Vor der EU-Wahl wetzen die Internet-Trolle schon die Messer

Informationskrieg - EU-Stellen und Experten schlagen vor der Wahl Alarm: Das Internet ist bereits ein Schlachtfeld

War die Einflussnahme Russlands auf die US-Wahl 2016 über soziale Medien nur die Generalprobe?  Fakt ist: Facebook hat in Europa mehr Nutzer als in den USA. Und was EU-Analysten, Beobachter und NGOs derzeit bemerken ist, dass ein ganzes Netzwerk an angeblichen Nachrichtenseiten, Diskussions-Foren, Chatgruppen und Nachrichtenverteilern zunehmend intensiviert daran arbeitet, falsche Informationen, polarisierend aufgepeppte Nachrichten oder schlicht Lügen zu verbreiten. Was viele dieser angeblichen Nachrichtenportale eint, ist ein digitaler Fingerabdruck der auf eine russische Urheberschaft hinweist.

Die Analyseseite „ EU vs Disinfo“ formuliert es so: Kreml-nahe „Fehlinformations-Plattformen“ praktizierten die Kunst des „fast nicht lügens“ – wobei es an Lügen nicht mangle. Der Focus liege dabei auf den großen EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich. Die Lieblings-Stoßrichtung Kreml-naher lokaler Seiten in den jeweiligen Landessprachen: Anti Migration, anti EU, anti NATO – gewürzt sehr oft mit klar antisemitischen Untertönen.

Ein ganz zufälliges Beispiel vom Sonntag. Die Top-Nachricht der deutschen Seite des russischen Auslands-Propaganda-Senders Russia Today: „EU-Wahlen: Demokratische Fassade statt echter Mitbestimmung?“ Die Stoßrichtung der Geschichte: Der Nationalstaat, nicht die EU sichere die Demokratie. Letztere arbeite für die Industriellen.

Untermengt im Nachrichtenmix diverser Seiten sind haltlose Behauptungen, haarsträubende Schock-Geschichten und Verschwörungstheorien. Zwei der letzten großen Beispiele: Der Brand in der Kathedrale Notre-Dame in Paris, den einschlägige Seiten ganz im Gleichklang mit russischen Staatsmedien als das Werk von Islamisten, Resultat einer Spionage-Verschwörung oder Sabotage eines Geheimbundes darstellten. Das zweite Lieblingsthema der letzten Monate: Die Gelbwesten-Proteste in Frankreich, zu den ebendiese Seiten (wie auch einige Politiker. Stichwort: Salvini) praktisch eins zu eins die Stoßrichtung russischer Medien übernahmen.

RUSSIA-ITALY-DIPLOMACY

Matteo Salvini leistete Schützenhilfe gegen Frankreichs Emmanuel Macron

Das Ziel all dessen: Gezieltes säen von Misstrauen und Zwietracht. Und: Laut „EU vs Disinfo“ erreicht diese Propaganda rund die Hälfte der EU-Bevölkerung.

Was sich den europäischen Stellen mittlerweile aber gezeigt hat ist, dass diese Strategie zumindest teilweise zum Selbstläufer wurde. Sprich: Dass immer öfter auch anscheinend genuine europäische Seiten diese Haltungen übernehmen. Die Strategie geht also auf.

Die EU-Task-Force zu dem Thema spricht davon, dass der Kreml „käufliche und anti-demokratische Akture“ gezielt verstärke, mit dem Ziel seine anti-westliche Agenda voran zu treiben. Laut FBI werden dazu gezielt die politischen extreme gepusht: Mehrheitlich die extreme Rechte, zu der der Kreml auch enge politische Kontakte hat (siehe FPÖ, AfD, Lega-Nord, Orban) aber auch die extreme Linke.

Zugleich übernehmen politische Akteure in Europa immer öfter politische Strategien und Taktiken des Kreml, wie EU-Offizielle gegenüber der New York Times anmerkten. Etwa das scheibchenweise Eskalieren der Sprache zu einem Thema.

Das macht es letztlich schwierig für EU-Stellen und  soziale Medien zwischen tatsächlicher direkter Propaganda, zumeist rechtsextremer Desinformation und tatsächlicher politischer Debatte zu unterscheiden. Und daraus resultiert die Frage: Wie umgehen damit?

Facebook, twitter und google haben sich auf freiwilliger Basis dazu bereit erklärt, Fake-News zu bekämpfen. Aber selbst für den Fall, dass diese das ernsthaft tun, ist Europa ein harter Brocken: In den 28 Staaten der EU werden alleine auf facebook täglich zwei Milliarden Posts abgesetzt – in 24 offiziellen Sprachen. Und wer entscheidet, was eine Nachricht ist und was eine Fehlinformation? Selbst professionelle Fakten-Check-Seiten kommen mit der Fülle an Falschmeldungen längst nicht mehr zurande. Sollen staatliche oder überstaatliche Stellen das entscheiden? Oder die Sozialen Medien selbst? Die Niederländische EU-Abgeordnete Marietje Schaake gegenüber der New York Times dazu: „Wir sollten es nicht den Plattformen, die die Probleme kreieren, überlassen, Lösungen zu suchen.“

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