Wahl-Vorschau: Macron steht Amtszeit voller Kompromisse bevor
Präsident dürfte nach der zweiten Runde der Parlamentswahl auf die Opposition angewiesen sein.
19.06.22, 18:17
Von Simone Weiler aus Paris
Nicht nur die Kandidaten erlebten bei der gestrigen zweiten Runde der französischen Parlamentswahl eine Zitterpartie. Darüber hinaus bangte auch das gesamte Lager um Präsident Emmanuel Macron. Sollte sein Bündnis nach der Wahl nicht wie vor fünf Jahren über eine absolute Mehrheit von 289 der 577 Sitze in der Nationalversammlung verfügen, müssten künftig bei jeder Gesetzesänderung Koalitionen mit der Opposition geschmiedet werden.
Die Wahllokale haben in den französischen Großstädten noch bis 20:00 Uhr geöffnet. Klar scheint jedoch, dass es für die Allianz Ensemble! („Gemeinsam!“), die Macrons Partei La République en marche (LREM) mit anderen liberalen Parteien geschlossen hat, knapp wird, die absolute Mehrheit zu erreichen. 2017 war dies noch gelungen; seither aber verloren Macron und seine Partei viel Zustimmung in der Bevölkerung. Seine Wiederwahl zum Präsidenten im April war auch bedingt durch fehlende überzeugende Alternativen.
Die Opposition will sich das nun zunutze machen. Als stärkste Kraft kristallisierte sich das Bündnis Nupes, eine Abkürzung für „neue ökologische und soziale Volksunion“, heraus. Mit ihm war dem linken Lager erstmals ein Zusammenschluss gelungen, um die Gewinnchancen gemeinsam zu erhöhen. Als Führungsfigur der Nupes tritt der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon auf.
Auf die Warnungen aus Macrons Lager, der EU-Skeptiker Mélenchon stehe für „Anarchie“ und „Chaos“, erwiderte der 70-Jährige nicht weniger aggressiv: „Macron ist das Chaos“. Mit ihm gebe es Sozialabbau und zu wenig Maßnahmen für den Umwelt- und Klimaschutz.
Erfolg für Le Pen in Sicht
Im Laufe des Sonntags zeichnet sich ab, dass nur wenige Menschen zur Wahl gehen werden. Trotzdem steht bereits fest, dass die Rechtspopulistin Marine Le Pen Grund zum Feiern haben dürfte. Ihre Partei Rassemblement National wird wohl deutlich zulegen und darf sogar damit rechnen, erstmals seit 1986 mit mindestens 15 Abgeordneten eine eigene Fraktion stellen zu können. Das bietet mehrere Vorteile: Von Subventionen über mehr Redezeit bis zu Plätzen in Sonderkommissionen.
Dass Macron beim Umsetzen seiner Politik mit Le Pen oder Mélenchon zusammenarbeiten wird, scheint unwahrscheinlich. Auf die konservativen Republikaner könnte er in Zukunft aber angewiesen sein. Das stärkt deren Position – obwohl sie etliche Sitze einbüßen mussten.
Eine geringfügige Regierungsumbildung nach der Wahl ist zudem nicht ausgeschlossen. Insgesamt 15 Minister des neuen Kabinetts treten an, um sich im Falle eines Wahlsiegs als Parlamentarier zwar vertreten zu lassen, aber doch mehr politisches Gewicht zu haben. Mehrere von ihnen, wie der Europaminister Clément Beaune und die Ministerin für den ökologischen Wandel, Amélie de Montchalin, müssen aber um einen Sieg und damit ihren Posten fürchten.
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