Während sich in sozialen Medien die Aufnahmen verlassener russischer Panzer häufen, weigert sich das offizielle Russland, seine schweren Niederlagen einzugestehen. Es spricht von einer „Umgruppierung“ der militärischen Kräfte – was an den Rückzug aus dem Großraum Kiew im März erinnert, den ersten großen Rückschlag nach dem Einmarsch in die Ukraine vor 200 Tagen. Damals war von einer „Verringerung militärischer Aktivität“ die Rede.
Präsident Wladimir Putin erwähnte die aktuelle Lage bei seinem Auftritt bei der 875-Jahr-Feier der Stadt Moskau am Wochenende mit keinem Wort. Stattdessen eröffnete er das größte Riesenrad Europas und ließ ein gigantisches Feuerwerk veranstalten.
"Enorme Horde"
Unter Militärbloggern, ultra-patriotischen Politikern und in einschlägigen Telegram-Gruppen führt das Totschweigen der Verluste in der Ukraine jedoch zu großem Unmut. Es ist vom „Verrat“ einer schwachen Armeeführung an einfachen Soldaten die Rede; eine Generalmobilmachung wird ebenso gefordert wie der Einsatz taktischer Atomwaffen, um das Ruder noch herumzureißen.
Auch in quotenstarken TV-Sendungen wird das Versagen der russischen Truppen mittlerweile thematisiert – wenn es auch nicht offen so genannt wird. "Es war die schwerste Woche an den Frontlinien der ,Spezialoperation´“, sagte etwa der Moderator einer Nachrichtensendung auf Rossija 1. Russische Soldaten stünden einer "enormen Horde" Ukrainer gegenüber, die vom Westen trainiert und hochgerüstet worden seien, hieß es in der populären Talkshow "60 Minutes".
Mehr oder weniger unverhohlene Kritik gab es unter Lokalpolitikern u.a. aus Moskau und St. Petersburg, und auch Wladimir Solovyov, ein bekannter Kreml-Unterstützer, gab in seiner Radiosendung zu Protokoll, er sei besorgt.
Umfragen zufolge unterstützen die meisten Russen den Feldzug weiterhin. Doch die westlichen Sanktionen, die Angst vor Repressionen und die spürbare Polarisierung der Bevölkerung haben Spuren hinterlassen.
Bei den Regionalwahlen am Wochenende, die von Kremlkandidaten gewonnen wurden, sollen einzelne Russinnen und Russen „Nein zum Krieg“ auf die Stimmzettel geschrieben haben.
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