Welche Chancen hat Kern auf Spitze der EU-Sozialdemokraten?
Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament erinnern sich mit Begeisterung an den Auftritt von Christian Kern in Brüssel kurz vor der Sommerpause. "Wir hatten eine ausgezeichnete Diskussion, viele sagten, Kern sollte bei der EU-Wahl als Spitzenkandidat der Europäischen Sozialdemokraten antreten", erzählen Fraktionsvize Josef Weidenholzer und SPÖ-Delegationsleiterin Evelyn Regner.
Mittwochabend meldet Kern seine Kandidatur bei einem Treffen sozialdemokratischer Parteivorsitzender in Salzburg an. Fünf Regierungschef standen auf derTeilnehmerliste (Sánchez, Tsipras, Muscat, Costa, Löfven) sowie etliche andere Partei-Granden. "Dass Christian Kern als europäischer Spitzenkandidat antreten will, kommt für uns völlig überraschend“, äußerten gleich mehrere Parteichefs gegenüber dem KURIER. "Er hat uns darüber nicht vorab informiert", wurde Kritik laut.
Noch keine Vorentscheidung
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn schloss aus, dass in Salzburg eine Vorentscheidung über die Nummer 1 fallen werde. Dies soll spätestens Ende November nach Hearings in der SPE-Fraktion feststehen. Am 7. und 8. Dezember wird der Spitzenkandidat der SPE bei einem Parteitag in Lissabon gekürt. Es dürfte sich wohl um einen Mann handeln, da die EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini bereits abgesagt hat.
Für Kern gibt es im Rennen um den europäischen Spitzenkandidaten eine große Konkurrenz, und die heißt Frans . Er ist Vizepräsident der Europäischen Kommission. Auch wenn seine Partei in den Niederlanden schwach ist, Timmermans ist EU-weit bekannt, bestens vernetzt und spricht perfekt ein halbes Dutzend Sprachen. In ihm sehen viele Sozialdemokraten den Herausforderer für den Deutschen Manfred Weber, der bereits als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei feststeht. Offiziell hat sich Timmermans noch nicht geäußert, er wird aber intensiv von Europas Roten "kontaktiert", wie es aus westeuropäischen sozialdemokratischen Parteien heißt.
Auch dem französischen Währungskommissar Pierre Moscovici werden Ambitionen für eine Spitzenkandidatur nachgesagt. Sollte das Prinzip des "Spitzenkandidaten" bei der Europa-Wahl 2019 wie bereits 2014 zum Tragen kommen, sucht der Wahlgewinner eine Mehrheit für sich im Europäischen Parlament. Noch führt die EVP in den Umfragen, und es ist anzunehmen, dass Weber dann Kommissionspräsident wird.
Doch 2019 könnte alles anders sein: Rechtspopulistischen und rechtsnationalen sowie EU-ablehnenden Parteien werden große Zuwächse prognostiziert, möglich, dass sie sich zusammenschließen und die größte Fraktion im EU-Parlament bilden.
Antreten will auch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron mit der Liste "En Marche-Europe". Eine Kooperation – oder auch Fusion – dieser Liste mit den Liberalen wird angestrebt. Die Sozialdemokraten wollen eine eigene Fraktion behalten und nicht mit Macrons Truppe zusammengehen.
Dass Kern Kommissionspräsident werden könnte, ist ausgeschlossen, weil er dafür die Zustimmung der Bundesregierung braucht, die ÖVP hat bereits ein Nein signalisiert. Auch andere EU-Jobs, wie Ratspräsident oder der Hohe Beauftragte für die Außen- und Sicherheitspolitik kommen nicht in Frage, auch dabei redet die türkis-blaue Regierung mit.
Der Noch-SPÖ-Chef könnte aber die Europäische Sozialdemokratische Partei übernehmen, die jetzt der Bulgare Sergei Stanishev führt. Eine andere Option wäre Fraktionsvorsitzender der SPE im EU-Parlament und danach Parlamentspräsident. Alle Funktionen werden demokratisch gewählt.
Anmerkung: Eine frühere Agenturmeldung an dieser Stelle wurde um 13:15 mit dem Bericht des KURIER ersetzt.
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