Venedig ist leer, die Touristen sind ausgesperrt, die Bewohner mehr oder weniger eingesperrt. „Die Stadt ist wunderbar, das Wasser im Canal Grande ist wieder grün geworden“, erzählt die 77-jährige Venezianerin Marilena Armani dem KURIER, „aber es ist auch sehr still. Ich habe die Stadt in meinem ganzen Leben nie so leer und still erlebt.“
In ihrer Kindheit habe es zwar noch nicht diese „furchtbaren Touristenmassen“ gegeben, die sich bis zum Ausbruch des Coronavirus durch die engen Gassen der Lagunenstadt geschoben haben, „aber dafür lebten viel mehr Venezianer in der Stadt. Heute sind es vielleicht 50.000, früher waren es 170.000“, sagt Armani.
„Eine Wüste“
Die elegante Signora, die in der Mailänder Modeszene aktiv ist und noch im Winter als Model posierte, betont aber auch, dass „Venedig früher nicht so schön war. In den vergangenen zwanzig Jahren wurde sehr viel renoviert, seitdem strahlt die Stadt in neuer Schönheit. Aber jetzt ist Venedig eine Wüste, weil wir nicht rausgehen dürfen.“ Der Bewegungsradius der Venezianer ist derzeit sehr gering, bis zum Wochenende waren es gerade einmal 200 Meter.
Ausgangsscheine
Seit dieser Woche sei das etwas gelockert worden, aber nach wie vor dürfe man nur aus dringenden Gründen vor die Haustür gehen. Und dann nur mit einer selbst geschriebenen Bestätigung, auf der man angibt, wohin und aus welchem Grund man zu welchem Zeitpunkt unterwegs ist – unterschrieben und mit Ausweisnummer versehen. „Das überprüfen die Polizisten der Gemeinde auch.“ Sollten diese befinden, dass etwa der Kauf von Wein nicht wichtig ist, setzt es hohe Geldstrafen.
Armani wohnt nahe der Rialto-Brücke und kauft beim dortigen Markt Obst und Gemüse ein. „Da steht man in langen Schlangen an, weil der Markt abgeriegelt ist und immer nur ein paar Personen zu den wenigen Ständen dürfen“, erzählt sie. Den Rest finde sie im nahe gelegenen Mini-Supermarkt, das sei kein Problem, aber wie überall in Italien gehe vielen Menschen das Geld aus, weil sie aufgrund der gesperrten Geschäfte und Büros kein Einkommen haben.
Petra Reski, eine deutsche Schriftstellerin und prämierte Journalistin, die seit 1991 in Venedig lebt, beschreibt die Stimmung als „defätistisch“. Für Optimismus fehle vielen die Aussicht auf eine Lebensgrundlage: „Die Menschen in der Stadt sind – wenn sie nicht gerade Beamte sind – vom Tourismus direkt oder indirekt abhängig. Gewerbe gibt es ja kaum noch in Venedig.“
Angesichts der enorm hohen Mieten für Geschäftsräume und Restaurants („manche zahlen bis zu 50.000 Euro im Monat und nicht alle Vermieter stimmen Kulanzlösungen jetzt zu“) wird die Corona-Krise für viele ein Wettkampf gegen die Zeit. „Die Frage ist, wie lange die Menschen ohne Tourismus durchhalten können – und wie es weitergeht“, sagt Reski. „Der Tourismus ist ja schon seit 12. November, seit der Apokalypse des Hochwassers, mehr oder weniger tot.“ Durch die vielen Corona-Toten habe Italien derzeit keinen guten Ruf.
Nur zur Einordnung: Bis Sonntag starben in ganz Italien am Virus 24.114 Menschen, in der Gemeinde Venedig (inklusive Festland) waren es 162. Bis Dienstagabend gab es in Venedig 14 neue bestätigte Infektionen.
Festland als Problem
Hoffnung, dass Venedig die Krise nützt, um neue Wege zur Einschränkung der Touristenströme einzuschlagen, hat die 62-Jährige kaum, obwohl es seit vielen Jahren unzählige Bürgerinitiativen dazu gibt. Die große Hürde sei, dass die Lagunenstadt verwaltungstechnisch mit Festlandgemeinden wie Mestre vereint ist. „Das Festland will Venedig nur vermarkten und sieht es nicht als Lebensraum.“
Reski lebt in San Marco, streift mit ihrer Journalistengenehmigung durch die Stadt und schwärmt von den vielen „sinnlichen Erfahrungen – das hat zu Lebzeiten niemand erlebt. So gesehen geht es uns gut“.
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