Schwere Kämpfe in der Ukraine: Russland eröffnet neue Front

Trümmer in Charkiw nach dem Einschlag russischer Raketen 2024
Russland eröffnet im Nordosten der Ukraine eine neue Front. Die USA rechnen mit größeren Angriffen auf Charkiw.

Russland hat mit einem Bodenangriff nahe der Großstadt Charkiw im Nordosten der Ukraine eine weitere Front eröffnet. Rund zwei Jahre nach dem Rückzug aus dieser Region griffen russische Truppen am Freitagmorgen die ukrainische Grenzstadt Wowtschansk an, teilte das Verteidigungsministerium in Kiew mit.

Die lokalen Behörden halfen nach eigenen Angaben Zivilisten, die unter schwerem Beschuss stehende Stadt zu verlassen. Präsident Wolodymyr Selenskij sprach von schweren Kämpfen.

Russische Streitkräfte wollen einem ukrainischen Beamten zufolge die ukrainische Grenzstadt Wowtschansk zerstören. "Innerhalb von 24 Stunden gab es wahrscheinlich mehrere hundert Treffer durch Artillerie, Minen und Dutzende von Streubomben", sagte der Leiter der Polizeistreife von Wowtschansk. "Sie sind dabei, die Stadt zu zerstören und versuchen, in das Gebiet einzudringen."

Russland zieht Truppen zusammen

Der ukrainische Generalstab erklärte, Russland ziehe auch Truppen gegenüber den weiter nordwestlich gelegenen Regionen Sumy und Tschernihiw zusammen. Regierung und Militär in Moskau äußerten sich bis zum Abend nicht dazu. Neben fortwährenden Luftangriffen auf alle Teile der Ukraine hatte sich Russland am Boden bisher auf den Osten der Ukraine konzentriert.

Charkiw ist die Hauptstadt der gleichnamigen Region und war zuletzt 1,3 Millionen Einwohnern die zweitgrößte ukrainische Stadt nach Kiew. Unklar blieb zunächst, ob Russland eine erneute Offensive auf die Regionalhauptstadt plant. 

Nach Angaben eines hochrangigen ukrainischen Militärs stießen die Russen rund einen Kilometer in Richtung Wowtschansk vor. Ihr Ziel sei es, eine zehn Kilometer tiefe Pufferzone einzurichten.

Nicht die erste russische Invasion in Charkiw

Die russischen Truppen waren bereits kurz nach dem Beginn ihrer Invasion im Februar 2022 in die Region Charkiw eingerückt, wurden aber später von ukrainischen Truppen zurückgedrängt. 

Seit März macht sich die Regierung in Kiew verstärkt Sorgen um Charkiw, nachdem Russlands Präsident Wladimir Putin zur Errichtung einer Pufferzone auf ukrainischem Boden aufrief. Ein ukrainischer Militärsprecher äußerte die Annahme, Russland wolle mit der Eröffnung der zusätzlichen Front ukrainische Kräfte binden.

"Gegen 05.00 Uhr in der Früh gab es einen Versuch des Feindes, unter dem Schutz gepanzerter Fahrzeuge unsere Verteidigungslinien zu durchbrechen", teilte das ukrainische Verteidigungsministerium mit. 

"Bisher sind diese Angriffe abgewehrt worden." Kämpfe unterschiedlicher Intensität hätten noch am Abend angedauert. Nach Angaben des Gouverneurs der Region Charkiw, Oleh Synehubow, versuchten russische Truppen, die Grenze zu durchbrechen. Sie hätten den Beschuss von Wowtschansk verstärkt, erklärte Synehubow auf dem Kurzmitteilungsdienst Telegram. 

Die ukrainischen Streitkräfte hätten "selbstbewusst ihre Stellungen gehalten und keinen einzigen Meter verloren". Russland habe nicht die Mittel, um auf die Stadt Charkiw vorzurücken. Die Zeitung Ukrainska Prawda berichtete hingegen unter Berufung auf einen ungenannten Militär, die Russen hätten vier ukrainische Dörfer an der Grenze eingenommen.

Kommt ein größerer Angriff auf Charkiw?

"Es ist durchaus möglich, dass die Russen sich auf einen größeren Angriff auf Charkiw vorbereiten", sagte ein Sprecher von US-Präsident Joe Biden. Es sei auch möglich, dass Russland in den kommenden Wochen militärische Fortschritte mache. Man erwarte jedoch keinen größeren Durchbruch russischer Truppen. Die USA arbeiteten eng mit der Ukraine zusammen und setzten ihre Militärhilfen fort.

Unterdessen kamen beim Angriff ukrainischer Kräfte auf ein Öldepot in der von Russland kontrollierten Region Luhansk in der Ostukraine laut dem dortigen, von Russland eingesetzten "Gouverneur" drei Menschen ums Leben. 

Sechs Personen seien durch die Explosion verletzt worden, zwei hätten Rauchvergiftungen erlitten, schrieb Leonid Passetschnik auf dem Kurzmitteilungsdienst Telegram. Ein Großbrand sei in dem Öllager ausgebrochen. Passetschnik vermutet, dass die Ukraine von den USA gelieferte taktische Raketensysteme der Armee (ATACMS) eingesetzt hat, ohne Belege anzuführen. Von ukrainischer Seite gab es keine unmittelbare Stellungnahme.

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