USA: Jeder Tag Stillstand kostet hunderte Millionen

Niemand weiß, wie lange die Lähmung des Staatsapparats dauern wird. Obama reagiert zunehmend gereizt.

Die Fronten im Washingtoner Etatstreit verhärten sich weiter. Selbst Teillösungen finden keine Mehrheit. Ein Entwurf der Republikaner, der zumindest eine teilweise Öffnung der lahmgelegten Verwaltung vorsah, scheiterte am Dienstagabend im Abgeordnetenhaus an den Demokraten. Die notwendige zwei Drittelmehrheit wurde verfehlt. Ziel der Vorlage war es, trotz des Verwaltungsstillstandes die Nationalparks zu öffnen und pünktliche Zahlungen an Veteranen sicherzustellen.
Das Weiße Haus hatte allerdings schon im Vorfeld abgewinkt. „Ein Stück-für-Stück-Ansatz, die Regierung zu finanzieren, ist kein ernsthafter Ansatz“, sagte Regierungssprecher Jay Carney.

Präsident Obama hat Mittwochnacht die Spitzen von Demokraten und Republikanern im Kongress zu einem Krisengespräch ins Weiße Haus gebeten. Erneut ohne Ergebnis: Nach 90 Minuten konnte man sich nicht auf ein Übergangsbudget für die Beamten einigen.

Obama: "Ideologischer Kreuzzug"

Völlig unklar ist derzeit in Washington, wie lange große Teile der staatlichen Verwaltung lahmgelegt bleiben. Der letzte „Government Shutdown“ (Lahmlegung der Regierung) vor 17 Jahren dauerte fast vier Wochen.
Präsident Barack Obama reagiert zunehmend gereizt auf die Versuche der oppositionellen Republikaner, seine Gesundheitsreform im Zuge der Etatverhandlungen zu Fall zu bringen. Sie führten einen „ideologischen Kreuzzug“ gegen „Obamacare“, kritisierte der Präsident. „Diese Schließung dreht sich nicht um Staatsdefizite oder Ausgaben oder Budgets.“

Die Kosten des am Montagabend erzwungenen Verwaltungs-Stillstandes sind erheblich: Nach Schätzungen von Experten führt die Krise täglich zu Verlusten von mehreren hundert Millionen Dollar. Allein im Großraum Washington könnten sich die Ausfälle auf 200 Millionen Dollar (rund 148 Millionen Euro) pro Tag belaufen, sagte der Wirtschaftsexperte Stephen Fuller der Washington Post. Im Raum Washington leben besonders viele der rund 800.000 Staatsbediensteten, die wegen des Etatstreits in Zwangsurlaub geschickt wurden. Andere Quellen sprechen von landesweiten Verlusten von bis zu 300 Millionen Dollar pro Tag.

Das bringt der Shutdown mit sich:

USA: Jeder Tag Stillstand kostet hunderte Millionen

Women enjoy a snack outside the Smithsonian Nation
USA: Jeder Tag Stillstand kostet hunderte Millionen

The Statue of Liberty is seen in New York
USA: Jeder Tag Stillstand kostet hunderte Millionen

USA NEW YORK STORM AFTERMATH
USA: Jeder Tag Stillstand kostet hunderte Millionen

A frog is captured during a lift off of NASA's Lun
USA: Jeder Tag Stillstand kostet hunderte Millionen

An exterior view of the U.S. Department of Homelan
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A tour guide peers over a former military bunker a
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The U.S. Capitol building is seen as budget battle
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File photo of a patient waiting in the hallway at
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USA NEW YORK COSUMER CONFIDENCE
USA: Jeder Tag Stillstand kostet hunderte Millionen

File photo of the SEC seal in Washington

Obama warnte, die volle Wirkung des Verwaltungs-Notstandes werde erst mit der Zeit zu spüren sein. Sicher sei aber, dass die Wirtschaft leiden werde. „Und unsere Wirtschaft ist gerade dabei, sich von der schwersten Rezession seit Generation zu erholen.“

Obama lehnt es kategorisch ab, im Zuge des Haushalts über seine Gesundheitsreform zu verhandeln. John Boehner, der starke Mann der Republikaner, verlangte erneut, dass Obama seine starre Haltung ablegt und sich mit der Opposition an einen Tisch setzt. Der Präsident hat inzwischen seine für 11. Oktober geplante Reise nach Malaysia verschoben.

Zu allem Überfluss droht in Washington eine weitere Krise: Bis zum 17. Oktober muss der Kongress die Schuldengrenze von derzeit 16,7 Billionen Dollar (12,4 Billionen Euro) erhöhen. Sollte dies ebenfalls scheitern, droht dem Land binnen kürzester Zeit die Zahlungsunfähigkeit - mit möglicherweise verheerenden Folgen für die Weltwirtschaft.

Für Österreich hat die Budgetkrise in den USA vorerst nur marginale Auswirkungen: Die designierte US-Botschafterin Alexa Wesner musste mit "großem Bedauern" einen für Mittwoch geplanten Empfang im Vorfeld der Filmmusik-Gala "Hollywood in Vienna" absagen (mehr dazu hier).

Video: Obama über den Shutdown

WAS BEDEUTET EIN STILLSTAND FÜR STAATSBEDIENSTETE?

Die Bundesregierung ist der mit Abstand größte Arbeitgeber in den USA mit gut 3,4 Millionen Beschäftigten, davon 1,4 Millionen Soldaten. Der Großteil von ihnen gilt als unabdingbar. Rund 800.000 Staatsbediensteten droht aber unbezahlter Zwangsurlaub, etwa Angestellten in Nationalparks und Museen oder den Statistikern im Arbeitsministerium. Die Behörden für Umweltschutz, Arbeitssicherheit und Nahrungsmittelsicherheit werden ihre Kontrollen herunterfahren. Auch bei der Raumfahrtbehörde NASA sind tausende Angestellte betroffen, wichtige Projekte wie die Internationale Raumstation ISS bleiben von Kürzungen aber ausgenommen.

Im Weißen Haus und im Kongress müssen ebenfalls Mitarbeiter ohne Bezahlung daheimbleiben - der Politikbetrieb wird im Großen und Ganzen aber weiterlaufen. Die Soldaten des US-Militärs bleiben dagegen alle im Dienst. Auch die Flugsicherheit, die Geheimdienste, die Bundesgefängnisse und der Grenzschutz arbeiten normal weiter. Die "unentbehrlichen" Staatsbediensteten bekommen ihre Gehälter aber vermutlich erst nach dem Ende des Haushaltsnotstands ausgezahlt.

SPÜREN ALLE US-BÜRGER DIE EINSCHRÄNKUNGEN?

Millionen Menschen in den USA werden den Finanzierungsstopp bei alltäglichen Behördengängen merken - vor allem in der Hauptstadt Washington, die ein Bundesbezirk ist. Beim letzten Finanzkollaps Mitte der 1990er-Jahre kamen hier öffentliche Dienstleistungen wie die Müllentsorgung komplett zum Erliegen. Nun will Bürgermeister Vincent Gray die städtischen Dienste mit Rücklagen finanzieren, die laut "Washington Post" für etwa zwei Wochen reichen.

Pensionszahlungen sowie die staatlichen Gesundheitsprogramme für Ärmere und Alte, Medicaid und Medicare, sind dagegen nicht berührt. Die Behörden geben auch weiter Lebensmittelmarken an Bedürftige aus. Bei Neuanträgen auf staatliche Leistungen könnte es aber zu Verzögerungen kommen. Die Post wird dagegen weiter jeden Tag gebracht.

WIE WIRKT SICH EIN FINANZIERUNGSSTOPP AUF DIE WIRTSCHAFT AUS?

Präsident Barack Obama warnte, dass die finanzielle Lähmung der Regierung "Sand ins Getriebe" der sich erholenden Wirtschaft streuen werde. Die Staatsangestellten im Zwangsurlaub könnten ihre Rechnungen nicht bezahlen und würden weniger ausgeben, sagte Obama. Dem Wirtschaftskreislauf dürfte außerdem Geld entzogen werden, weil kleinere Unternehmen und Hauskäufer auf staatliche Kreditgarantien warten müssen.

"Ein Stillstand wird sofort sehr reale wirtschaftliche Auswirkungen auf echte Menschen haben", sagte Obama. Experten gehen davon aus, dass ein zweiwöchiger "government shutdown" das Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal um 0,3 Prozentpunkte senken würde. Der Ökonom Stephen Fuller von der George Mason University sagte der "Washington Post", dass ein Haushaltsnotstand alleine den Großraum Washington täglich 200 Millionen Dollar kosten könnte.

SIND AUCH AUSLÄNDER BETROFFEN?

Touristen, die in die USA reisen, werden die Auswirkungen spüren: Die mehr als 350 Nationalparks sind nicht mehr zugänglich. Das Smithsonian in Washington, der größte Museumskomplex der Welt, und die Freiheitsstatue in New York müssen dicht machen. Das US-Außenministerium bestritt am Montag aber, die Visa-Abteilungen in seinen Botschaften rund um den Globus zu schließen. Einreiseanträge würden weiter bearbeitet, versicherte Sprecherin Jennifer Psaki. Auch die Aktivitäten der US-Entwicklungshilfe USAID könnten für eine "begrenzte Zeit" normal fortgeführt werden.

Museen bleiben geschlossen, Impfprogramme werden zurückgefahren, Kontrollbehörden arbeiten nicht – kein Problem für eine kleine Gruppe ultra-konservativer Hardliner im amerikanischen Kongress. Wichtig ist diesen vier Dutzend parlamentarischen Amokläufern, die mittlerweile die ganze republikanische Partei vor sich her treiben, nur eines: Präsident Obamas Gesundheitsreform muss verhindert werden. Koste es, was es wolle – und sei es ein Regierungsstillstand, weil der Kongress wegen der republikanischen Blockade kein Budget verabschieden kann.

Diesen vollkommen verzichtbaren Geld-, Zeit- und Imageschaden für die USA mag man auf der anderen Seite des Atlantiks belächeln. Grimmig aber wird es auch hierzulande, wenn besagte Rechtsaußen-Extremisten mit ihren Erpressungen ein gewaltiges Zerstörungspotenzial ausspielen. Wenn sie nämlich in zwei Wochen auch die Erhöhung der US-Schuldenobergrenze blockieren – mit unabsehbaren Folgen für die Weltwirtschaft.

Le Monde (Paris):

"Es wäre falsch zu glauben, dass es über die 'Obamacare' wirkliche Meinungsunterschiede zwischen Republikanern und Demokraten gibt. Die Reform ist nur ein Vorwand, den der extremistische, fundamentalistische Kern der Republikanischen Partei, die Tea Party, gewählt hat, um Obamas Präsidentschaft zu sabotieren. Für das Verhalten der Tea Party gibt es keine rationelle Erklärung. Da ist nur der Hass für diesen Präsidenten und ein Politikverständnis, das einem permanenten Bürgerkrieg entspricht.

El Mundo (Madrid):

"Die Haushaltskrise lädiert das Image der USA, die das klägliche Bild eines zerstrittenen Landes abgeben. Die Republikaner haben das Recht, die Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama abzulehnen, aber sie dürfen nicht die Handlungsfähigkeit der Regierung auf einem Gebiet blockieren, das mit dem eigentlichen Streitpunkt nichts zu tun hat. Sie gebärden sich wie parlamentarische Freibeuter. Ihre Erpressung des Präsidenten zeigt, dass sie die Vernunft verloren haben. Die Strategie kann - wie bereits 1995- sich als Bumerang erweisen. Die Republikaner sollten zu ihrem eigenen Wohl und zum Wohl der Amerikaner ihre Blockade des Budgets aufheben."

Wedomosti (Moskau):

"Die große Einkommenslücke und die Unzufriedenheit eines großen Teils der Mittelklasse haben zu einer Polarisierung der Wähler geführt. Ihr erheblicher Einfluss auf die Kongressleute zeigt sich in der harten, kompromisslosen Haltung vieler Republikaner, welche die Finanzfrage in eine ideologische verdrehen. Die aktuelle Krise bedeutet, dass es in der Zukunft für die Gegner immer schwieriger werden wird, sich in Schlüsselfragen zu verständigen."

Neue Zürcher Zeitung:

"Welchen Vorteil sich die Republikaner von dieser verrückten Taktik erhoffen, bleibt ein Rätsel. Ihre Forderung läuft darauf hinaus, dass Obama zustimmen soll, seine bedeutendste innenpolitische Errungenschaft (die Gesundheitsreform) über Bord zu werfen. Das werden die Demokraten niemals tun. Sie wissen, dass sie für ihre Haltung viel Verständnis finden werden und die Amerikaner die Schuld am Shutdown mehrheitlich den Republikanern geben werden. Wenn nicht alles täuscht, werden die Republikaner einen Preis für ihre Fehlkalkulation bezahlen müssen. Ein besseres politisches Geschenk hätten sie den Demokraten dreizehn Monate vor den nächsten Kongresswahlen jedenfalls nicht machen können."

Frankfurter Rundschau:

Niemals zuvor hat sich so deutlich gezeigt, dass es nur einer kleinen Gruppe von verantwortungslosen Volksvertretern bedarf, um das produktive Miteinander von Parlament, Präsident und Oberstem Gerichtshof in ein chaotisches Gegeneinander zu verwandeln. Die Prinzipienlosigkeit und die Rücksichtslosigkeit einiger weniger müssen nur stark genug ausgeprägt sein, dann klappt das schon. Die Tea-Party-Truppe bei den Republikanern nahm ihre eigene Partei und mit ihr das ganze Land in Geiselhaft. Sie erklärte schlichtweg, sie werde einem neuen Staatshaushalt erst dann zustimmen, wenn im Gegenzug die Einführung der ihr verhassten Gesundheitsreform Obamacare verschoben würde. Darauf konnte der Präsident gar nicht eingehen. Denn er hätte sich mitschuldig gemacht an einer groben Verletzung parlamentarischer Gepflogenheiten.

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