Misstrauen gegen Von der Leyen: Im EU-Parlament kracht es zwischen Links und Rechts

Eigentlich sah das Ganze nur nach ein bisschen Theater im EU-Parlament aus: ein kurzer Knalleffekt und keine bleibenden Schäden. Ein Misstrauensantrag einer Gruppe rechtspopulistischer und rechtsextremer Abgeordneter gegen die EU-Kommission von Ursula von der Leyen wird am Donnerstag in Straßburg abgestimmt. Offizieller Anlass sind undurchsichtige Beziehungen zwischen von der Leyen und dem Impfstoffhersteller Pfizer während der Corona-Pandemie. Doch es geht um weit mehr und um viel größere politische Konflikte. Und genau deshalb hat dieser Misstrauensantrag in den vergangenen Tagen und Wochen gewaltige politische Sprengkraft entwickelt.
Auch wenn der Antrag keine realistischen Aussichten auf eine Mehrheit hat, legt er die immer tieferen politischen Gräben zwischen linken und rechten Parteien im EU-Parlament offen. Die sogenannte pro-europäische Mitte, bestehend aus Europäischer Volkspartei EVP, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen, die über viele Jahre die EU-Politik bestimmt hat, ist zerstritten und steht vor dem offenen Bruch.
Sozialdemokraten, Liberale und Grüne sehen die EVP nicht mehr als verlässlichen Partner. Diese würde immer enger mit den Parteien am rechten Rand im EU-Parlament zusammenarbeiten. Die sind seit den EU-Wahlen im Vorjahr gestärkt, so massiv, dass sich für die EVP mit ihnen eine Mehrheit im EU-Parlament ausgeht – gegen die bisherigen Bündnispartner.
Abkehr vom grünen Kurs
Deren Ärger richtet sich vor allem gegen EVP-Fraktionschef Manfred Weber. Der Deutsche bekennt sich offen dazu, die politischen Ziele seiner Fraktion auch mit Hilfe von Mehrheiten rechts der Mitte durchzusetzen. Hauptstoßrichtung dabei ist die Stärkung der europäischen Wirtschaft. So soll die von zu viel Bürokratie und zu vielen Auflagen für Umwelt- und Klimaschutz entlastet werden. Der „Green Deal“, also die großen Klimaschutz-Gesetze, die in den ersten vier Jahren Von der Leyens beschlossen wurden, sollen zurechtgestutzt werden und nur noch für die allergrößten Unternehmen gelten. Gemeinsam mit der EVP als größter Fraktion im EU-Parlament fährt die EU-Kommission diesen neuen Kurs und boxt ihn durchs Parlament – wenn notwendig mit rechten Mehrheiten.
Von der Leyen geschwächt
Die Grünen fürchten um ihre zentralen politischen Ziele, aber auch Sozialdemokraten und Liberale sehen sich und ihre Anliegen zunehmend übergangen. Der Misstrauensantrag liefert den drei Parteien jetzt eine Möglichkeit, ihren Ärger über die EVP deutlich zu machen.
Da er von rechtsextremen Abgeordneten eingebracht wurde, kann man natürlich nicht mitstimmen, aber eine Stimmenthaltung, oder sogar ein Fernbleiben von der Abstimmung wird von vielen überlegt. Je weniger Parlamentarier aber an dem Votum teilnehmen und je weniger sich hinter Von der Leyen stellen, desto schlimmer wird die politische Niederlage für die Kommissionschefin. Sie wäre ein Jahr nach ihrer Wiederwahl deutlich geschwächt.
Bis zuletzt gab es hinter den Kulissen hektische Verhandlungen zwischen den Fraktionen. Vor allem die Sozialdemokraten, zweitstärkste Fraktion im EU-Parlament, versuchten der EVP politische Zugeständnisse abzuringen. „Wir haben klare Forderungen und eine klare Vorstellung von unseren politischen Linien“, erläutert etwa Andreas Schieder EU-Abgeordneter der SPÖ, die Haltung der Sozialdemokraten. Dass der EVP-Chef ständig eine Zusammenarbeit mit Rechtsaußen als Druckmittel einsetze, werde man nicht länger akzeptieren: „Für blöd muss man sich von Manfred Weber nicht verkaufen lassen.“
Bei der EVP nimmt man die Aufregung gelassen. Man habe politische Anliegen, gemeinsam mit der EU-Kommission, und die werde man umsetzen. Man habe den Wählern versprochen, die grüne Bürokratie zu reduzieren, meint ein EVP-Abgeordneter, „davon lassen wir uns nicht abhalten, nur weil andere laut ’Rechtsextremismus’ rufen.“
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