Ungarn: "Brauchen einen Regime-Wechsel“

In Umfragen liegt der ungarische Oppositionsführer Gordon Bajnai (45) noch deutlich hinter Premier Orban. Doch Bajnai hofft auf die noch unentschlossenen Wähler.
Ungarns Oppositionsführer Gordon Bajnai will Premier Orban bei den Wahlen 2014 schlagen

Nach einem Jahr als ungarischer Regierungschef hatte Gordon Bajnai (45) 2010 der Politik den Rücken kehren wollen. Fünf Monate vor den Wahlen in Ungarn ist alles anders: Der Führer des Oppositionsbündnisses „Gemeinsam 2014“ will den konservativen Premier Viktor Orban ablösen. Um, wie Bajnai sagt, „das aggressive Missmanagement und den ernsthaften Schaden für die Demokratie durch das Orban-Regime zu beenden“.

KURIER: Was lässt Sie glauben, die Wahlen 2014 gewinnen zu können – zumal FIDESZ in allen Umfragen weit vorne liegt?

Gordon Bajnai: Fast die Hälfte der Wähler ist unentschlossen. Sie werden die Wahlen entscheiden. Umfragen zeigen aber auch, dass mehr als die Hälfte der Wähler mit der jetzigen Regierung unzufrieden sind und einen Wechsel wollen. Was die Ungarn am meisten wollen, ist Jobsicherheit, die Schaffung von Arbeitsplätzen, Existenzsicherheit. 83 Prozent der Ungarn sind unzufrieden mit ihrer wirtschaftlichen Lage. Wir als Opposition müssen den Ungarn also in den fünf Monaten bis zur Wahl erklären, dass und wie wir es besser machen können. Die meisten Ungarn haben genug von einer Politik im Stil eines Kalten Bürgerkrieges, der in den vergangenen Jahren vorgeherrscht hat.

Wie könnten Sie regieren, mit Orbans Verfassung, die nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit wieder geändert werden kann?

Die derzeitige Verfassung muss geändert oder zumindest korrigiert werden – aus Gründen der Regierbarkeit und der Demokratie. Wir brauchen eine Verfassung, die von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert wird und nicht nur von einer aggressiven Minderheit, die sie durchgesetzt hat. Dafür brauchen wir entweder eine Zwei-Drittel-Mehrheit oder einen vernünftigen Kompromiss zwischen dem rechten und dem linken politischen Zentrum – nach Viktor Orban. Mit ihm ist das unmöglich. Nachdem er die Wahlen verloren hat, brauchen wir eine Versöhnung, nicht nur zwischen den Parteien, sondern in der Mitte unserer Gesellschaft. Linke Mitte und rechte Mitte sollten sehen, dass sie einander näher sind als das rechte Zentrum und die Rechtsextremen.

Ihre Wahlbotschaft lautet also Regierungs-Wechsel?

Mehr als das. Wir müssen das Orban-Regime ändern, denn Orbans Regierung ist ein Regime. Es versucht, jeden Aspekt unseres Lebens zu infiltrieren, von Sport über Kultur, Erziehung, zivile Aktivitäten. Meine Botschaft ist: Wir brauchen einen Wechsel einer Ära, einer Epoche.

Viele junge Ungarn wollen weg. Kann man sie aufhalten?

Aufhalten reicht nicht, wir müssen sie zurückbringen. 500.000 Leute haben in den vergangenen Jahren das Land verlassen, die meisten von ihnen jung, gut ausgebildet, in Österreich können Sie viele finden. London ist heute von der Zahl der Ungarn her gesehen die drittgrößte ungarische Stadt. Die meisten von ihnen wollen zurück, wenn es Jobs, Chancen, Perspektiven, ein Leben für sie gibt. Die Aufgabe der nächsten Regierung wird es sein, dies Jobs und Perspektiven zu schaffen. Wir wollen Taten setzen und nicht reden, vor allem wollen wir nicht kämpfen. Orban kämpft ständig – mit jedem, viele Phantomkriege. Wir kämpfen nur, wenn es von echten nationalem Interesse ist.

Nimm die konservative Regierungspartei FiDESZ Sie als Gegner ernst und ins Visier?

Sie führen einen Propaganda-Krieg gegen mich, sie haben Millionen Euros für Negativ-Kampagnen gegen mich ausgegeben. Ein Beispiel: Die wichtigste, der FIDESZ nahestehende Tageszeitung, Magyar Nemzed, hat in nur einem Jahr 2600 Artikel über mich veröffentlicht. Und trotzdem bin ich der populärste Oppositions-Politiker. Aber bei meinem Wiedereinstieg in die Politik wusste ich, worauf ich mich einlasse. Ich wusste, dass sie skrupellos sind und lügen.

Würden Sie Viktor Orbans „Feldzug“ gegen die österreichischen Landbesitzer in Ungarn stoppen?

Das Wichtigste in einem Land sind Rechtsstaatlichkeit, Stabilität und Kalkulierbarkeit. Kaufverträge, die legal geschlossen wurden, dürfen nicht angetastet werden. Anders ist es bei Verträgen, die das Gesetz umgangen haben oder illegal sind, und es gab einige Probleme. Wenn Gerichte in fairen Verfahren feststellen, dass Verträge ungültig sind, dann müssen die Käufer das Land zurückgeben, sollen aber auch ihr Geld zurückerhalten.

Würden Sie die Sondersteuern für ausländischen Banken streichen? Die Regierung hat versucht, ausländische Investoren und Banken anzuzapfen, um eine nicht-nachhaltige Finanzpolitik zu finanzieren. Das war sehr kurzsichtig, weil jetzt alle Investments und Kredite erheblich niedriger sind als vor der Krise. Jetzt fließt also mehr Kapital aus Ungarn raus, das heißt es gibt eine Gefahr einer schrumpfenden Wirtschaft. Und in so einer Lage wird es noch weniger Jobs geben. Wir müssen diese Politik umkehren und das Vertrauen in die ungarische Wirtschaft zurückbringen. Wenn jemand, nach einem Regierungswechsel wieder deutlich mehr Geld ins Land bringen will, dann bieten wir ihm die Chance, die sogenannten Sondersteuern, die Orban eingeführt hat, zu senken.

„Gemeinsam 2014“

Nach dem Scheitern des sozialistischen Premiers Ferenc Gyurcsany leitete der parteilose Manager und Wirtschaftsexperte Gordon Bajnai ein Jahr lang bis Mai 2010 eine ungarische Übergangsregierung – bis zum Wahlsieg Viktor Orbans. Als Führer des Oppositionsbündnisses „Gemeinsam 2014“, mit dem auch die Sozialisten kooperieren, will der 45-Jährige nun seinen Gegner Orban wieder ablösen. Gewählt wird im Frühling 14.

Wirtschaftsexperte

Der in Szeged geborene verheiratete Vater von vier Kindern war bis zum Eintritt in die Politik in führenden Positionen ungarischer Unternehmen tätig.

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