Kanadischer Minister: "Bei uns kauft niemand mehr Orangen aus Florida"

Flagge Kanada
Die EU-Kommission hat einen – wenn auch als unzureichend kritisierten – Deal mit US-Präsident Donald Trump geschlossen, bevor dieser seine Zollkeule erneut schwang. Kanada nicht. Washington erhöhte den Zollsatz für Einfuhren aus dem Nachbarland daraufhin von 25 auf 35 Prozent, wenn auch mit Ausnahmen. Für Aufruhr und Protest sorgt nach wie vor der von Trump geäußerte Wunsch, Kanada solle 51. US-Bundesstaat werden.
Der Wirtschafts-, Handels- und Jobminister der bevölkerungsreichsten Provinz des Landes, Ontario, Victor Fedeli erzählt, wie Kanada sich seit Trump II verändert hat, wie auch die Regionen dagegenhalten können und wo er sich mehr Zusammenarbeit mit Europa wünscht.
KURIER: Die USA sind Kanadas größter Handelspartner. Wie haben Trumps Zolldrohungen und Annexionsfantasien das Land bislang verändert?
Victor Fedeli: Ich war bei der Amtseinführung im Jänner dabei und habe mit dem Rest der Welt von den Zöllen erfahren. Kurz danach fanden in unserer Provinz Wahlen statt. Als ich zuhause von Tür zu Tür ging und Wahlkampf machte, kam ich als erstes mit einem pensionierten Paar ins Gespräch. Sie waren gerade dabei, ihre Einkäufe wegzuräumen und erzählten mir: Sie hätten zwei Stunden im Supermarkt gebraucht, weil sie jedes Produkt, das in den USA hergestellt worden war, wieder zurückgelegt haben. Niemand hat sie darum gebeten. Aber ich kann Ihnen garantieren, dass praktisch jede Familie in Kanada das auch heute noch macht. Die Lebensmittelgeschäfte mussten ihr Einkaufsverhalten ändern. Niemand kauft mehr Orangen aus Florida oder Kalifornien, also holen die Geschäfte sie jetzt aus Marokko oder Spanien.
Welche Reaktionen in der Bevölkerung beobachten Sie noch?
Mein Büro erhält jedes Jahr ein paar kanadische Flaggen, die wir kostenlos verteilen können. Diesmal waren sie innerhalb weniger Tage weg, und wir haben Hunderte und Aberhunderte von Flaggen gekauft, um sie zu verteilen. In jeder Straße hissen die Menschen kanadische Flaggen, das hält uns zusammen.
Vergeltungszölle kann nur die Bundesregierung in Ottawa verhängen. Was können Provinzpolitiker wie Sie denn überhaupt gegen Trump ausrichten?
Die Bundesregierung stimmt sich bezüglich der Zölle mit uns allen ab. Als Provinz sind wir zudem der einzige Käufer von Alkohol in Ontario, der ja von uns kontrolliert wird. Wir sind damit einer der größten Einzelabnehmer von Alkohol weltweit – und haben hier die Käufe aus den USA eingestellt. Auch was andere Waren, Dienstleistungen und Infrastrukturprojekte in Höhe von Hunderten Milliarden Dollar angeht, arbeiten wir nicht mehr mit US-Firmen zusammen.

Der neue kanadische Premier Mark Carney und Donald Trump beim G7-Gipfel in Kanada im Juni.
Trumps Kurs ist auch anti-europäisch. Ein Momentum für noch intensivere Beziehungen zwischen Ottawa und Brüssel?
Wir kommen uns immer näher, unsere Volkswirtschaften werden in Zukunft definitiv noch enger miteinander verflochten sein. Europa wurde von den USA vor den Kopf gestoßen, Kanada auch. Wir hätten schon während Trumps erster Amtszeit unsere Lektion lernen müssen. Jedenfalls müssen wir jetzt lernen und enger zusammenrücken. Deshalb besuchen wir seit Anfang des Jahres europäische Länder, bisher mehr als ein Dutzend, um den Handel zu fördern und um europäischen Unternehmen kanadische Alternativen zu US-amerikanischen Partnern und Standorten aufzuzeigen.
Wird das reichen, um die hohe Abhängigkeit von den USA zu kompensieren?
Im letzten Jahr haben sich bereits mehr als 400 internationale Unternehmen in Ontario niedergelassen, 40 Milliarden Dollar investiert und 24.000 Mitarbeiter eingestellt. Aber wir müssen noch mehr tun. Nicht Kanada, sondern allein Ontario erzielt jährlich 500 Milliarden Dollar im bilateralen Handel mit den USA, die sich gleichmäßig aufteilen. Mit dem Rest der Welt außerhalb der USA und China sind es 120 Milliarden. Es ist erschreckend, wie sehr wir von den Vereinigten Staaten abhängig sind. Aber sie sind auch von uns abhängig! Wir sind der größte Kunde von 17 US-Bundesstaaten. Und der zweitgrößte von elf weiteren. Neun Millionen Amerikaner stehen jeden Morgen auf, gehen zur Arbeit und stellen Produkte her, die sie an uns liefern.
Wo sehen Sie besonders viel Luft nach oben, was die Zusammenarbeit mit Europa angeht?
Verteidigung. Die EU hat Milliardengelder für die Aufrüstung Europas angekündigt. Wir haben Hunderte von Verteidigungsunternehmen in Ontario. Und wenn Sie so viel Geld ausgeben, werden Sie Rohstoffe aus aller Welt brauchen. Und wir halten uns an die Rechtsstaatlichkeit. Wir sind verlässlich, berechenbar, stabil, zuverlässig – alles langweilig, aber eine gute Grundlage für Geschäfte.
Machen Sie sich keine Sorgen, dass Europa angesichts der auch hier immer stärker werdenden rechten Nationalisten ebenfalls langfristig für Sie als Partner unverlässlicher wird?
Kanada hat seit 1959 das älteste Partnerschaftsabkommen mit Europa. Wir haben eine lange gemeinsame Geschichte. Viele kanadische Gemeinden wurden von Europäern gegründet, es besteht eine starke, natürliche Verbundenheit. Ich bin Italiener. Meine Gemeinde besteht aus Italienern, Deutschen, Franzosen, Polen, Asiaten. Bei uns leben Menschen aus aller Welt zusammen.
Es gibt noch etwas, das Kanada und Europa gemeinsam haben: einen enormen Fachkräftemangel. Was ist der kanadische Weg, dem zu entgegnen?
Eine gute Nachricht für Unternehmen, die nach Ontario kommen und z.B. Ingenieure suchen: Wir haben jedes Jahr 70.000 Absolventen in MINT-Fächern. Und gerade haben wir eine Aufstockung um 20.000 Studienplätze in den Haushalt aufgenommen. Für Fachkräfte haben wir einen Förderungsfonds, der bisher über 2,5 Milliarden Dollar umfasst. Je nach Region nimmt das Geld verschiedene Formen an. Wenn jemand Krankenpfleger werden will, zahlen wir der Person in meiner Community in Nord-Ontario etwa die Studiengebühren sowie die Materialien für die Ausbildung. Das gibt es auch für Polizisten, Zimmerleute, Elektriker.
Europaweit ist ein Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland entstanden, viele von ihnen gehen nach Kanada. Warum?
Wir fördern ihre Einwanderung und helfen beim Einleben, dafür gibt es viele multikulturelle Zentren im Land. In Ontario haben wir auch überall Einwanderungsbehörden, die gezielt nach Arbeitnehmern mit den Fähigkeiten suchen, die wir brauchen.
Kanada ist seit Jahrzehnten ein multikulturelles Experiment, das viele als Vorbild sehen. Wir wollen den Arbeitskräften aus dem Ausland in gleicher Weise Lebensqualität bieten wie den Kanadiern. Ein Beispiel: In meiner kleinen Heimatstadt bauen wir bald einen Cricket-Platz, weil wir einen großen Zuzug von Familien aus Indien haben.
Victor Fedeli ist seit 2011 Abgeordneter für die "Progressive Konservative Partei von Ontario", seit 2019 Minister für wirtschaftliche Entwicklung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und Handel in Ontario, wo rund 15 Millionen Menschen leben. Bei der kanadischen Unterhauswahl im Frühling siegten die Liberalen von Mark Carney, dieser folgte seinem Parteikollegen Justin Trudeau als Premierminister.
Der KURIER traf Fedeli bei einer von der Industriellenvereinigung organisierten Konferenz in Salzburg, bei der er Speaker war.

Victor Fedeli
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