Russland und USA: Kommt atomare Aufrüstung ohne Limits?
Die Zeit wird knapp, die Besorgnis in Europa steigt. Sollte Russland den USA bis Samstag nicht zusagen, bestimmte Marschflugkörper nun komplett zu vernichten, steigen die USA aus dem wichtigen Abrüstungsvertrag INF aus (Details siehe ganz unten).
Das wäre der Startschuss für ein neues atomares Wettrüsten, sind sich Experten einig. Dass Moskau einlenkt, gilt als unwahrscheinlich. Es beteuert ja, die besagten Raketen hätten nur eine Reichweite von 480 Kilometern – und der INF-Vertrag gilt nur für Reichweiten von 500 bis 5500 Kilometer.
Außerdem wirft Moskau seinerseits den Amerikanern vor, dass Raketensysteme, die im Rahmen des NATO-Schutzschirms in Rumänien stationiert werden, auch als Offensiv-Waffen eingesetzt werden könnten – und daher ebenfalls unter den Bann des INF-Vertrag fallen.
Mit dem Vertrag aber steht nun das mehr oder weniger einzige Vertragswerk zum Thema vor dem Ende, das jemals wirklich griff. Alle anderen Verträge blieben entweder in der Formulierung schwammig, waren kaum zu verifizieren oder ließen Schlupflöcher offen.
Geopolitisches Rüsten
Und nun: „Beide Seiten werfen sich also gegenseitig Vertragsbruch vor“, bringt es Brigadier Walter Feichtinger, Leiter des Instituts für Friedensforschung und Konfliktmanagement in Wien, auf den Punkt. Und beiden Seiten komme das Ende des Mittelstreckenraketenverbots zupass. Einer der Hauptgründe dafür ist: China.
„Es geht hier um ein größeres geopolitisches Wettrüsten“, erklärt Feichtinger im Gespräch mit dem KURIER.
„China besitzt fast ausschließlich solche Kurz- und Mittelstreckenraketen – man geht von 1600 Stück aus. Und China ist durch keinen Abrüstungsvertrag in seinen Ambitionen eingeschränkt.“
Das stößt nicht nur US-Präsident Donald Trump sauer auf. Er will dem Aufstieg Chinas zur Supermacht nicht tatenlos zusehen. Aber auch Russland ist alarmiert.
Europas Sicherheit in Gefahr
Ein neues atomares Wettrüsten durch Washington und Moskau würde sich vorrangig allerdings auf Europas Sicherheit auswirken. Denn in Europa und am Rand von Europa würden diese Atomwaffen wohl stationiert werden.
Dagegen stemmt sich vor allem Deutschland: Außenminister Heiko Maas will retten, was zu retten ist, und hat daher für Mitte März eine internationale Konferenz in Berlin einberufen.
Europas Sicherheitsbemühungen seien massiv in Gefahr, warnte auch der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger in der ARD: „Die europäische Sicherheitsarchitektur wird mit der Abrissbirne peu à peu zerbröselt.“
Er sieht eine „große Krise der NATO“ und eine „Krise der West-Ost-Beziehungen“. Die Politik sei auf das drohende Wettrüsten nicht vorbereitet. Ischinger betont, es gehe „um eine reale Bedrohung“. „Viel schlimmer kann es eigentlich nicht kommen.“
Feichtinger ist ebenfalls alarmiert. Vor allem die Überlegungen, „kleinere, taktische Atomwaffen“ einzusetzen, ohne einen großen atomaren Gegenschlag auszulösen, seien höchst riskant. Und diese Angst, dass ein „Atomkrieg kalkulierbar und führbar“ wird, sei sehr berechtigt. Sein Fazit: Ein neues Wettrüsten könne „sehr teuer und sehr gefährlich werden“.
Trump soll schon während eines außenpolitischen Briefings als Präsidentschaftskandidat genervt gefragt haben: „Wenn wir sie (Atomwaffen) haben, warum können wir sie nicht benutzen?“ Und allen Erklärungen zum Trotz soll er diese Frage gleich drei Mal gestellt haben.
Abrüstung: Die drei wichtigsten Verträge
1. INF-Verträge Bilaterale Verträge zwischen der Sowjetunion und den USA, gültig seit 1988. Sie sehen die Vernichtung aller landgestützten Raketen und Marschflugkörper kürzerer und mittlerer Reichweite vor (500 bis 5500 km) vor. Produktion, Besitz, Tests sind verboten.
Die USA zerstörten in der Folge 846, die Sowjets 1846 Flugkörper – unter Aufsicht des jeweils anderen. Der INF-Vertrag galt als Durchbruch, weil er erstmals die Vernichtung einer Waffenfamilie und praktikable Kontrollen vorsah.
2. ABM-Vertrag Unterzeichnet 1972 von der Sowjetunion und den USA. Er begrenzt Raketenabwehrsysteme, verbietet diese aber nicht.
3. SALT I und SALT II Seit 1969 wurde zwischen den USA und der UdSSR Rüstungskontrolle verhandelt. Bleibendes Teilergebnis von SALT I ist der ABM-Vertrag. 1979 wurde SALT II unterzeichnet. Der Vertrag sieht eine Beschränkung und Reduzierung von Sprengköpfen und Abschussvorrichtungen vor. Zudem wird die Zahl von Trägersystemen beschränkt. Die Staaten erklärten auch den Verzicht auf die Entwicklung einiger (etwa weltraumgestützter) Systeme.
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