Verwirrung um Referendum

Kiew bietet dem Osten eine Volksabstimmung an und droht mit einer "Anti-Terror-Operation".

Es ist", so Marina aus Donezk, "als würde dieses Land kopfüber über einem bodenlosen Loch hängen." Und es sei die Zeit, die am rettenden Strick nage. Nein, die Proteste in Kiew und den Machtwechsel fand sie nicht so toll, sie spricht Russisch und ist ebenso stolz darauf, wie sie stolz darauf ist, Ukrainerin zu sein. Sie gehört zu jenen je nach Umfrage mehr oder weniger 70 Prozent in der Ostukraine, die keinesfalls einen Anschluss an Russland wollen. Auf die Frage, was denn nun kommen werde, sagte sie: "Ich hoffe, kein Krieg."

Städte, auf die die ukrainischen Behörden keinen Einfluss haben, maskierte Bewaffnete in Regierungsgebäuden, erste Scharmützel mit mehreren nicht bestätigten Toten, die Armee und die Nationalgarde auf dem Weg in den Osten und ein Ultimatum, das am Montag auslief – und Aufständische, die nach russischer Intervention rufen. Russlands Präsident Wladimir Putin ist nach den Worten seines Sprechers äußerst besorgt über die Lage in der Ostukraine. Es sieht nicht gut aus, was Marinas Hoffnung auf einen gütlichen Ausgang der Krise angeht.

Eine angedrohte Militäroperation gegen "Terroristen" werde bald beginnen, so der ukrainische Übergangspräsident Alexander Turtschinow am Montag, der dazu UNO-Beobachter einlud. Die Lage im Donbass werde "bald stabilisiert."

Verwunderung

Zugleich sagte er: Er schließe ein Referendum über die territoriale Integrität der Ukraine nicht aus, da er sicher sei, dass sie die überwiegende Zustimmung der Ukrainer erhalten werde. Eine Aussage, die für Verwirrung sorgte, in der EU wie in Moskau. Russlands Außenminister Sergej Lawrow forderte mehr Informationen über das angedeutete Referendum. Und EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sagte: "Wir wissen nicht genau, was Alexander Turtschinow vorgeschlagen hat." Nichtsdestotrotz – ein kleiner Lichtblick für das geplante Treffen der Außenminister der USA, Russlands, der Ukraine sowie Ashtons am Donnerstag.

Weniger optimistisch stimmt die Nachrichtenlage. Die USA sehen Russland hinter den Unruhen. Die US-Botschafterin bei der UNO, Samantha Power, sprach von "komplett künstlich" hergestellter "Instabilität", die von Russland "entworfen und erfunden" worden sei. Die ukrainische Regierung sieht russische Spezialeinheiten hinter den Bewaffneten und will auch Beweise für die Beteiligung russischer Agenten an den Unruhen besitzen.

Verwirrung um Referendum
A local resident (2nd L) poses for a picture with pro-Russian armed men standing guard outside the mayor's office in Slaviansk April 14, 2014. Towns in eastern Ukraine on Monday braced for military action from government forces as a deadline passed for pro-Russian separatists to disarm and end their occupation of state buildings or face a major "anti-terrorist" operation.REUTERS/Gleb Garanich (UKRAINE - Tags: POLITICS CIVIL UNREST)

Laut Moskau sind die Bewaffneten im Donbass Demonstranten. "Es gibt keine Agenten – weder vom GRU (russischer Militärgeheimdienst, Anm.) noch vom FSB (russischer Inlandsgeheimdienst, Anm.)", so der russische Außenminister Lawrow. Man mische sich in innere Angelegenheiten der Ukraine nicht ein. In einer Stellungnahme hieß es, es liege am Westen, "einen Bürgerkrieg zu vermeiden." Der Einsatz der Armee gegen Demonstranten könne zu einem solchen führen.

Laut der ukrainischen Regierung ist ein Krieg aber längst im Gange. Laut Turtschinow führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Man werde nicht zulassen, dass Russland das Krim-Szenario in der Ostukraine wiederhole.

In der Ostukraine überschlagen sich die Ereignisse. Vier Dinge, die man über diesen Konflikt wissen sollte:

Wer sind die Leute, die Regierungsgebäude und Polizeistationen im Osten der Ukraine in ihrer Gewalt haben?

Nach dem zu urteilen, wie die Bewaffneten vorgegangen sind und wie sie sich verhalten, dürfte es sich zumindest bei einem Teil um Personen mit erheblicher militärischer Ausbildung handeln. Die Auswahl der Orte lässt zudem mehr auf eine minutiös geplante Aktion als auf einen spontanen Volksaufstand schließen. So wurden gezielt Verkehrsknotenpunkte und auch ein Ort mit einer Landebahn besetzt. Zudem sind die jetzt umkämpften Städte und Dörfer nicht unbedingt jene Orte, in denen es in der Vergangenheit große Proteste gab. Für Spekulationen sogt die Ausrüstung der Kämpfer: Sie sind in Besitz identischer moderner AK-100-Sturmgewehre, wie sie russische Spezialeinheiten benutzen.

Wie stark sind die pro-russischen Bestrebungen in der Ostukraine?

Laut Umfragen will nur eine Minderheit von knapp 30 Prozent den Anschluss an Russland. Eine überwiegende Mehrheit ist für den Verbleib bei der Ukraine. Eine Föderalisierung mit mehr regionaler Selbstbestimmung und direkt gewählten Regionalregierungen findet – wie im ganzen Land – weite Zustimmung und war an sich schon vor der Eskalation geplant. Klar ist: Einen echten Massenaufstand hat es in der Ostukraine bisher nicht gegeben. Demos in der Millionenstadt Donezk erreichten gerade einmal eine Größe von 10.000 Menschen.

Was genau sind die Forderungen der pro-russischen Bewegungen?

Die Bewegung ist intern zerstritten. Die Ziele reichen von der Forderung nach mehr Autonomie innerhalb des ukrainischen Staates über die Ausrufung der Unabhängigkeit von Kiew bis zu einem Anschluss des Gebiets an Russland.

Ist die Reaktion Kiews Zeichen von Schwäche oder von Überlegtheit?

Im Fall der Krim dürften sich den Einheiten der ukrainischen Armee die Frage nicht gestellt haben, ob sich Widerstand auszahlt. Vor allem ihrem passiven Verhalten ist es letztlich zu verdanken, dass die Sache glimpflich ausging. In der derzeitigen Lage sieht sich die ukrainische Führung aber gezwungen, zu reagieren. Das Problem: Der Rückhalt der gegenwärtigen Führung vor allem bei den Einheiten des Innenministeriums ist gering. Die Sondereinheit Berkut wurde aufgelöst, gegen die Spezialtruppe Alfa des Geheimdienstes SBU wird ermittelt. Die Armee aber ist in einem miserablen Zustand, und ihr Einsatz im Inland birgt verfassungsmäßige Probleme. In den Osten wurden jetzt auch Einheiten der neu geschaffenen Nationalgarde beordert, die sich überwiegend aus Kämpfern der Maidan-Bewegung rekrutiert.

Am deutlichsten wurde der britische Außenminister William Hague: Es könne "keinen echten Zweifel" daran geben, sagte er, dass die Entwicklungen in der Ostukraine "von Russland geplant und durchgeführt werden". Doch auf den Start von "Phase 3" der EU-Maßnahmen gegen Russland konnten sich die Außenminister bei ihrem Treffen am Montag in Luxemburg noch nicht einigen. Während Luxemburgs Vertreter Jean Asselborn vor neuen Sanktionen warnte, forderten einige Länder, man müsse Wirtschaftssanktionen zumindest "detailliert vorbereiten".

Außenminister Sebastian Kurz sagte, die EU müsse ein Signal setzen, "dass wir auch bereit wären, Wirtschaftssanktionen zu starten, wenn uns Russland keine andere Wahl lässt". Noch ruhe die Hoffnung der Union aber auf dem Treffen der "Kontaktgruppe" am Donnerstag.

Die Minister beschlossen, vier weitere Personen wegen der Veruntreuung ukrainischer Staatsgelder auf die EU-Liste für Einreise- und Kontosperren zu setzen; sie umfasst nun 22 Ukrainer und Russen, unter anderem Ex-Präsident Janukowitsch.

Beschlossen wurde auch neue Unterstützung für die Ukraine: Eine Finanzspritze in Höhe von einer Milliarde Euro soll – mit bereits früher zugesagten 610 Millionen – in den ukrainischen Haushalt fließen. Zudem stimmten die Minister dem Wegfall fast aller Zölle auf ukrainische Waren zu. So soll die Wirtschaft stabilisiert werden.

Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt gegen mehrere Personen aus dem Umfeld der gestürzten ukrainischen Regierung. Das geht aus einer Antwort des Justizministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der NEOS hervor. Der Vorwurf lautet auf Geldwäsche und Verletzung der Sanktionen gegen russische und ukrainische Führungsfiguren.

Gegen wen konkret ermittelt wird, geben die Behörden aus rechtlichen Gründen nicht bekannt, teilte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft der APA am Montag schriftlich mit. Es könnte sich damit auch um hochrangige Angehörige der gestürzten Führung der Ukraine handeln. Das Verfahren läuft seit Anfang 2014 und wurde nach einer Geldwäsche-Verdachtsmeldung des Bundeskriminalamts aufgenommen. Das Justizministerium hat die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine ersucht, ein Rechtshilfeersuchen vorzulegen und darin den Tatverdacht gegen die betroffenen Personen zu konkretisieren.

Kontakte nach Österreich

Nach Österreich haben mehrere mit der gestürzten Regierung von Präsident Viktor Janukowitsch eng verbundene Figuren gute Kontakte. So war der Regierungschef von Janukowitsch, Nikolai Asarow, hier geschäftlich tätig und soll sich nach seiner Absetzung kurzzeitig bei seiner in Wien ansässigen Familie aufgehalten haben. In Wien inhaftiert ist der ukrainische Gas-Milliardär Dmitry Firtasch (Firtash), der eng vor dessen Sturz mit Janukowitsch verbunden war.

Bereits 2012 ermittelten die Behörden überdies gegen einen engen Vertrauen des gestürzten Präsidenten Janukowitsch, dessen früheren Präsidialamtsleiter Andrij Kljujew (Klujew), die zuletzt die "Presse" berichtete. Die Ermittlungen, die aufgrund eines "Schreibens von drei Personen, darunter Journalisten und Parlamentsmitglieder, aufgenommen" wurden, seien seither allerdings eingestellt worden, heißt es von der Staatsanwaltschaft.

Bereits Ende Februar hatte Österreich auf Ersuchen der neuen Regierung in Kiew die Konten von 18 Ukrainern bei heimischen Banken wegen des Verdachts von Korruption oder möglicher Menschenrechtsverletzungen eingefroren. Die EU und die USA haben seither im Zuge der Krim-Krise Führungsfiguren aus Russland und der Ukraine mit Sanktionen belegt.

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