Wie Orban für die Zeit nach dem Krieg vorbaut
Nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine hatte man wenige Tage das Gefühl, Viktor Orbán könnte einen Kursschwenk einleiten. Die Regierung hatte ukrainische Flüchtlinge ausdrücklich willkommen geheißen, den „Angriff“ Russlands verurteilt und in der EU zunächst sämtliche Entscheidungen gegen Russland mitgetragen.
"Mischen uns nicht ein"
Dann kam der Schwenk auf den gewohnten Kurs. Zunächst mit der Begründung, Budapest wolle sich in den Russland-Ukraine-Konflikt nicht einmischen. Nicht unwesentlich ist dabei, dass sich die ungarische Regierung zum Zeitpunkt der russischen Invasion am 24. Februar gerade mitten im Wahlkampf befand.
Während andere Regierungschefs von „Zeitenwende“ sprachen, spielte der ungarische Regierungschef den Krieg herunter. Zwar versuchte die ungarische Regierung, nicht den Fakt zu verdrehen, dass Russland der Aggressor in diesem Krieg ist, aber man sprach sich gegen Waffenlieferungen an Kiew aus sowie ein Öl- und Gasembargo. Der Twist war schnell gefunden: „Wir sind die Einzigen, die Frieden wollen, während die anderen den Krieg unnötig verlängern“, hieß es aus Budapest sinngemäß.
Verzettelt
Da spielte es Orbán in die Karten, dass sein Gegner bei der Wahl, Péter Márki-Zay, sich in einem Interview verzettelt hat, erinnert sich Journalist Márton Gergely: Der Premier antwortete auf die Frage, ob Ungarn gegebenenfalls Soldaten in die Ukraine schicken würde, mit der allgemeinen Aussage, dass man „als NATO-Mitglied die Ukraine mit alle möglichen Hilfsmitteln“ unterstützen könne. Gefundenes Fressen für Orbán und die von Fidesz dominierten Medien. Márki-Zay wurde in den Mund gelegt, junge Ungarn als Kanonenfutter in die Ukraine schicken zu wollen. Die Stimmungswerte von Fidesz stiegen. „Obwohl Orbán als Putin-Verbündeter bekannt ist, war zwei Wochen nach der Invasion klar: Der Krieg wird Orbán und Fidesz helfen“, sagt Gergely. Der amtierende Premier gewann die Wahlen, die als Kopf-an-Kopf-Rennen gestartet waren, glasklar. Mit einer Machtfülle, die ihm auch in der EU wieder ein gewisses Gewicht verleiht. Auch ohne die scheinbar verloren gegangene Achse Warschau-Budapest. Doch in Budapest glaubt man, den polnischen Partner nur auf Zeit verloren zu haben.
Ungleiche Beziehung
In Sachen Moskau lag man schließlich nie auf einer Wellenlänge. „Das Zweckbündnis wird bestehen bleiben“, sagt Gergely. Das Veto Polens für ein Artikel-7-Verfahren (Rechtsstaatlichkeit) gegen Ungarn ist immer noch fix gebucht. Wenn die Krise eines Tages vorüber sein sollte, könne man in Brüssel wieder vereint auftreten.
Kurz hatte es den Anschein, dass es wieder eine gemeinsame Linie geben kann: Das Vorhaben der EU, die globale Mindeststeuer einzuführen, blockierte zunächst Polen, dann Ungarn. Doch Warschau konnte überzeugt werden, Ungarn blieb hart.
Inzwischen kann sich Orbán als Vermittler darstellen und muss so die Putin-Nähe nicht aufgeben. Entscheidungen wie die, das Gas-Embargo und die Kyrill-Sanktionen der EU zu blockieren, sind „langfristige Investitionen“, so Gergely. „So etwas kommt ihm eines Tages zugute.
In Warschau bleibt die Hintertür offen
Das Land an der Grenze zur Ukraine hat seit dem russischen Angriff mehrere Millionen Grenzübertritte von ukrainischer Seite registriert. Nicht alle Flüchtlinge sind geblieben, der größte Teil aber doch. Viele Polen brachten die Ukrainer bei sich zu Hause unter. Auch im Wohnblock des Journalisten Marcin Antosiewicz nahmen von neun Haushalten fünf Menschen aus der Ukraine auf. „Wir haben nicht diese Infrastruktur wie Deutschland oder Österreich“ sagt Antosiewicz, der einst Korrespondent des Staatssenders TVP war.
Ganz Europa staunt über Polens tiefgreifenden Imagewandel – vom Buhmann, der das Justizsystem zu einem Handlanger des Staates machte, zu einem Musterbeispiel an Solidarität und Mitgefühl.
Richtig gelegen
Der nationalkonservativen Führung in Warschau gestehen westliche Politiker zudem nun ein, dass sie mit dem pessimistischeren Blick auf den Kreml richtig gelegen war. „Immer, wenn Russland etwas Bedrohliches unternimmt, ist es so, dass Polen von außen als Frontstaat wahrgenommen wird und eine bessere Reputation bekommt“, sagt Marcin Kedzierski, Mitgründer der konservativen Denkfabrik „Klub Jagiellonski“, zum KURIER.
Protest ist verstummt
Dass „die Ukraine an den Westen angebunden und Russland den Krieg verlieren muss“, einige nach Ansicht Kedzierskis die Konservativen und Liberalen in der Politik.
Seit sechs Jahren regiert in Polen die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS). Gleich nach ihrer Wahl ging der Streit los, zwischen Befürwortern und den Gegnern. In der Hauptstadt demonstrierte fast eine Viertel-Million Menschen. Das ist längst vorbei. Die Oppositionsparteien haben resigniert, der Protest auf der Straße ist verstummt.
Antosiewicz hält derzeit die Spaltung in den Gesellschaften Frankreichs und Deutschlands für die gravierendere. Der liberal eingestellte Journalist, der lange in Deutschland und Großbritannien gelebt hat, befürchtet, dass die neuerdings gute Reputation Polens nicht nachhaltig sein wird.
Brüssels Milliarden
Während Image nicht so leicht messbar ist, sieht es beim Geld anders aus: Polen kann mit 24 Milliarden Euro Zuschüssen und 12 Milliarden Euro Krediten für den Aufbau der Wirtschaft als Pandemie-Hilfe rechnen.
Diese Gelder wurden wegen der umstrittenen Justizreform von Brüssel zurückgehalten. Doch dann gab die Regierung in Warschau nach langem Kräftemessen mit Brüssel Zeichen des Einlenkens. Nun muss sie die umstrittene „Disziplinarkammer“, die Juristen bis hin zum praktischen Berufsverbot zwang, abschaffen.
Absicherung
Vorbei ist der Streit mit Brüssel jedoch noch nicht. Es gibt noch einige Rechtstaatlichkeitsverfahren, die gegen Polen angestrengt werden. Darum hält sich die Regierung Morawiecki mit Kritik an Ungarn, das weiterhin auf gute Beziehungen zu Russland setzt, zurück.
Denn das verbliebene „Schwarze Schaf“ innerhalb der EU soll via Veto verhindern, dass Polen aus der EU ausgeschlossen wird, wenn die Justizreform eines Tages doch weiter betrieben würde und die Begeisterung für Polens Solidarität in Europa wieder verschwunden ist.
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