommunalwahlen lag die Fidesz zwar auch in Budapest mit 28,7 Prozent auf Platz eins, doch die Opposition blieb stark: Die sozialistische TISZA holte 27,3 Prozent das grüne Bündnis um Bürgermeister Gergely Karácsony 16,7 Prozent. Gemeinsam lagen beide Oppositionsparteien mit 44 Prozent somit über dem Ergebnis bei den landesweiten Parlamentswahlen 2022 (36,9 %), wo Orbáns Fidesz fast 50 Prozent holte.
Warschau: Anti-PiS, aber nicht links
In Polen ist es bei den landesweiten Wahlen 2023 zum Machtwechsel gekommen – nachdem acht Jahre lang die nationalkonservative PiS regierte, führt nun der Liberalkonservative Donald Tusk eine Koalition an, der unter anderem die Neue Linke angehört. Besonders stark konnte sein Wahlbündnis in Warschau punkten, während die PiS in vielen ländlichen Woiwodschaften gewann.
Für polnische Verhältnisse ist die Hauptstadt also definitiv linker und pro-europäischer als der Rest des Landes. Mit linken Erfolgen wie in Wien, Paris oder Berlin, kann man das aber nicht vergleichen. Bürgermeister Rafał Trzaskowski ist ein Tusk-Mann – auch er ist nicht links, die Partei der beiden sitzt etwa im EU-Parlament in der Fraktion der Europäischen Volkspartei, gemeinsam mit der ÖVP.
London: Jahrelange Labour-Übermacht
Seit dem Brexit findet sich das wohl markanteste Beispiel für eine linke Hauptstadt knapp außerhalb der EU: London, wo die sozialdemokratischen britische Labour-Partei bei Gemeindewahlen regelmäßig Ergebnisse im Stile der Wiener SPÖ einfährt. Bürgermeister Sadiq Khan regiert seit 2016, im Mai 2024 wurde er mit 43,8 Prozent der Stimmen bestätigt.

Die Labour-Partei hat die britische Hauptstadt fest in der Hand: Londons Bürgermeister Sadiq Khan (rechts) regiert seit 2016 - und verhalf seinem Labour-Parteichef Keir Starmer im Vorjahr zum landesweiten Wahlsieg.
Selbst in der von 2010 bis 2024 andauernden Ära konservativer Premierminister blieb die Metropole tiefrot. 2021 holte Labour etwa 38 Prozent der Stimmen, während man landesweit zwei Jahre zuvor mit 32 Prozent den konservativen Tories (43,6 %) zum wiederholten Mal deutlich unterlegen war.
Erst im Vorjahr drehte sich der Wind, Labour gewann die landesweiten Wahlen mit 33,7 Prozent deutlich und stellt heute mit Keir Starmer den Premierminister.
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