Warum das "Deutsche Eck" ganz woanders ist
Ralf Beste sitzt in der Hietzinger Residenz der deutschen Botschaft auf gepackten Koffern: Nach zweieinhalb Jahren als Botschafter in Wien erschallte der Ruf aus Berlin, die Kultur- und Kommunikationsabteilung des deutschen Außenamtes zu übernehmen. Der frühere Journalist geht mit Neugier und mit Wehmut. Kaum einer vor ihm hat sich so sehr mit den gegenseitigen Klischees zwischen Deutschen und Österreichern auseinandergesetzt. Ein Abschiedsgespräch auch darüber.
Auf der Homepage Ihrer Botschaft stellen Sie sich so vor: „Mein erster Kontakt mit Österreich war Cordoba 1978 – ausgerechnet an meinem 12. Geburtstag. Danach konnte es nur besser werden.“
Sie müssen sich vorstellen, dass ich mit 12 als Weltmeister 1974 in die Fußball-WM gegangen bin ...
... „ich“ im Sport ist schon sehr österreichisch: „Wir“ gewinnen auch immer, wenn ein Skifahrer siegt.
Ja, eine gewisse Gewöhnung an die Sprache kann ich selbst als Westfale nach zweieinhalb Jahren nicht in Abrede stellen.
Hat sich die einmalige Niederlage, Betonung auf ein Mal, gegen Österreich tatsächlich so eingebrannt wie bei uns der einmalige Sieg?
Nein, natürlich nicht so lang anhaltend. Und ich habe genug Ostdeutsche getroffen, für die war der DDR-Sieg bei der WM ’74 gegen die Bundesrepublik viel nachhaltiger.
Da sind wir schon tief in den Klischees. Sie gaben als Botschafter eine Studie in Auftrag, was der Österreicher vom Deutschen hält. Viele Klischees wurden bestätigt: fleißig, pünktlich, genau, aber bei der Sympathie ist noch Luft nach oben lässt. Waren Sie überrascht?
Jemand, der länger hier ist, kann nicht überrascht sein. Menschen in Deutschland waren wahrscheinlich stärker überrascht, weil sie dachten, dass sie mehr Punkte auf der Beliebtheitsskala bekommen.
Welche Klischees hat denn der Deutsche vom Österreicher? Dass er gut gelaunt ist, fröhlich, unkompliziert.
Dabei gilt Wien doch als grantigste Stadt Europas.
Dass Wien nicht gleich Österreich ist, wissen wir aber. Und ich sage Ihnen, wenn Sie aus Berlin kommen, sind Sie einiges gewöhnt.
Und welches Klischee hat sich bestätigt?
Dass wir in unserer kulturellen Prägung doch sehr unterschiedlich sind. Österreich ist ein stark katholisch geprägtes Land, Deutschland eher protestantisch, was sich in Umgangsformen und einer gewissen Strenge bei uns äußert. In Österreich ist man oft lockerer und kann auch mal fünfe gerade sein lassen.
Worum beneidet der Deutsche die Österreicher?
Um diese pragmatische Lockerheit. Und um die Küche vielleicht.
Um die vielen Kanzlerwechsel und Regierungsumbildungen nicht?
Ich habe als Erwachsener so viele Kanzlerwechsel in Deutschland erlebt wie in Österreich in meiner Zeit als Botschafter Kanzler, nämlich vier. Das sagt etwas über eine unterschiedliche Verfassung aus. In Österreich ist es leichter, Kanzler zu ernennen, aber auch sie abzuwählen. Und es gab in Österreich in den zweieinhalb Jahren eine Verkettung von Ereignissen, die auch für Österreich sehr ungewöhnlich war.
Die „ungewöhnlichen Ereignisse“ und zuletzt der schnelle Übergang zur Normalität hat sie verblüfft?
Was uns Deutsche schon überraschte, war die Schnelligkeit, mit der das ablief.
Was hat Sie hier sonst verblüfft?
Ich habe mich bestätigt gesehen, dass andere Nationen uns zu Recht für sehr ähnlich halten – aber ich habe dann mit zunehmender Begeisterung festgestellt, wie groß die Unterschiede sind. Bis ins Sprachliche hinein. Dass da, wo das Gleiche draufsteht, unterschiedliche Dinge drin sind.
„Was die Deutschen und die Österreicher trennt, ist ihre gemeinsame Sprache“, hat Karl Kraus zwar nie gesagt, stimmt aber?
96 Prozent der in der erwähnten Studie befragten Österreicher sagen auf die Frage, woran erkennen Sie einen Deutschen: „An der Sprache.“
Markanteste Beispiele?
Das Wort „servus“ zum Beispiel. Ich habe hier gelernt, dass der Gruß so informell ist, dass er eher in Duz-Beziehungen verwendet wird. Und der Deutsche wundert sich, wenn er einen Österreicher mit „servus“ begrüßt, dass der ihn dann duzt – und hält das für distanzlos.
Schön, bitte noch ein Beispiel.
Das „Deutsche Eck“. Wenn Sie in Wien auf Wikipedia den Begriff eingeben, ist das die schnellste Straßenverbindung über Salzburg in den Westen; wenn Sie in Berlin Wikipedia befragen, erfahren Sie, das „Deutsche Eck“ steht in Koblenz am Zusammenfluss von Rhein und Mosel. Das weiß keiner vom anderen – und hatte noch mehr Verständnisprobleme, als in der Corona-Krise der Verkehr übers „Deutsche Eck“ eingestellt wurde.
Was haben Sie in Österreich am liebsten getan, außer Botschafter zu sein natürlich?
Rad fahren. Das war sehr wichtig in der Pandemie, dass ich mit meinem Rennrad in den Wienerwald fahren, Berge hochfahren konnte.
Damit erübrigt sich die Frage: Lieber am See oder lieber in den Bergen in Österreich?
Berg. Ansonsten Meer!
Schnitzel oder Schweinsbraten?
Schnitzel.
Ski oder Fußball in Österreich?
Schi, und immer mit SCH.
Beisl oder Heuriger?
Beisl.
Burg oder Oper?
Burg.
Villacher Fasching oder Mainzer Karneval?
Beides nicht.
Wieder ernst: Sie verlassen nach zweieinhalb Jahren Österreich – sind Sie ein Opfer der Ampelkoalition in Berlin?
Dass die Stelle, die ich jetzt einnehmen werde, frei wurde, hat auch mit dem Regierungswechsel zu tun, das ist normal. Ich sehe es natürlich als Opfer, dass ich Wien und Österreich verlassen muss, freue mich aber auf die Chance, Neues anzufangen.
Mit der Kultur- und Kommunikationsabteilung geht’s zurück zur Kommunikation, Sie haben als Journalist beim „Spiegel“ begonnen. Half das erste Leben als Journalist im zweiten als Diplomat?
Journalisten und Diplomaten sind eigentlich sehr unterschiedlich und in ihren Reflexen sinnvollerweise anders gepolt. Wenn Journalisten Konflikte sehen, steuern sie darauf zu, wenn Diplomaten Konflikte sehen, versuchen sie diese zu entschärfen. Journalisten lieben das Neue und Überraschende, Diplomaten versuchen die Dinge unter Kontrolle zu halten und unliebsame Überraschungen zu vermeiden. Aber es war auch sehr hilfreich, die Reflexe und Intuitionen aus dem einen in den anderen Beruf herübernehmen und adressatenbezogen kommunizieren zu können. Weil ja ein guter Journalist weiß, wenn eine Botschaft nicht ankommt, ist das ein Problem des Senders.
Als Journalist könnten sie wie der „Spiegel“ jetzt fragen „Wo ist Olaf Scholz?“; als Diplomat müssen Sie sagen „Wird schon“.
Versuchen wir es so: Hanseaten sind vielleicht etwas lakonischer als Österreicher, aber sie können sich auch verständlich machen.
„Konflikte entschärfen“ sagen Sie – – wie löst man den mit Russland?
Wir versuchen es mit Diplomatie und Verhandlung. Denn wir glauben, dass sich eine kriegerische Eskalation vermeiden lässt – das heißt nicht, dass man sich nicht auch auf die Eventualitäten vorbereitet. Aber es ist auch von unserer Seite wichtig, nicht krisenverschärfend vorzugehen.
Ist alles nicht nur ein großes Säbelrasseln, mit dem Russland vom Westen etwas erzwingen will?
Das wissen wir nicht. Wir leben in einer Welt, in der wir die anderen Akteure schwer durchschauen können. Es wäre genauso voreilig zu sagen, der Krieg kommt, wie zu sagen, es ist nur Säbelrasseln.
Zurück zu Österreich: Was werden Sie am meisten vermissen?
Die Berge, ich ziehe ins Flachland. Und viele freundliche Menschen, die meine Offenheit mit Gleichem vergolten haben.
Zurück zu Deutschland und zum Fußball: Borussia oder Bayern habe ich nicht gefragt, weil ich weiß, dass Sie Borussia-Mitglied sind. Geht sich der Meistertitel noch aus?
Erstens, man soll die Hoffnung nie aufgeben. Zweitens, jemanden, der seit seinem sechsten Lebensjahr BVB-Fan ist, quält natürlich jede Niederlage, aber eigentlich ist die Treue zum Verein wichtiger als der Erfolg.
So geht’s den Österreichern mit der Nationalmannschaft auch – danke für das Gespräch, und ein „Servus“.
Fotos: Jeff Mangione
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