Viel Licht und Schatten in der Boomtown Addis Abeba

Die Jugend genießt am Sonntag ihre Freizeit in den Gastgärten des Ambassador Parks. Tags darauf wird wieder in die Hände gespuckt
In der Hauptstadt wird an allen Ecken und Enden gebaut. Eine neue Mittelschicht ist im Entstehen.

In der improvisierten Werkstatt wird geschweißt, gefräst, gehämmert. Insgesamt acht Arbeiter produzieren hier im Zentrum der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba von Montag bis Samstag Schulbänke und -tische aus Eisen, Aluminium-Beschläge, kleine Maschinen, aber auch Hohlblöcke für die Bauwirtschaft. Chef der emsigen Truppe ist Fasfaye Debol, der sich vor zehn Jahren selbstständig gemacht hat – und vom Boom in der Kapitale profitiert.

"Begonnen habe ich mit zwei Mitarbeitern, heute sind es vier Mal so viel. Und meistens sind die Auftragsbücher voll", freut sich der 40-Jährige, der in einer von der Hilfsorganisation "Menschen für Menschen" gegründeten Lehranstalt Metallverarbeitung gelernt hat. Sein Gewinn (vor Steuern) betrug im Vorjahr 200.000 Birr, umgerechnet fast 8000 Euro. Zum Vergleich: Ein Lehrer verdient im Schnitt 740 Euro jährlich.

Dominantes China

Viel Licht und Schatten in der Boomtown Addis Abeba
Äthiopien
Fasfaye Debol ist einer der vielen Nutznießer des ökonomischen Aufschwungs Äthiopiens, der sich mit Wachstumsraten von bis zu zehn Prozent pro Jahr zu Buche schlägt. In der Hauptstadt schießen an jeder Ecke neue Gebäude aus dem Boden. Der Boom in Addis hat den Großraum der Hauptstadt bereits auf fünf Millionen Einwohner wachsen lassen. Die Grundstückspreise haben sich vervielfacht, der Wohnraum ist knapp. Ein neues Gesetz schreibt nun zwingend vor, dass Gebäude mindestens vier Etagen haben müssen. Selbst bestehende Häuser in bestimmten Lagen müssen aufgestockt werden.

Die Kehrseite der Entwicklung: Der riesige Mercato muss Stück für Stück Wohnhausanlagen und modernen Shopping-Malls weichen. Früher lud der Markt mit seinem so besonderen Flair zum ausgedehnten Flanieren ein. Hier bekam man alles – von traditionellem äthiopischem Handwerk über Fleisch und Getreide bis hin zu Plastikschrott aus China.

Die Infrastruktur ist diesem Aufschwung aber nicht gewachsen. Wegen Überlastung bauen sich Internet-Seiten oft gar nicht oder nur lähmend langsam auf. Und selbst in der Millionen-Metropole Addis sind flächendeckende Stromausfälle über mehrere Stunden keine Seltenheit. Hotels, Restaurants und hippe Bars haben daher ihre eigenen Diesel-Aggregate. Und weil sich immer mehr Bürger Autos leisten können, sind die Straßen stets verstopft – eine gerade im Bau befindliche Straßenbahn (großteils auf Stelzen) soll Abhilfe schaffen. Errichtet wird die Trasse von den Chinesen, die massiv präsent sind im Land und auch für die Etablierung des Handynetzes verantwortlich zeichnen. Detail am Rande: Wurden Ausländer in Äthiopien früher "Ferendji" genannt (vergleichbar mit "Gringo"), rufen Kinder heute Hellhäutigen "China" hinterher – weil man Bürgern aus dem Reich der Mitte auf Schritt und Tritt begegnet.

Relaxen im Gastgarten

Der Ambassador Park an einem sonnigen Sonntagnachmittag. Hier genießt die neue Mittelschicht ihre Freizeit. Unter überdimensionalen Yucca-Palmen schlürfen die jungen Männer und Frauen in den diversen Gastgärten ihr "St. George"-Bier oder den köstlichen Kaffee der Region. Andere spielen zu gewöhnungsbedürftiger äthiopischer Pop-Musik Tischtennis oder Billard. Und morgen – wird wieder in die Hände gespuckt.Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Schafe, Ziegen und bisweilen auch Rinder, die durch die Hauptstadt getrieben werden, konterkarieren die Jungen und Schönen, die den Fortschritt symbolisieren. Mindestens 30 Millionen der geschätzten 100 Millionen Äthiopier müssen mit einem Euro pro Tag oder weniger ihr Auslangen finden. Zu Hause ist die Armut vor allem auf dem Land. Hier leben die Menschen in einfachsten Lehmhütten. Ohne Strom und oft ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser. Und vielfach reicht die Getreideernte der Bauern nicht, ihre Familien ein ganzes Jahr durchzubringen – sie sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen.

Dennoch verfolgt die Zentralregierung mit Eifer ihr ehrgeiziges Ziel: Bis 2025 soll Äthiopien ein "Middle-income-Country" werden. Trotz aller Widrigkeiten – Fasfaye Debol glaubt fest daran: "Wir werden noch einen riesigen Wandel in den kommenden Jahren sehen."

Begonnen hat sie vor rund zehn Jahren im notdürftig erweiterten Elternhaus am Stadtrand von Addis Abeba mit fünf Angestellten. Heute beschäftigt Bethlehem Alemu 150 Männer und vor allem Frauen und verkauft ihre Schuhe, 65.000 Paar pro Jahr, auf der ganzen Welt – mit Shops in New York, London, Berlin, Zürich oder Taiwan. Bis kommendes Jahr soll der Umsatz auf bis zu 20 Millionen Dollar gesteigert werden.

"Es gab bei uns keine Jobs. Da versuchte ich es mit einem eigenen Unternehmen und lokalen Materialien", beschreibt die Mutter dreier Kinder den Beginn der unglaublichen Erfolgsstory, die für das Forbes-Magazin Grund genug war, die heute 33-Jährige 2011 in die Liste der 20 wichtigsten afrikanischen "Power Women" aufzunehmen.

Viel Licht und Schatten in der Boomtown Addis Abeba
Äthiopien
Ihr Geschäftsmodell ist so einfach wie bestechend: Das Obermaterial besteht aus einheimischen, bunt gefärbten Jute-Stoffen, die Sohle aus recycelten Lkw- und Pkw-Reifen. "SoleRebels" nennt sich die Schuhmarke, die etwa in der Vega-Nova-Filiale in der Wiener Josefstädter Straße 63 erhältlich ist (das Paar um rund 65 Euro). Der Name lehnt sich an die Aufständischen an, die auf ihren selbst gebastelten Gummi-Sandalen 1991 den kommunistischen Diktator Mengistu stürzten.

Wobei Bethlehem nicht nur ihren Profit im Blickfeld hat, sondern auch das Wohl ihrer Mitarbeiterinnen: "Wir zahlen das Fünffache des normalen Tarifs, achten auf die Gesundheit unserer Leute und haben einen Kindergarten eingerichtet."

Ihren Flagship-Store betreibt die dynamische Frau im Einkaufszentrum "Adam’s Pavillion" in Addis Abeba. Hier gibt es die "Treter" in allen möglichen Farbdesigns – und auch originelle, mit Stoff überzogene Flipflops. Die Schuhe für umgerechnet 30 bis 40 Euro und die Sandalen zwischen 20 und 25 Euro sind zwar für äthiopische Verhältnisse nicht gerade billig, "aber unser Laden ist stets gut besucht, auch viele Ausländer kommen her", sagt Verkäuferin Shulammite Ataklity, 24.

Ihre Chefin ist mittlerweile eine gemachte Frau, deren Credo es ist: "Wir müssen es selbst anpacken." Nicht "Charity", also wohltätige Hilfe, sei der Motor für Entwicklung in Afrika, sondern Unternehmertum und fairer Handel. Dafür kämpft die "Sohlen-Rebellin". Ihr Rat an ihre Landsleute: "Wenn ihr eine Idee habt, nehmt das Risiko, arbeitet hart – es funktioniert."

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