Völkermord in Ruanda: Vor 25 Jahren regierte der Hass

Noch heute werden bei Ausgrabungen Überreste von Opfern gefunden.
Ein lange schwelender Konflikt schlug in wochenlanges Morden um. Der Genozid hatte eine lange Vorgeschichte.

Am 6. April 1994 begann im ostafrikanischen Ruanda ein Verbrechen von unfassbarer Dimension: In einem 100 Tage andauernden Gewaltausbruch ermordeten Anhänger von Hutu-Milizen und Zivilisten Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Tutsi. Auch Hutu, die als gemäßigt galten oder sich dem Völkermord nicht anschließen wollten, wurden getötet. Die genauen Opferzahlen sind bis heute nicht genau ermittelbar. Mindestens 800.000 Menschen mussten ihr Leben lassen.

Konflikte seit Kolonialzeiten

Zwischen beiden Volksgruppen bestanden seit der belgischen Herrschaft über das Land Ressentiments. Die europäischen Kolonialisten stützten sich auf krude Rassentheorien und bevorzugten die Tutsi. Während diese großteils als wohlhabende Viehzüchter tätig waren, verdingten sich die Hutu meist als Bauern. Obwohl zahlenmäßig klar in der Minderheit, waren die Tutsi vom Kolonialherren ausgewählte Oberhäupter. Nachdem Belgien das Land in die Unabhängikeit entließ, stürzten die Hutu die regierende Dynastie der Tutsi. Mit dem Militärputsch von 1973 übernahm Juvénal Habyarimana das Land, die offenen Konflikte verebbten, blieben im Inneren aber bestehen. Die Spannungen zogen sich dabei durch alle Teile des Landes, Menschen die Haus an Haus wohnten, misstrauten und missgünstigten sich.

Wirschaftskrise und Bürgerkrieg

Anfang der 1990er Jahre brach plötzlich der Weltmarkt für Kaffee ein, die Preise sanken in den Keller. Das Land, dessen Hauptexportgut Kaffeebohnen waren, stürzte in eine Wirtschaftskrise. Die Zahl der Arbeitslosen stieg rapide an. Dies bescherte Hutu-Milizen enormen Zulauf und führte zu einer Radikalisierung. Die Lage eskalierte schließlich in einem Bürgerkrieg, als eine aus Exil-Tutsi bestehende Miliz im Norden des Landes einfiel. Die Regierungspartei Habyarimanas (MRND) stand der "Patriotischen Front Ruandas (FPR)" gegenüber. Frankreich unterstützte den Präsident auf seine Bitte hin mit Ausbildungsprogrammen und Beratung bei Waffenimporten. Von einem Völkermord war man damals noch entfernt, wenn auch nicht weit.

"Schont die Triebe nicht"

In Flugschriften und Radiosendungen wurde seitens radikaler Hutu seit 1990 propagiert, dass die Tutsi danach trachten würden, diese auszulöschen, weshalb ein Gegenschlag unvermeidbar wäre. Erfundene Berichte über an Hutu verübte Gräueltaten wurden gedruckt und verlesen, um Angst zu schüren, die sich in Hass umwandeln ließ. Vor allem der Radiosender "Radio Télévision Libre des Mille Collines" fachte mit Tiervergleichen und Gewaltaufrufen den Hass auf die Minderheit weiter an. Dabei bediente man sich auch an Begriffen aus der Landwirtschaft. Die Hutu sollten die "morschen Bäume mit Äxten und Macheten fällen" und dabei deren "Triebe" nicht vergessen. Gemeint waren damit Kinder. Auf die Mordaufrufe folgte Pop-Musik.

Flugzeugabschuss als Initialzündung

Präsident Habyarimana war am 6. April 1994 auf dem Rückflug von Friedensverhandlungen in Tansania. Als sich die Maschine im Landeanflug auf den Flughafen Kigalis befand, wurde sie mit Raketen beschossen und stürzte ab, alle Insassen starben.  Bis dato ist ungeklärt, wer die Maschine unter Beschuss nahm. Die radikalisierten Hutu-Milizen begannen daraufhin innerhalb weniger Stunden, mit bereits existenten Todeslisten oppositionelle Hutu und Tutsi zu ermorden. Im Land stationierte Blauhelme konnten den Völkermord nicht verhindern, das Mandat wurde nach der Ermordung von UN-Soldaten sogar verringert. Die USA wiegelten ebenfalls ab, nach den verlustreichen Kämpfen in Mogadischu im Vorjahr war Bill Clinton nicht bereit, Soldaten zu entsenden.

Unterdessen spielte sich in Ruanda eine unvorstellbare Menschenjagd ab. Mit Straßensperren, dem Durchkämmen von Häusern, Schulen und Kirchen versuchten die Milizen, so viele Tutsi wie möglich zu ermorden. Zehntausende wurden vor ihrem Tod noch auf das Brutalste misshandelt. Berichten zufolge bezahlten manche Opfer für eine Ermordung mittels Gewehrschuss, um nicht bei lebendigem Leib mit Macheten zerstückelt zu werden. Es gab jedoch auch Hutu, die ihre Tutsi-Nachbarn unter Lebensgefahr versteckt hielten, um sie vor dem sicheren Tod zu bewahren. 100 Tage lang wüteten die Täter.

Einhalt und Aufarbeitung

Erst ein entschiedener Vorstoß der FPR  konnte den Völkermord stoppen, an deren Spitze stand der heutige Präsident Paul Kagame. Viele Täter flüchteten ins Ausland, um Repressalien und Strafverfolgung zu entgehen. Das von der UNO gegründete "Internationale Tribunal für Ruanda" (ICTR) beschäftigte sich bis 2015 mit der juristischen Aufarbeitung. Hierbei wurde der weltweit  erste Schuldspruch wegen Völkermordes gefällt. Der Präsident schaffte später die Kasten ab, um die Bevölkerungsgruppen zu einen. International wurden aber auch gegen ihn Ermittlungen geführt, ob er am Abschuss des Flugzeuges von Präsident Habyarimana beteiligt war. Die Ermittlungen wurden aufgrund mangelnder Beweise jedoch eingstellt, ruandische Ermittler halten heute radikale Hutu-Milizionäre für die wahrscheinlichsten Täter.

Digitales Erinnern

In den sozialen Medien wird bereits seit einigen Jahren an den Genozid erinnert. Die bekannte Seite "Humans of New York" veröffentlichte letztes Jahr in zahlreichen Postings die Schicksale einzelner Überlebender.

 

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