Nach US-Angriff: Wie der Krieg im Iran die Katastrophe in Gaza überschattet

Palästinenser auf dem Weg zu einer Essensausgabestelle in Gaza
"Auch jetzt bleibt das Wichtigste, den Krieg im Gazastreifen zu beenden. Dafür die notwendigen schweren Entscheidungen zu treffen - um so alle verbliebenen 53 israelischen Geiseln aus dem Gazastreifen zurück nach Israel zu führen."
So beendete der frühere Chef des Nationalen Sicherheitsrates in Israel, Jaakov Nagel, am Sonntag ein Radio-Gutachten zur nuklearen Bedrohung aus dem Iran. Alle Experten wurden in der Sendung zum Krieg gegen den Iran befragt. Alle endeten mit einem Aufruf zu einem Kriegsende im Gazastreifen.
Ritueller Lippendienst oder ernst gemeinte Mahnung?
Derzeit schaut die Welt auf die Angriffe Israels und der USA im Iran. Dass auch die Kämpfe dort vom Gazastreifen aus ihren Anfang genommen haben, scheint vergessen. Was ganz im Sinne der israelischen Regierung ist. Vergessen ist dabei auch ihr schmähliches Versagen vor dem Massaker der Hamas-Miliz, dem am 7. Oktober 2023 in Israel 1200 Menschen zum Opfer fielen.
Netanjahu lobt sich und Trump
Nach der Bombardierung der iranischen Nuklear-Zentren auch durch die US-Armee hatte Israels Premier Benjamin Netanjahu am Sonntag es eilig, sich und US-Präsident Donald Trump zu loben. „Ich habe mein Versprechen eingehalten, die iranischen Nuklearanlagen zu zerstören.“ Was sogar Oppositionssprecher Jair Lapid bestätigt. Der erinnerte aber auch an Netanjahus Versprechen, die Hamas zu besiegen und alle Geiseln zu befreien.

Im Gazastreifen bleibt der Erfolg Israels aus. Im Libanon wurde die Hisbollah militärisch gelähmt. Obwohl ihre alte Schutzmacht Iran einen Schlag nach dem anderen einstecken muss, mischt sich die immer noch stark bewaffnete Schiitenmiliz nicht in die Kämpfe ein. Immer noch beschießt der Iran Israel mit tödlichen Raketen. Doch wie lange noch, wenn er gleichzeitig den israelischen Luftangriffen nahezu wehrlos ausgesetzt ist?
Hamas hat 1000 Raketen
Im Gazastreifen jedoch hat die israelische Armee keines der von Netanjahu angekündigten Ziele erreicht. Die Hamas kämpft weiter. Nicht mehr mit den paramilitärischen Strukturen, über die sie zu Kriegsbeginn verfügte. Doch mit genug Schlagkraft, fast jeden Morgen die israelischen Morgennachrichten mit Meldungen weiterer gefallener Soldaten beginnen zu lassen.
Kenner schätzen die Zahl der bewaffneten Hamas-Kämpfer nach den jüngsten Neurekrutierungen so hoch wie vor dem 7. Oktober. Nicht so gut ausgebildet, nicht so gut bewaffnet, doch weiter zum Guerillakampf fähig. Immer noch verfügt die Hamas über etwa 1000 Angriffsraketen. Es ist aber schwieriger geworden, sie unentdeckt abzufeuern.
Auch das zweite von Netanjahu angekündigte Ziel wurde nicht erreicht. Immer noch sitzen israelische Geiseln in den Hamas-Kerkern fest. Die Verhandlungen um ein Waffenstillstandsabkommen stocken. In der neuen Kriegsbegeisterung nach den Erfolgen im Iran finden die Geiselangehörigen weniger Gehör. Die Plakate mit dem Slogan „Die Geiseln gehen vor!“ verbleichen an den Wänden.
"Vollkommene Vernichtung" als Illusion
Unerreicht auch das dritte Ziel – die vollständige Rückkehr der Grenzbevölkerung in ihre evakuierten Ortschaften. Ein großer Teil der Rückkehrer sah sich durch Streichung der Evakuierungshilfe zur Rückkehr gezwungen. Viele zögern noch. Bei der Finanzierung des Wiederaufbaus gibt es mehr Probleme als Lösungen. Nur wer kann, nimmt private Kredite auf.
Was ist in Gaza anders? Im Libanon und im Iran waren die Ziele militärisch technisch definiert: Die weitgehende Ausschaltung der militärischen Schlagkraft respektive der nuklearen Fähigkeiten. Im Libanon wurden die militärischen Erfolge durch diplomatische Abmachungen umgesetzt. Mit arabischer und amerikanischer Vermittlungshilfe. Auch im Iran ist jetzt wieder die Rede von neuen Verhandlungen.
Nicht so im Gazastreifen: „Die vollkommene Vernichtung der Hamas“ ist kein Ziel, sondern eine Illusion. Die Militär-Offensive Israels wird deshalb mit aller Härte fortgesetzt. Allein in der vergangenen Woche sollen nach palästinensischen Angaben in Gaza mehr als 400 Menschen ums Leben gekommen sein.
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