Biochemiker Bischofberger: "Wir fühlen uns vernachlässigt"

Norbert Bischofberger
KURIER-Gespräch zur US-Wahl mit Biochemiker Norbert Bischofberger, Top-Forscher und "Tamiflu"-Entwickler.

Er entwickelte das Anti-Grippe-Mittel Tamiflu, ein Medikament gegen HIV sowie die erste Therapie, mit der bis zu 90 Prozent der Hepatitis-C-Patenten geheilt werden: Der aus Vorarlberg stammende Biochemiker Norbert Bischofberger ist Vizepräsident und Forschungsdirektor von Gilead Sciences in Kalifornien, einem der größten Biotech-Unternehmen der Welt. Er ist US- und österreichischer Staatsbürger.

KURIER: Verraten Sie, wen Sie wählen werden?

Norbert Bischofberger: Ich habe schon per "Early Voting" gewählt. Wir können auf dem Stimmzettel auch den Namen eines "Write-in-Kandidaten" schreiben. Ich habe den Gouverneur von Ohio, John Kasich, angegeben. Er war auch ein republikanischer Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur und hat mich mit rationalen Vorschlägen beeindruckt. Aber Trump hat ihn überholt. Weder er noch Hillary Clinton sind für mich eine Option.

Warum?

Trump ist der Kandidat für jene, die den short stick – den Kürzeren – gezogen haben. Die ihren Job etwa in einer Stahlfabrik in der Mitte der USA verloren haben oder ihn bedroht sehen, und die genug haben von Globalisierung, Finanzkrise, Wall Street. Hillary verkörpert das alte Establishment, ist eine Insiderin des Systems, eine Karrierepolitikerin. Aber wir wollen etwas Neues, neue Ideen. Und wir fühlen uns in Kalifornien auch ein wenig vernachlässigt von den Kandidaten.

Vernachlässigt?

Ja. In früheren Wahlkämpfen kamen die Kandidaten immer ins Silicon Valley. Aber Hillary kommt nicht, weil sie weiß, dass sie hier sowieso gewinnt. Und Trump war zwar vor einigen Monaten in Kalifornien, aber da gab es große Proteste. Seither denkt er sich wahrscheinlich, hier komme ich nicht mehr her, da mag mich keiner.

Auch wegen seines Vorschlags einer Grenzmauer zu Mexiko?

Das ist doch völliger Blödsinn, über eine Grenze von mehr als 3100 Kilometern. Genauso wie die Idee, alle illegalen Einwanderer zurückzuschicken. Das sind Millionen, viele haben einen Job, die Wirtschaft würde massiv leiden. Wenn ich solche Vorschläge höre, frage ich mich: Weiß er, was er fordert?

Was brauchen die USA aus Ihrer Sicht, wenn nicht Hillary Clinton oder Donald Trump?

Leadership, so wie unter Ronald Reagan. Das war ein Politiker, dem man Vertrauen konnte, der die USA in die Zukunft brachte. Bei aller Polarisierung: Die Amerikaner glauben alle an das Recht, an Gleichberechtigung, an die Zukunft, an eine multikulturelle Gesellschaft und mehr oder weniger auch an Immigration. Denn die USA sind ein Land der Immigranten. 90 Prozent der Einwohner Kaliforniens sind außerhalb Kaliforniens geboren. Aber wir brauchen z. B. ein einfacheres Steuersystem sowie mehr Effizienz im Gesundheits- und Pensionssystem. Viele können sich die hohen Prämien nicht mehr leisten.

Wären Ihre wissenschaftlichen Durchbrüche auch in Europa möglich gewesen?

Gilead wurden 1987 gegründet. Im Jahr 2000 waren wir erstmals profitabel. 13 Jahre haben wir Geld verloren, aber die Investoren hielten zu uns und finanzierten uns mit Risikokapital in der Höhe von 1,3 Milliarden US-Dollar. Sie hätten auch alles verlieren können. In Europa ist es schwer vorstellbar, dass dich jemand so lange mit so einer hohen Summe finanziert. Aber nur dadurch waren unsere Erfolge möglich.

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