Wahl zum EU-Ratspräsidenten: Warum boykottiert Polen Donald Tusk?

Der ehemalige polnische Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski.
Ausgerechnet die polnische Regierung, gebildet von der Partei des Ex-Ministerpräsidenten Jaroslaw Kaczynski, stellt sich bei der Wahl des EU-Ratspräsidenten gegen den polnischen Amtsinhaber Donald Tusk. Was ist da los?

Am Donnerstag wird ein neuer Präsident des Europäischen Rates gewählt - jenes Gremiums, in dem die Regierungen der Mitgliedsstaaten direkt vertreten sind. Protokollarisch hat der Ratspräsident die höchste Position der Europäischen Union inne. Seit 2014 wird das Amt vom Polen Donald Tusk besetzt. Die anderen Staaten sind zufrieden mit dem Politiker der "Bürgerplattform", die zur Europäischen Volkspartei (EVP) gehört. Er wird vermutlich wieder gewählt werden, obwohl ausgerechnet sein Heimatland Polen in den vergangenen Tagen plötzlich einen Gegenkandidaten ins Spiel gebracht hat. Die nationalistisch-rechtskonservative Regierung, geführt von der Partei "Recht und Gerechtigkeit", welcher auch der umstrittene Ex-Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski als Vorsitzender angehört, nominierte Jacek Saryusz-Wolski - einen ehemaligen Parteikollegen Tusks Was steckt dahinter? Kurier.at fragte den Direktor des Warschauer Instituts für Höhere Studien, Sławomir Sierakowski.

Wahl zum EU-Ratspräsidenten: Warum boykottiert Polen Donald Tusk?

Kurier.at: Warum will die polnische Regierung Donald Tusk plötzlich nicht mehr?

Sierakowski: Es gibt keinen rationalen Grund und die Regierung hat auch nie einen angegeben. Anfangs unterstützten Jaroslaw Kaczynski und "Recht und Gerechtigkeit" den "Polen auf dem EU-Top-Posten". In den vergangenen sechs Monaten vermieden sie eine klare Antwort über dessen zweite Amtszeit. Vor einer Woche hörten wir plötzlich, dass die Regierung ihn ablehnt und einen anderen Kandidaten unterstützt. Wir sind in der sehr verwirrenden Situation, in welcher nur Polen gegen einen Polen ist. Und das angeleitet von einer Regierung, die sich immer als die größten polnischen Patrioten darstellt. Es ist ziemlich peinlich.

Hat Tusk irgendetwas Konkretes getan, um die Regierung zu verärgern?

Die offizielle Begründung ist, dass Tusk gegen Polen arbeitet, die Regierung kritisiert und Sanktionen gegen Polen unterstützt. Das ist einfach nicht wahr. Es ist ziemlich klar, dass Tusk die Europäische Kommission und andere Mitglieder überzeugen wollte, keine Sanktionen gegen Polen zu verhängen. Innerlich wird er sicher kritisch sein bezüglich dem, was in Polen passiert. Die ganze Welt ist kritisch dem gegenüber. Aber er hat es nie formuliert. Und selbst wenn er das getan hätte, hätte er jedes Recht darauf, seine Meinung zu dem zu haben, was hier passiert. Der Ratspräsident sollte über dem nationalen Interesse stehen.

Ist das auch eine Attacke gegen die EU? Immerhin kommt diese Sache zu einem schlechten Zeitpunkt. Was kann Kaczynski bei alldem gewinnen?

Der wahre Grund ist: Kaczynski beschuldigt Tusk absurderweise, hinter der Smolensk-Tragödie zu stecken. Es ist völlig absurd, aber er ist davon besessen. Verstärkt wird das vielleicht davon, dass er acht Mal in Folge Wahlen gegen Tusk verloren hat. Er will Rache. Kaczynski ist ein sehr spezieller Politiker. Er ist nicht wie Orban. Orban ist ein Zyniker, Kaczynski ein Fanatiker. Ein Zyniker würde nie gegen das eigene Interesse arbeiten, ein Fanatiker hingegen Selbstmord für eine Sache begehen. Kaczynski interessiert die Europäische Union und Wirtschaft nicht - hat es nie. Er ist nur auf das konzentriert, was Sie in Österreich “Vergangenheitspolitik” nennen. Für ihn ist Smolensk wie eine Religion und Tusk ist wie der Antichrist. Internationale Beziehungen sind da nicht wichtig.

Da gibt es also kein strategisches Element?

Überhaupt keines. Was sollte das strategische Interesse für Polen dabei sein, so zu handeln? Kaczynski ist kein regulärer Politiker, kein Staatsoberhaupt. Er ist wie ein Geisterkönig aus der polnischen Romantikliteratur des 19. Jahrhunderts. Er ist surreal. Er hat keine Wähler. Er hat Gläubige.

Wahl zum EU-Ratspräsidenten: Warum boykottiert Polen Donald Tusk?
President of the European Council Donald Tusk arrives for an Informal summit of EU heads of state or government on February 3, 2017 in Valletta, Malta. European Union leaders will try to rally together to revive the beleaguered bloc at a special summit in Malta Friday in the face of "threats" from migration, Brexit and Donald Trump. It is the latest in a series of crisis meetings since Britain voted to leave the EU last June, but fears about the new US president have strengthened the sense that the bloc is now at a decisive moment in its history. / AFP PHOTO / Andreas SOLARO

Wie wirkt sich all das auf Tusk in Polen aus?

Laut Umfragen unterstützen mehr Polen die Unterstützung seine Kandidatur als sie ablehnen. Er ist immer noch populär. Aber es ist kein Zufall, dass seine Partei die letzten Wahlen [Anm.: ohne Tusk als Kandidaten] verloren hat. Er ist in der polnischen Politik völlig abwesend und nach Jahren der Abwesenheit ist er natürlich nicht so beliebt wie davor.

Verteidigt ihn seine Partei, die “Bürgerplattform”?

Alle Mainstream-Politiker außer Kaczynski verteidigen Tusk. Die Sache mit Smolensk und Aktion mit Saryusz-Wolski ist so verrückt, dass man nicht einfach neutral sein kann.

Saryusz-Wolski war Mitglied von Tusks Partei. Warum tut er das jetzt?

Wahrscheinlich weil er enttäuscht ist, dass seine Ambitionen nicht erfüllt wurden. Er war ein Experte für europäische Integration seit den 70ern, wurde 1991 Bevollmächtigter für europäische Affären, ging dann ins Europäische Parlament, wurde dessen Vizepräsident. Er dachte, die “Bürgerplattform” würde ihn als Kommissionspräsidenten vorschlagen. Das passierte nicht. Er wartete auf eine bessere Position, aber bekam sie nicht. Er ist auch konservativer als der Mainstream der Partei. Aber es ist für ihn sicher sehr persönlich.

Wäre er unter anderen Umständen prinzipiell eine glaubwürdige, qualifizierte Person als Ratspräsident?

Was seine Erfahrung und sein Wissen über die europäische Politik anbelangt, ist er vermutlich einer der besten im gesamten Europaparlament. Er war akademisch und politisch seit den 70ern darauf wirklich fokussiert und hat seine Meriten, daran herrscht kein Zweifel. Aber so eine Position bekommen nur politische Schwergewichter. So eines war er nie und es wäre unnatürlich, ihn zu nominieren. Durch diese Vorgehensweise ist er außerdem schwer kompromittiert. Vielleicht wird er in Zukunft Polens Außenminister oder als EU-Kommissar vorgeschlagen. Aber er ist jetzt nicht mehr glaubwürdig und hat jedes Vertrauen in der europäischen Politik verloren. Politik ist ein schmutziges Spiel, aber nicht so schmutzig.

Hat sich Polens Regierung in eine Ecke manövriert oder gibt es irgendeine Unterstützung dafür, Tusk zu verhindern?

Ich denke nicht. Es könnte passieren, dass von dem Konflikt zwischen den beiden Konservativen Tusk und Saryusz-Wolski ein Dritter profitiert. Zum Beispiel ein sozialdemokratischer Kandidat. Die führenden Länder könnten sich dann denken: Lasst uns nicht mit Polen kämpfen und den Konflikt nicht eskalieren lassen, sondern weder Tusk noch Saryusz-Wolski wählen. Aber ich halte das nicht für sehr wahrscheinlich.

Was wird in Polen passieren, wenn die EU gegen die Wünsche der Regierung an Tusk festhält?

Das ist eine sehr gute Frage. Wahrscheinlich - und vielleicht ist das einer der Gründe für all das - würde Kaczynski die EU als anti-polnisch beschuldigen. Er wird das nutzen um jede Unterstützung zu delegitimieren die von der Europäischen Kommission für die demokratische Opposition in Polen kommt. Er wird zwischen Warschau und Brüssel polarisieren und die Polen zu überzeugen versuchen, dass alle Probleme von außerhalb kommen.

Vergessen Sie nicht, dass Kaczynski gesagt hat, Tusk sei ein deutscher Kandidat. Kann man sich das vorstellen?

Ist das Ressentiment gegen Deutschland in Polen noch so stark, dass man jemanden damit anschmieren kann?

Überhaupt nicht. Jeder erinnert sich natürlich an den Zweiten Weltkrieg. Aber bei diesen Umfragen, wo die Leute gefragt werden, welche Nationalitäten sie am Liebsten als Nachbarn hätten, sind die Deutschen normalerweise ganz oben. Die Polen kennen Deutschland, sie reisen dorthin, sie handeln sehr viel mit Deutschland. Polen ist ein größerer Handelspartner für Deutschland als Russland. Die Polen wissen, dass unsere Interessen sehr stark mit den deutschen zusammenhängen. Wir mögen einander.

Die polnische Regierung hat kurz vor dem EU-Gipfel ihren Widerstand gegen eine weitere Amtszeit für Ratspräsident Donald Tusk bekräftigt. Ministerpräsidentin Beata Szydlo lehnte es in einem am Mittwoch veröffentlichten Brief an die anderen 27 EU-Staats- und Regierungschefs ab, Tusks Mandat bis 2019 zu verlängern. Sie warf dem ehemaligen polnischen Regierungschef vor, auf dem EU-Posten gegen das Gebot politischer Neutralität "brutal verstoßen" und sich in die polnische Innenpolitik eingemischt zu haben.

Kurz vor dem Brüsseler EU-Gipfel hat der Vorsitzende der rechtsnationalen Regierungspartei in Polen die Staats- und Regierungschefs vor der Wiederwahl seines Landsmanns Donald Tusk als Ratspräsident gewarnt. Tusk sei "der Kandidat Deutschlands", und seine Wiederwahl würde "die Krise der Union verschärfen", sagte Parteichef Jaroslaw Kaczynski laut der Agentur PAP in einem Interview am Dienstag.

Polen allein im Rat

Polen dürfte bei der Ablehnung von EU-Ratspräsident Donald Tusk für eine zweite Amtszeit allein auf weiter Flur bleiben. In EU-Ratskreisen hieß es Mittwoch in Brüssel, aus Ungarn sei keine Überraschung zu erwarten. Ungarn sei mit der bisherigen Amtszeit und der Arbeit des Polen Tusk sehr zufrieden.

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