Wie TikToker zu Kriegsberichterstattern werden

Wie TikToker zu Kriegsberichterstattern werden
Zerstörung, Trauer, Wut: TikTok ermöglicht es Laien, aus ihrer Perspektive über den Krieg zu berichten.

Von Hanna Hager

Man verbindet TikTok mit Unterhaltung, Tanz-Videos und angesagten Trends. Bis vor knapp einem Monat hätte sich wohl kaum einer denken können, dass eben jene App, die insbesondere unter jungen Menschen äußerst beliebt ist, nun von Ukrainern genutzt wird, um über den Krieg in ihrem Heimatland zu informieren.

Ein Beitrag, große Reichweite

"Ich will die Menschen darauf aufmerksam machen, was momentan in der Ukraine passiert", so Dzvinka Hlibovytska, eine Jugendliche, die sich momentan in der westukrainischen Stadt Lviv befindet. Sie konnte auf TikTok mit ihren Videos bereits eine Reichweite von knapp 16,000 Followern erreichen. Ähnlich geht es wohl zig anderen – teils sogar Soldaten – die Einblicke in ihre derzeitige Situation gewähren. Gezeigt werden unter anderem Bunker und zerstörte Städte mit teils emotionalen Geschichten über Einzelschicksale zu dem jeweiligen Filmmaterial. "Heute hat Putin eines der alten Gebäude meiner Stadt zerstört. Es war ein Kino, das den zweiten Weltkrieg überlebt hatte. Ich habe meine Kindheit hier verbracht, danke Russland." Ein Trümmerhaufen ist das einzige, welches von der Kindheitserinnerung einer jungen Frau namens Valerish noch übrig ist.

Tragische Einzelschicksale 

Leere Supermarktregale und begrenzte Mengen an Treibstoff prägen den Alltag der Ukrainer, hinzu kommen schillernde Sirenen, die vor Luftangriffen warnen. Auch dies wird auf TikTok festgehalten. Teilweise wird über vermisste Freunde und abgebrochenen Kontakt zu Familienangehörigen erzählt. Viele zeigen sich verzweifelt, weinend und ängstlich: "Eine russische Bombe zerstörte das Haus, in dem ein enger Freund von mir wohnt. Man kann das Wohnzimmer und die Küche durch die gebrochenen Fensterscheiben sehen. Ich konnte mir nie vorstellen, wie sich Menschen im zweiten Weltkrieg fühlten. Jetzt lebe ich selbst die Realität und ich habe Angst um mein Leben. Bitte, Putin, hör auf!" Andere wiederum halten ihren Fluchtweg in andere Länder und ihren Aufenthalt in Flüchtlingslagern fest: "Danke für die schlimmste Reise meines Lebens."

So viel Aufmerksamkeit wie möglich generieren

Entgegen ihrer Muttersprache werden die TikTok-Videos von den Ukrainern häufig in englischer Sprache veröffentlicht. Dadurch erhoffen sich viele Userinnen und User, internationale Aufmerksamkeit zu erlangen – und die bekommen sie auch. Die Anteilnahme, sowohl online als auch offline, ist groß: Tausende Kommentare, Likes und Spendenaufrufe sind die Antwort auf den Content der Ukrainer. Der Hashtag #standwithukraine hat allein auf TikTok bis jetzt über 716 Millionen Aufrufe erzielt.

Das Internet: nützlich, aber fragil

Die Aufrechterhaltung der Kommunikation innerhalb der Ukraine gilt als essentiell für dessen Verteidigung. Die Internet- und Kommunikationsinfrastruktur zu demolieren, ist somit hoch oben auf der russischen Agenda. So war vergangene Woche beispielsweise bereits ein Fernsehturm in Kiew im Visier der Angreifer. Von dieser Fragilität bleibt auch TikTok nicht verschont: So berichteten Userinnen und User bereits vor Kriegsausbruch von vermehrten Internetausfällen sowie von gesperrten Konten.

Laien oder doch Propaganda-Beauftragte?

Allerdings darf an dieser Stelle auch nicht unerwähnt bleiben, dass manche Accounts sehr wohl eine politische Funktion erfüllen sollen – sowohl auf der ukrainischen als auch auf der russischen Seite. Neben dem eigentlichen Krieg entstand im Zuge der Kriegspropaganda ein Informationskrieg zwischen den Ländern: TikTok trägt seinen Teil dazu bei. So passierte es, dass russische Influencer dafür bezahlt wurden, den Angriff auf die Ukraine zu rechtfertigen und die Bevölkerung zu Zusammenhalt aufzurufen. Die Koordinierung der Videos fand zum größten Teil auf der App Telegram statt: Dort wurden die jungen Leute exakt instruiert, welchen Content sie wann mit welcher Musik, Hashtags und Text posten sollen.

Anders als zahlreiche andere Apps (Instagram, Facebook etc.), die in Russland mittlerweile verboten sind, ist TikTok bis dato noch erlaubt, wenn auch der Content auf dieser Plattform stark gedrosselt wurde: Wie viel Videomaterial also in Zukunft aus und in dem Land verbreitet werden kann, wird sich weisen.

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