Ungarn: Wie das System von Viktor Orbán organisiert ist

Orbán hat Ungarn in eine illiberale Demokratie verwandelt – Gegner, Kritiker, Opponenten werden systematisch mundtot gemacht
Der Premier krempelt das Land Richtung "illiberale Demokratie" um. Doch nach dem Votum des EU-Parlaments verspürt die Opposition Aufwind.

Ernst Gelegs aus Budapest

Ungarn ist nicht gleich “ – unter diesem Motto werden linksliberale Orbán-Kritiker heute Nachmittag in Budapest für Europa und gegen die „illiberale Demokratie“ a la Viktor Orbán demonstrieren. Die in viele, zum Teil untereinander zerstrittene Kleinparteien aufgespaltete Opposition in Ungarn zeigt sich empört darüber, dass der Ministerpräsident in Straßburg behauptete, die Europaparlamentarier würden mit dem kritischen Bericht der niederländischen Grün-Abgeordneten Judith Sargentini die Ehre Ungarns und seiner Bevölkerung verletzen.

Sargentini hat in ihrem Bericht, den vergangenen Mittwoch zwei Drittel der Europaparlamentarier angenommen hatten, eine „systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Grundrechte und der europäischen Werte“ in Ungarn festgestellt. Die Niederländerin weist unter anderem auf Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie auf eine Schwächung des Verfassungs- und Justizsystems hin. Darüber hinaus gebe es auch Verstöße gegen die Rechte von Minderheiten und Flüchtlingen, wie Sargentini in ihrem Dossier schreibt.

„Wer die Schandtaten der Orbán-Regierung aufzeigt, der greift nicht Ungarn an, sondern schützt gerade damit die Interessen und Rechte seiner Bürger“, wie die Organisatoren der heutigen Demonstration gegen die Orbán-Regierung betonen. Der Sozialist Ferenc Gyurcsány, ehemaliger Premier Ungarns, bemüht sich, die Unzufriedenen und Frustrierten zu vereinen. „Europa hat seinen Teil geleistet – jetzt sind wir an der Reihe“, so seine Botschaft an die Kritiker Viktor Orbáns.

Ungarn: Wie das System von Viktor Orbán organisiert ist

Für Orbán ist der ungarisch-stämmige Milliardär George Soros ein Staatsfeind 

Die schweigende Mehrheit im Land dürfte anderer Meinung sein und eher die Argumente ihres Ministerpräsidenten teilen, die da lauten: Ungarn werde von der migrationsfreundlichen EU bestraft, weil es seine Grenzen schütze und kein Einwanderungsland sein wolle.

Propaganda-Medien

Diese an den Haaren herbeigezogene Begründung für die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn ist in fast allen Medien des Landes zu lesen, zu hören und zu sehen. Tag für Tag. Denn bis auf wenige Ausnahmen tanzt die ungarische Presse nach der Pfeife der Regierung. Ohne zu hinterfragen, wird die zum Teil plumpe Regierungspropaganda übernommen, „Fakten-Check“ ist ein Fremdwort für die meisten Medien.

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Die Vorwürfe der EU:

  • Verfassung: Beklagt wird die „Undurchschaubarkeit“ der Verfassung, die seit 2012 sechs mal geändert wurde. Legislative Prozeduren seien „intransparent“, Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs wurden beschränkt. Beklagt wird großer Einfluss auf die Justiz.
  • Medien: Öffentlich-rechtliche Medien stehen unter Regierungskontrolle. Zudem wird eine starke Medienkonzentration in den Händen politiknaher Akteure beobachtet.
  • Bildung: Ein Gesetz aus dem Jahr 2017 hatte insbesondere die vom US-Milliardär George Soros gegründete Central European University (CEU) ins Visier. Soros wurde zum Staatsfeind stilisiert.
  • NGOs: Die EU sieht Grundrechte der Vereinigungsfreiheit bedroht.
  • Minderheiten: Kritisiert werden Probleme mit der Gleichbehandlung von Frauen, Diskriminierung gegenüber Homosexuellen, der Umgang mit Flüchtlingen sowie Minderheiten wie den Roma oder das Vorgehen gegen Obdachlose.

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Kein Wort ist in der regierungsnahen Presse über die wirklichen Motive der EU-Abgeordneten zu lesen, die für das Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn gestimmt haben. Interviews und Analysen, warum auch die Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch Orbáns Partei Fidesz gehört, für so ein Verfahren eintritt, sucht man vergeblich. Es heißt nur, dass jetzt auch die EVP illegale Migration befürworte – das ist ebenso simpel wie falsch.

Kaum ein Medium beschäftigt sich mit den offensichtlichen Demokratiedefiziten im Land, mit der laut Transparency International zunehmenden Staatskorruption, mit der Behinderung einer kritischen Zivilgesellschaft, mit den Einflussmöglichkeiten der Regierung auf Staatsanwaltschaft, Gerichte und Verfassungsgerichtshof. Kurz: mit der „illiberalen Demokratie“, die Orbán seit seinem Amtsantritt vor acht Jahren systematisch errichtet hat.

Ungarn: Wie das System von Viktor Orbán organisiert ist

Starker Rückhalt: Die rechtskonservative Fidesz konnte bei den Parlamentswahlen im April 2018 eine knappe Zweidrittelmehrheit erringen 

Kritik ist unerwünscht

Kritik ist unerwünscht, wird als Attacke gegen Ungarn und seine Bevölkerung erachtet und immer empört zurückgewiesen, wie eben zuletzt der Sargentini-Bericht. Die Kritiker werden entweder als sozialistische Gesinnungsterroristen, inkompetent oder feindselig dargestellt.

So beispielsweise hat die Orbán-freundliche Presse die Grüne Europa-Abgeordnete Sargentini als ideologisch geleitet, ungarnfeindlich und inkompetent bezeichnet, weil sie keine Juristin, sondern Historikerin sei. Die Tageszeitung Magyar Idök hat Sargentinis Ungarn-Bericht sogar als so wertlos wie das „Weißbuch“ der Kommunisten bezeichnet, in dem diese nach der Niederschlagung des Volksaufstandes 1956 angebliche Verbrechen der Aufständischen aufgelistet haben.

Gerne beruft sich die Orbán-Regierung auf ihre demokratische Legitimation, auf ihre Zweidrittelmehrheit, die sie zur Umgestaltung des Landes ganz nach den Vorstellungen Orbáns und seiner rechtsnationalen Partei Fidesz befuge. Die ungarische Regierung ist fest davon überzeugt, dass die Partei den Willen des gesamten Volkes verkörpert – und die Partei ist Viktor Orbán.

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Viktor Orbán: Vom Reformer zum Polit-Rowdy

Herkunft: Viktor Orbán wurde 1963 als Sohn eines Agrar-Ingenieurs und einer Logopädin geboren. Er  studierte   Rechtswissenschaften und arbeitete in den 80er-Jahren für das Landwirtschaftsministerium sowie später für die Soros-Foundation. Mit einem  Soros-Stipendium ging Orbán 1989  zu einem Forschungsaufenthalt nach Oxford – brach 1990 aber ab und ging in die Politik. Der Milliardär Soros wurde später für Orbán zum Staatsfeind, weil er – so der Vorwurf Orbáns – durch Migration Ungarn schwächen wolle.

Politik: Bereits als Student engagierte sich Orbán politisch. Nach der Wende trat er der als liberale Partei gegründeten Fidesz bei. Seit 1990 hatte er einen Parlamentssitz inne. 1993 wurde er Fidesz-Chef (bis 2000). Unter ihm wurde die liberale Partei zur führenden konservativen Kraft. 1998 gewann die Fidesz die Wahlen, Orbán bildete seine erster Regierung (bis 2002). 2003 wurde Orbán erneut Parteichef.  2010 gewann er die Wahlen und wurde Premier. Seit 2014 hat die Fidesz  (teils mit Partnern) die Zweidrittel-Mehrheit.

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Nachgefragt: "Schäme mich als Ungarin, so einen Premier zu haben"

Wie denken Ungarn, die in Österreich leben oder arbeiten, über ihr Land und den Beschluss des EU-Parlaments? Der KURIER fragte nach.   
„Naja, Orban“, sagt die gebürtige Ungarin Judit Jahns, die in Oberwart lebt. „Ich schäme mich als Ungarin, dass wir so einen populistischen, egoistischen  Premier haben.“  Sie habe das Gefühl, dass der Zusammenhalt der Menschen, die gegen Viktor Orbán sind, jetzt  größer sei. Sie könne nicht sagen, ob sich andere Ungarn von der EU ungerecht behandelt fühlen. Aber es sei höchste Zeit gewesen sein, dass so ein Schritt vonseiten der EU passiert. „Ich bin froh, dass jetzt  gesehen wird, was  in diesem Land los ist.“ Jahns kritisiert die Korruption, Medien-Kontrolle und Geldverschwendung. 

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Auch Zoltan Szabadi spricht die Korruption an. Er ist Ungar mit beruflichen Verbindungen nach Österreich. Orbán stelle sich in Ungarn als Held hin. Und: „Die bisher für Orbán waren, werden es weiter sein.“ Die ungarischen Politiker in der EU, die nicht zu Fidesz gehören, würden in Ungarn als Landesverräter dargestellt. „Das ist ja ein völliger Blödsinn, wo geht das hin?“ Nur weil jemand die Regierung kritisiere, sei das doch noch kein Verrat. Orbán habe  sich gar nicht mit konkreten Berichten  beschäftigt, er habe einfach behauptet, dass es eine Anklage seiner Migrationspolitik sei. „Es geht ja nicht um den Zaun, sondern darum, wie die Leute behandelt werden.“
 

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